Ökosystemdienstleistung


Der Begriff Ökosystemdienstleistung (engl. ecosystem service, abgekürzt ESS) (dt. auch: Ökosystemleistung oder ökosystemare Dienstleistung) bezeichnet in der verbreitetsten Definition die "Nutzenstiftungen" bzw. "Vorteile" (engl. benefits), die Menschen von den ökologischen Systemen beziehen.[1] Der Begriff ist seit Beginn des Jahrtausends zu einem Schlüsselkonzept an der Schnittstelle von natur- und sozialwissenschaftlicher Umweltforschung geworden.

Beispiele für Ökosystemdienstleistungen sind das Bestäuben von Obstblüten durch Insekten, die Bereitstellung von nutzbarem Bewässerungs- und Trinkwasser durch natürliche Filtration von Niederschlag, die Reproduktion von Fischpopulationen als Nahrungsmittel sowie die Bereitstellung von frischer Luft und einer ansprechenden Umwelt für Freizeit, Erholung und ästhetische Erbauung.

Der Begriff der Ökosystemdienstleistung ist abzugrenzen von dem der Ökosystemfunktion. Obwohl es terminologische Überschneidungen gibt, werden als Ökosystemfunktionen in der Regel die hinter den Ökosystemdienstleistungen stehenden ökosystemaren Prozesse, seltener auch dahinterstehende ökosystemare Strukturen und Zustände bezeichnet.

Definition

Die international maßgebliche Definition stammt aus dem Methodenband des Millennium Ecosystem Assessment.[1] Ökosystemdienstleistungen werden hier (Box 1, Key Definitions, S. 3) definiert als

“the benefits people obtain from ecosystems. These include provisioning services such as food and water; regulating services such as regulation of floods, drought, land degradation, and disease; supporting services such as soil formation and nutrient cycling; and cultural services such as recreational, spiritual, religious and other nonmaterial benefits.”

Kategorien

Nach dem Millennium Ecosystem Assessment lassen sich Ökosystemdienstleistungen in vier Kategorien einteilen, wobei die sogenannten unterstützenden Dienstleistungen als Basis der übrigen Dienstleistungen angesehen werden:[2]

  • Unterstützende Dienstleistungen
    • ökosystemare Dienstleistungen, die auf Bodenbildung, Nährstoffkreislauf und Erhaltung der genetischen Vielfalt beruhen
  • Bereitstellende Dienstleistungen
    • Bereitstellung von Nahrung, Wasser, Baumaterial (Holz), Fasern, Rohstoffen für Arzneimittel
  • Regulierende Dienstleistungen
    • Regulierung von Klima, Überflutungen, Krankheiten, Wasserqualität, Abfallbeseitigung, Bestäubung
  • Kulturelle Dienstleistungen
    • ökosystemare Dienstleistungen, die Erholung, Naturtourismus, ästhetisches Vergnügen und spirituelle Erfüllung fördern

Wert für den Menschen

Ohne Ökosystemdienstleistungen wäre menschliches Leben auf der Erde nicht möglich. Solche Aussagen scheinen zu implizieren, dass Ökosystemdienstleistungen einen Wert haben, der weit über jedes sinnvoll in Geldeinheiten quantifizierbare Maß hinausgeht. Für die Gesamtheit aller Ökosystemdienstleistungen ist dies auch richtig. Dies hat beispielsweise die detaillierte Kritik am Artikel von Costanza et al. (1997) zum „Wert" der Biosphäre gezeigt. Die Gesamtheit der Ökosystemdienstleistungen ist jedoch kaum jemals Gegenstand menschlicher Handlungsentscheidungen. Handlungsrelevante Bewertungsfragen in Bezug auf Ökosystemdienstleistungen stellen sich erst im Hinblick auf spezifische Fragestellungen.

Der Begriff der Ökosystemdienstleistung ist definitorisch auf eine anthroporelationale (es sind Menschen, die bewerten) und eine anthropozentrische Perspektive (allein menschliche Interessen zählen) festgelegt. Dies impliziert nicht, dass es andere Relationen oder Perspektiven nicht geben kann (siehe z. B. Biozentrismus). Wenn von Ökosystemdienstleistungen die Rede ist, werden jedoch ausschließlich Nutzenstiftungen für Menschen thematisiert. Diese Nutzenstiftungen können durch verschiedene Verfahren bewertet werden:

  • Die Multikriterien-Analyse (MKA; z. B. Analytic Hierarchy Process, Nutzwertanalyse) setzt verschiedene Verfahren ein, um komplexe Handlungsalternativen hinsichtlich ihrer Eigenschaften (u.a. Auswirkungen auf die Ökosystemdienstleistungen) zu vergleichen, ohne dabei wirtschaftlichen oder finanziellen Aspekten notwendigerweise eine besondere Rolle zuzuweisen.
  • Die Kosten-Wirksamkeits-Analyse (KWA) untersucht, welche von mehreren Handlungsalternativen das beste Verhältnis zwischen den aufgewandten (meist rein finanziellen) Kosten und den angestrebten Verbesserungen in der Versorgung von Ökosystemdienstleistungen hat.
  • Die Kosten-Nutzen-Analyse (KNA) untersucht die Nettobarwerte verschiedener Handlungsalternativen, die die Versorgung mit Ökosystemdienstleistungen beeinflussen.

Die Berechnung von Nettobarwerten in der KNA setzt dabei voraus, dass der zeitliche Strom der wirtschaftlichen Vor- und Nachteile (Nettonutzen) der Handlungsalternativen hinreichend abgeschätzt werden kann. Bei „umweltrelevanten" Handlungsalternativen setzt dies die Abschätzung der Veränderungen der betroffenen Ökosystemdienstleistungen sowie deren Monetarisierung voraus.[3][4] Für die Umrechnung in Geldeinheiten stehen wiederum verschiedene Verfahren zur Verfügung; insbesondere Befragungsmethoden (z. B. die Kontingente Bewertungsmethode) sind dabei oft leichter für die Bewertung der Ökosystemdienstleistungen anzuwenden als für die Bewertung von Ökosystemfunktionen.[5] Auch die monetäre Bewertung von Ökosystemdienstleistungen bleibt jedoch schwierig, wenn im engeren Sinne „essentielle" Ökosystemdienstleistungen in großem Umfang betroffen werden.[6] [7]

Um die Bereitstellung von Ökosystemdienstleistungen zu sichern, werden spezielle Honorierungsmechanismen (Payments for Ecosystem Services, PES) eingesetzt.

Gefährdung durch Umweltschäden

Die Verfügbarkeit von Ökosystemdienstleistungen kann sich in der Folge von Umweltverschmutzung oder anderem nicht nachhaltigen Management rapide verschlechtern. Weltweit befinden sich 60 % der vom Millennium Ecosystem Assessment untersuchten Ökosystemdienstleistungen in einem Zustand von Degradation oder nicht nachhaltiger Nutzung, der von abnehmender Quantität und Qualität der Ökosystemdienstleistungen geprägt ist. Von 24 erfassten bereitstellenden, regulierenden und kulturellen Dienstleistungen erhöht sich der Nutzungsdruck gegenwärtig bei 20.

Diskussion um Anwendung und Anwendungsgrenzen

Allgemeine Anwendungsgrenzen

In seiner über 30 Studien zusammenfassendenden Arbeit führen Costanza et al. 1997[8] eine Reihe von Sachverhalte an,[9] die der praktischen Umsetzung von Wertermittlungen bei ESS Grenzen setzen.

  1. Für viele Biome (Tundra, Wüste, Ackerland, Meere u.a. ) fehlen vollständige und valide Datengrundlagen für viele Kategorien von Dienstleistungen. Würden diese Daten einbezogen, wäre von einer Erhöhung des Werts von ESS auszugehen.
  2. Die derzeitige monetäre Bewertung vieler Dinge und Dienstleistungen ist nicht universell, da sie z. B. die Werte von Ökosystemen, des informellen Sektors und anderen Bereichen nicht einbezieht. Die Berechnung von ESS geht aber von der derzeitigen monetären Bewertung von Dingen und Dienstleistungen aus.
  3. Die Bewertungsgrundlage ist teilweise der Willingness to pay-Ansatz, d. h. der Preis, den die Menschen für eine Dienstleistung bereit wären zu bezahlen. Bei der individuellen Bewertung werden Werte wie soziale Fairness, ökologische Nachhaltigkeit und andere Faktoren nicht ausreichend berücksichtigt.
  4. Die „Infrastruktur-Leistung" von Ökosystemen wird nicht berücksichtigt und nicht in den Gesamtwert einbezogen.
  5. Zwischen den einzelnen Dienstleistungen gibt es Trade-offs, da sie mitunter in einer antagonistischen Beziehung zueinander stehen. Die simultane Maximierung aller gewünschten Effekte ist in dem hoch komplexen System schwierig. Die Berechnung von Dienstleistungen ebenfalls.

Kulturelle Ökosystemdienstleistungen

In der Diskussion ist weiterhin die Operationalisierung des Konzeptes der sogenannten Kulturellen Ökosystemdienstleistungen. Einen guten Überblick zu Versuchen der Definition, Erfassung und Bewertung dieser Dienstleistungen aus Forschungsbereichen wie Landschaftsästhetik/Landschaftsbildbewertung, Kulturlandschaftspflege und Erholungsplanung bieten Daniel et al. 2012.[10]

Eine grundsätzliche Kritik am Konzept der Kulturellen Ökosystemdienstleistungen weist auf Folgendes hin:[11] Erstens beruhten wesentliche kulturelle Werte unserer natürlichen bzw. kulturell überformten Umwelt auf dem einzigartigen Charakter (Eigenart) von Gebieten, der sich mit den allgemeinen, naturwissenschaftlichen Parametern, anhand derer Ökosysteme beschrieben werden, nicht erfassen ließen;[12] zweitens werde die Umwelt, wenn es um solche Wertschätzungen geht, nicht als Ökosystem wahrgenommen, sondern in emotionaler und ästhetisch-subjektiver Auffassungsweise als Landschaft, Wildnis etc.; drittens gründeten diese Wertschätzungen nicht in ökologischen Eigenschaften und Prozessen, sondern in kulturell geprägten Auffassungsweisen und Deutungsmustern.

Im Gegensatz zu grundsätzlich ablehnenden Wortmeldungen beurteilen andere Autoren die Anwendbarkeit des Konzepts als eine empirische Frage. Für eine Vielzahl an Beispielen habe die Forschung einen substantiellen Beitrag spezifischer Ökosysteme zur Befriedigung bestimmter kultureller Bedürfnisse und Wünsche nachgewiesen. Dies gelte gerade auch für die ästhetische Wahrnehmung und Bewertung der Landschaft. Auch im Sinne rechtlicher Regelungen zum Landschaftsschutz müsse gerade die Wechselwirkung natürlicher und kultureller Faktoren betont werden - ansonsten drohe eine weiter fortschreitende Unterbewertung der kulturellen Nutzenstiftungen ökologischer Systeme.[13]

Siehe auch

Weblinks

  • Stefan Baumgärtner (2002): Der ökonomische Wert der biologischen Vielfalt. Seite 5ff. (PDF)

Quellen

  1. 1,0 1,1 Alcamo, J., et al., 2003. Millennium Ecosystem Assessment – Ecosystems and Human Well-Being: A Framework for Assessment. Island Press, Washington. 245 pp.
  2. Millennium Ecosystem Assessment (2005): Ecosystems and Human Well-being - Synthesis, S. 39ff. (PDF)
  3. Freeman III, A.M. (1998) On Valuing the Services and Functions of Ecosystems. In: A.M. Freeman III (Editor), The economic approach to environmental policy: the selected essays of A. Myrick Freeman III, Edward Elgar, Cheltenham (UK)
  4. Heal, G.M., Barbier, E.B., Boyle, K.J., Covich, A.P., Gloss, S.P., Hershner, C.H., Hoehn, J.P., Pringle, C.M., Polasky, S., Segerson, K. and Shrader-Frechette, K., [Committee on Assessing and Valuing the Services of Aquatic and Related Terrestrial Ecosystems] (2005) Valuing Ecosystem Services: Toward Better Environmental Decision-making. National Academies Press, 277 Seiten
  5. Jan Barkmann, Klaus Glenk, Alwin Keil, Constanze Leemhuis, Nora Dietrich, Gerhard Gerold, Rainer Marggraf: Confronting unfamiliarity with ecosystem functions: The case for an ecosystem service approach to environmental valuation with stated preference methods. In: Ecological Economics. Band 65, 2008, S. 48–62, DOI:Normal 0 21 DOI: 10.1016/j.ecolecon.2007.12.002(?!).
  6. Jan Barkmann, Rainer Marggraf: Weil wir Geld nicht essen können – Zur ökologischen Katastrophenvorsorge durch biologische Vielfalt. In: Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte. Band 138, 2007, S. 175–191.
  7. Vgl. Bernd Klauer: Welchen Beitrag können die Wirtschaftswissenschaften zum Erhalt der Biodiversität leisten? In: UFZ-Diskussionspapiere Nummer=2/2001. 2001, S. 9 (Econstor Eintrag mit Verweis auf PDF-Volltext).
  8. Robert Costanza et. al: The value of the world´s ecosystem services and natural capital. In: Nature. Band 387, Mai 1997, S. 253–260, doi:10.1038/387253a0.
  9. Costanza zählt insgesamt 12 "Sources of error, limitations and caveats" auf, die für seine Arbeit gelten, aber auch bei vielen anderen Berechnungen zum Tragen kommen
  10. Daniel, T. C. et al. 2012: Contributions of cultural services to the ecosystem services agenda. PNAS/Proc. Natl. Acad. Sci. USA 109: 8812–8819.
  11. Kirchhoff, T. 2012: Pivotal cultural values of nature cannot be integrated into the ecosystem services framework. PNAS/Proc. Natl. Acad. Sci. USA 109 (46): E3146.
  12. Vgl. die Kritik schon am V-Wert-Verfahren von Kiemstedt in Esser, P. & Lauruschkus, G. 1993: Landschaftsbildbewertung in der wissenschaftlichen Landschaftsplanung. In: Landschaftsplanung zwischen Rationalität und Natur. Berlin, Technische Universität Berlin; Eisel, U. 2006: Landschaftliche Vielfalt mit und ohne Sinn. Über den Nutzen einer Methode in der Landschaftsplanung und im Naturschutz. In: Eisel, U. & Körner, S. (Hg.): Landschaft in einer Kultur der Nachhaltigkeit. Band I: Die Verwissenschaftlichung kultureller Qualität. Kassel, Universität Kassel: 92–119.
  13. Terry C. Daniela, Andreas Muhar, Olivier Aznar, James W. Boyd, Kai M. A. Chan, Robert Costanza, Courtney G. Flint, Paul H. Gobster, Adrienne Greˆt-Regamey, Marianne Penker, Robert G. Ribe, Marja Spierenburg (2012) Reply to Kirchhoff: Cultural values and ecosystem services. PNAS September 24, 2012, doi: 10.1073/pnas.1213520109/PNAS; November 13, 2012 vol. 109 no. 46 E3147.

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