Warum unterschiedliche Körpergrößen entstehen



Bio-News vom 02.09.2019

Kieler Forschungsteam beschreibt, wie Umweltfaktoren und innere Regulation beim Größenwachstum eines Lebewesens zusammenarbeiten

Die Körpergröße eines Lebewesens – von den einfachsten tierischen und pflanzlichen Organismen bis hin zum Menschen – wirkt sich direkt auf seine Fitness aus. Die individuelle Größe ist also ein wichtiges Kriterium für die Fähigkeit eines Lebewesens, sich in der Konkurrenz um Ressourcen oder Reproduktion zu behaupten. Grundsätzlich geht man innerhalb einer Art von ähnlichen Erbinformationen aus, die theoretisch zu relativ einheitlichen Körpergrößen führen sollten. Die Individuen der meisten Arten wachsen allerdings im Rahmen bestimmter physiologischer Grenzen zu sehr unterschiedlicher Größe heran – sie muss also von weiteren Faktoren abhängig sein.


Einige Exemplare des Süßwasserpolypen Hydra, die den Einfluss von Umweltfaktoren und interner Regulierung auf das Größenwachstum verdeutlichen.

Publikation:


Benedikt M. Mortzfeld*, Jan Taubenheim*, Alexander V. Klimovich, Sebastian Fraune, Philip Rosenstiel & Thomas C. G. Bosch
Temperature and insulin signaling regulate body size in Hydra by the Wnt and TGF-beta pathways

Nature Communications Published on 22 July 2019

DOI: 10.1038/s41467-019-11136-6



Welche Einflüsse das Größenwachstum auf molekularer Ebene im Detail regulieren, wurde bisher jedoch nur wenig erforscht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Zoologischen Instituts an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) konnten nun am Beispiel des Süßwasserpolypen Hydra zeigen, wie Umwelteinflüsse und interne Regulierungsprozesse gemeinsam das Körperwachstum mitsteuern. Die Kieler Forschenden wiesen nach, dass die Umgebungstemperatur bestimmte molekulare Signalwege des Wachstumsprozesses aktiviert und so die Größe mitbestimmt. Zudem konnten sie zeigen, dass auch genetische Faktoren auf identische Signalketten zurückgreifen und damit ebenfalls zur Größenregulierung des Nesseltiers beitragen.

Umwelt und interne Regulation greifen ineinander

Aus zellbiologischer Sicht ist die Größe eines ausgewachsenen Lebewesens das Ergebnis dreier Variablen: die Dauer seines Wachstums, die absolute Anzahl der dabei entstehenden Zellen und die individuelle Größe all dieser Zellen, deren Gesamtheit den ausgewachsenen Organismus bildet. Im Laufe des dadurch gekennzeichneten Wachstumsprozesses muss der Organismus zudem seine momentane Größe und das Erreichen der endgültigen Größe registrieren können. Zunächst konzentrierten sich die CAU-Forschenden in ihrer Studie auf die Regulation der Zellenanzahl des Nesseltiers Hydra.

„Wir haben beobachtet, dass Hydra bei niedrigen Umgebungstemperaturen bis zu 83 Prozent mehr Zellen bildet“, erklärt Dr. Jan Taubenheim, dessen Promotionsarbeit in der Zell- und Entwicklungsbiologie in die aktuelle Veröffentlichung eingeflossen ist. „Uns ist es zudem gelungen, die konkreten molekularen Signalwege zu identifizieren, die den Einfluss der Temperatur auf die Zellenanzahl umsetzen und so bei kühleren Temperaturen größere Tiere hervorbringen“, betont Taubenheim, der inzwischen als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Düsseldorf forscht.

Diese sogenannten Wnt- und TGF-Beta-Signale sind zum Beispiel an der Embryonalentwicklung und der Zelldifferenzierung beteiligt. Ihre Wechselwirkung mit der Umgebungstemperatur und dem Größenwachstum war jedoch bisher unbekannt. „Die Wnt-Signale bestimmen bei Hydra auch den Übergang vom Wachstum in eine stationäre Phase. Daher vermuten wir, dass sie dem Organismus als Messinstrument dienen, um die eigene Größe festzustellen und das Wachstum zu beenden“, sagt Dr. Benedikt Mortzfeld, der ebenfalls in der Zellbiologie an der CAU promovierte und aktuell als Wissenschaftler an der University of Massachusetts Medical School in Worcester tätig ist.

Der Einfluss der Gene

Neben der Umgebungstemperatur tragen auch bestimmte Erbinformationen zur Größenregulierung der Nesseltiere bei. Gene, die für den sogenannten Insulin-Signalweg zuständig sind, bestimmen das Wachstum mit, indem sie unter anderem die Anzahl der Zellen während des Wachstumsstadiums steuern. Das Kieler Forschungsteam konnte in einer funktionalen Genanalyse unter anderem zeigen, dass das Ausschalten der für diesen Signalweg zuständigen Gene zu einer bis zu 41 Prozent kleineren Körpergröße der Polypen führte. Wichtige Bestandteile der zellulären Steuerungsprozesse des Wachstums liegen also gleichermaßen in den Erbinformationen.

„Umwelteinflüsse und genetische Faktoren sind in einem mehrstufigen Ablauf und in einer festen Reihenfolge hintereinandergeschaltet und greifen auf die dieselben zellulären Regulationsmechanismen zurück“, fasst Professor Thomas Bosch, Sprecher des CAU-Sonderforschungsbereichs (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“, zusammen. „Gemeinsam steuern sie so Zellenanzahl und –größe sowie die Dauer der Wachstumsphase und bewirken mit ihrem Zusammenspiel eine große Variabilität, die in sehr unterschiedlichen Körpergrößen ausgewachsener Tiere resultiert“, so Bosch weiter.

Größenregulation – ein gemeinsames Prinzip?

Die neuen Erkenntnisse zur Regulierung des Größenwachstums am Beispiel des Modellorganismus Hydra tragen ein Stück dazu bei, universelle Prinzipien bei vielzelligen Lebewesen zu identifizieren. Bestimmte Übereinstimmungen in den Signalwegen lassen die Forschenden vermuten, dass verschiedene Organismen die Einflüsse von Umwelt und Genetik auf sehr ähnliche Weise in ihre innere Größenregulation einbeziehen.

Ein nächster wichtiger Schritt wird es sein, zusätzlich den Einfluss der Bakterienbesiedlung des Körpers auf die zugrundeliegenden Steuerungsprozesse zu untersuchen. „Wir vermuten, dass auch die symbiotischen Mikroorganismen des Körpers untrennbar mit der Regulation der Individualentwicklung und damit des Größenwachstums eines Lebewesens verbunden sind“, sagt Bosch. Deren mögliche Beteiligung wolle man im Rahmen des SFB 1182 künftig genauer untersuchen, um so ein immer besseres Verständnis der Größenregulation der Lebewesen zu gewinnen, fasst Bosch zusammen.


Diese Newsmeldung wurde via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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