Wenn die Wölfe vor der Türe stehen
Bio-News vom 28.07.2020
Der Wolf ist zurück. Doch wie geht die Gesellschaft damit um? Diese Frage haben sich Forscherinnen und Forscher aus ganz Europa gestellt – die Europäische Ethnologie der Uni Würzburg hat nun daraus ein aktuelles Buch verfasst.
Er galt schon fast als ausgestorben bei uns, langsam aber sicher kehrt er zurück: Der Wolf. Doch das löst nicht unbedingt Begeisterung aus. Viele sehen ihn als „den bösen Wolf“ aus Grimms Märchen. Als wilden, gefräßigen und gefährlichen Einzelgänger. Dass dies nicht unbedingt der Realität entspricht, ist in der Naturwissenschaft nichts Neues. Doch was steckt hinter der Rückkehr der Wölfe in Deutschland und Europa? Wie reagieren die jeweiligen Länder darauf? Wie kann ein wildes Tier in unserer hoch technisierten Gesellschaft überhaupt überleben? Und wie leben die Menschen im dicht besiedelten und industriell durchstrukturierten Europa mit den Wölfen?
Publikation:
Michaela Fenske, Bernhard Tschofen
Managing the Return of the Wild – Human Encounters with Wolves in Europe
Routledge, 2020
Mit solchen Fragen hat sich ein internationales und interdisziplinäres Team an Forscherinnen und Forschern beschäftigt. Herausgekommen ist dabei ein neues Buch: „Managing the Return of the Wild. Human Encounters with Wolves in Europe.“ Der Sammelband wurde von Michaela Fenske (Lehrstuhl für Europäische Ethnologie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg) und Bernhard Tschofen (Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft, Universität Zürich) herausgegeben und erschien im Juli 2020 im Routledge Verlag.
Verschiedene Blickwinkel auf unsere Gesellschaft
„Die Populationen mancher Wildtiere erstarken derzeit wieder. Aber was bedeutet das für die Gesellschaften in Europa? Das ist die Kernfrage des Sammelbandes“, erklärt Fenske. Aus kulturwissenschaftlicher, kultur- und sozialanthropologischer, historischer und sprachwissenschaftlicher Perspektive beschäftigt sich der Band in insgesamt elf Fallstudien aus ganz Europa mit dem Themenkomplex von Wölfen und Menschen.
Zwei Beiträge wurden dabei von Würzburger Europäischen Ethnologinnen im Rahmen ihrer Doktorarbeit verfasst, als Teil des DFG-Projekts „Die Rückkehr der Wölfe. Kulturanthropologische Studien zum Prozess des Wolfsmanagements in der Bundesrepublik Deutschland“ unter Leitung von Fenske. Marlis Heyer fokussierte sich dabei auf Narrative zu Wolfsrückkehr, Wolfsmanagement und das Zusammenleben von Menschen und Wölfen. Ihre Untersuchung konzentrierte sich auf die Lausitz als Wolfskerngebiet und fand in Zusammenarbeit mit dem Sorbischen Institut statt. Historische Überlieferungen wurden genauso einbezogen wie aktuelle Diskurse sowie Alltagsnarrationen der menschlichen Akteure.
Irina Arnold konzentrierte sich im Besonderen auf die Erforschung der Mensch-Tier-Interaktionen und Beziehungen in Niedersachsen – zu Beginn des Projekts war das Land gerade erst betroffen vom Erstarken der Wolfspopulationen im Norden. Es zielte darauf, die Lernprozesse zwischen Wölfen, Menschen und anderen Tieren (Schafe, Rinder, Pferde, Hunde) zu verstehen, fragte nach Erfahrungen, den damit verbundenen Vorstellungen und Emotionen, dem erworbenen Wissen sowie den Möglichkeiten eines konfliktarmen Zusammenlebens.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Die Studien zeigen gleichzeitig Gemeinsamkeiten und Diversität: „In ganz Europa diskutieren Gesellschaften: Was ist Natur? Was ist Gesellschaft? Was ist schützenswert? Welche Prioritäten setzen Gesellschaften, wie wird sozialer Ungleichheit begegnet, wie werden ländliche Regionen gestärkt usw.? Die sogenannte Rückkehr der Wölfe ist für solche Fragen ein Katalysator. Sie zeigt, dass die Gesellschaften in Europa mitten in den sozio-ökologischen Krisen nach Lösungswegen suchen “, so Fenske.
„Es ist bemerkenswert, wie unterschiedlich Gesellschaften an das Thema herangehen“, sagt Fenske. Während Wölfe in Regionen, die von Strukturwandel betroffen sind, als weiteres Problem verhandelt werden, sehen andere Regionen in ihnen eine Chance für mehr Biodiversität oder nachhaltigen Tourismus. Der Band gibt unter anderem Einblick in Wolfsdiskurse in Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Finnland und Portugal.
Warum gerade der Wolf?
„Es ist paradox. Viele Arten sind ausgestorben, daher ist es eigentlich eine gute Nachricht, dass die Wolfspopulationen in Europa erstarken. Aber unsere Art zu leben, zu arbeiten und zu wirtschaften ist nicht dafür ausgelegt“, sagt Fenske. Der Wolf fordere die Menschen heraus, weil seine Wiederkehr in die Mitte Europas zeige, dass neben den Menschen auch viele andere Lebewesen unsere Welt gestalten.
Ein Teil der Fallstudien des Bandes sind noch in Entwicklung: Promotionsergebnisse oder Teilprojekte werden daher in Zukunft weitergeführt, um die Frage zu beantworten, wo unsere Gesellschaften zwischen Kultur und Natur im 21. Jahrhundert stehen.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Julius-Maximilians-Universität Würzburg via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.