Beriberi


Klassifikation nach ICD-10
E51.1 Beriberi
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Beriberi oder auch Beri-Beri (ICD-10: E51.1) ist eine komplexe Vitaminmangelerkrankung, die auf einen Mangel an Thiamin (Vitamin B1) zurückzuführen ist. Thiamin ist im Glukosestoffwechsel und am Aufbau von Nervenzellen beteiligt. Beriberisymptome sind Müdigkeit und Lethargie zusammen mit Störungen von Herz, Kreislauf, Nerven und Muskulatur.

Christiaan Eijkman entdeckte das Thiamin und brachte Beriberi damit in Zusammenhang, was ihm 1929 den Nobelpreis einbrachte.

Noch 1905 wurde die Ursache von Beriberi nicht durch Mangelernährung[1] sondern als Infektionskrankheit beziehungsweise Lebensmittelvergiftung durch Schimmelpilze[2] gedeutet. Die Deutung als Mangelernährung war ein bedeutender Schritt zur Entdeckung der Vitamine.

Etymologie

Ein holländischer Arzt, Jacob de Bondt, soll bereits 1630 auf Java eine Krankheit namens Beriberi beobachtet haben, welche nach dem örtlichen Wort für Schaf wegen des unsicheren Gangs der Kranken benannt worden sein soll.[3] Als Ursprung des Worts gilt auch das singhalesische Wort für „Ich kann nicht, ich kann nicht“, was auf eine Bewegungsunfähigkeit der Kranken in der Spätphase zurückzuführen ist.[4]

Symptome

Datei:Beriberi USNLM.jpg
An Beriberi Erkrankter (Anfang des 20. Jahrhunderts)

Das Beriberi-Syndrom wird nach dem derzeit gültigen Diagnoseschlüssel (ICD-10) in eine „trockene“ und eine „feuchte“ Form unterteilt. Erstere äußerte sich in Teilnahmslosigkeit (Apathie), Nervenlähmungen (Polyneuropathie), Zittern bei gleichzeitig erhöhter Reizbarkeit und Appetitmangel, zweitere in Störungen des Herz-Kreislauf-Systems, später eine Kardiomyopathie mit Herzvergrößerung sowie Herzinsuffizienz mit entsprechender Ausbildung von Ödemen und einer Laktatazidose. Bei der „feuchten“ Form ist laut ICD-10 der Diagnose-Schlüssel I98.8 (Sonstige näher bezeichnete Störungen des Kreislaufsystems bei anderenorts klassifizierten Krankheiten) zu ergänzen. Überschneidungen sind jedoch häufig und über Schmerzen und Parästhesien wird bei beiden Formen, vergleichbar dem Wernicke-Korsakow-Syndrom, geklagt.

Ergänzende Faktoren wie Mangelerscheinungen und Stressfaktoren [3] sowie nach der Farbe verschimmelten Reises benannte „yellow rice“[5]-Mykotoxine[2] (Citrinin, Citreoviridin[6] und andere) können ein bestehendes Beriberi aggravieren.[7]

Behandlung und Vorbeugung

Es wird Thiaminhydrochlorid in Form von Tabletten oder als Injektion dargereicht. Zunehmend wird jedoch Benfotiamin, eine lipidlösliche Form des Thiamin verwendet. Dieses ist durch die Fettlöslichkeit hervorragend gewebsgängig und erreicht eine 5-10 fach höhere Bioverfügbarkeit. [8]

Als Vorbeugung wird eine abwechslungsreiche Ernährung mit thiaminhaltigen Nahrungsmitteln, wie Hefe, Getreidekeimen, Ei und Leber empfohlen.[9]

Geschichte

Die Ursachen von Beriberi und anderen Erkrankungen (z. B. Infektionen oder Pilz- und Schimmelbefall, vgl. Antoniusfeuer) [2] wurden historisch lange nicht erkannt. Noch 1905 wurde Beriberi nicht als Folge von Mangelernährung,[1] sondern als Infektionskrankheit beziehungsweise Lebensmittelvergiftung durch Schimmelpilze gedeutet. Die vor dem 20. Jahrhundert als Beriberi bezeichneten Erscheinungen sind dabei nicht immer nur (allein) Vitaminmangel zuzuordnen.

Auftreten und Verbreitung

Beriberi wurde in Asien bereits früh beschrieben, z. B. durch den chinesischen Arzt Sun Simiao (581–682 n. Chr.). Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert war es dort weit verbreitet. Im Westen waren und sind die Symptome von Beriberi im Rahmen des Wernicke-Korsakow-Syndroms eine seltene Erscheinung u. a. bei Alkoholikern mit langjähriger Mangelernährung.

Säuglingsberiberi bei Kindern tritt beim Stillen durch Mütter mit Thiamin-Mangelversorgung auf.[10] Bekannt wurde ein Fall in Israel, wo 2003 Beriberi bei Säuglingen festgestellt wurde. Die Babys waren mit einer Ersatzmilch aus Sojaeiweiß gefüttert worden. Wegen eines Herstellungsfehlers war diese Nahrung ohne Vitamin-B1-Zusatz hergestellt worden. Drei Säuglinge starben, mehrere andere erlitten schwere Gesundheitsschäden.[11]

Erste Deutungen in der japanischen Marine

Takaki Kanehiro


Der japanische Marinearzt Kanehiro Takaki[12][13] führte in den 1880er Jahren Untersuchungen über die Entstehung der Erkrankung auf Schiffen der kaiserlichen Marine durch. 1884 wurden zwei Kriegsschiffe auf eine vergleichbare, neunmonatige Reise über Neuseeland nach Südamerika und zurück nach Japan geschickt. Auf dem Schiff Tsukuba erhielten die Matrosen eine Mischdiät mit Fleisch, Fisch, Gerste, Reis und Bohnen. Auf dem Schlachtschiff Ryūjō wurde nur weißer Reis gereicht. Von den 376 Besatzungsangehörigen der Ryūjō erkrankten 161 an Beriberi, 25 tödlich. Nur 14 Männer der Tsukuba erkrankten und keiner kam zu Tode, die 14 hatten einige der zusätzlichen Nahrungsmittel heimlich verweigert.[13] Takaki vermutete einen Mangel an stickstoffhaltigen Nahrungsmitteln als Ursache, in der japanischen Kriegsmarine wurde darauf das Bordessen entsprechend angepasst und Beriberi dramatisch reduziert.

In der japanischen Armee war allerdings noch die der deutschen Schule[14] (vertreten durch Mori Ōgai) in Japan zugeschriebene These von der Infektionskrankheit verbreitet, was noch im Russisch-Japanischen Krieg 1905 zu 27.000 Todesopfern durch Beriberi führte. Im Kampf waren 47.000 Soldaten gefallen.[15]

Entdeckung des Thiamins

Struktur des Thiamins
Christiaan Eijkman

Außerhalb der japanischen Streitkräfte hatte sich jedoch nichts verändert. 1886 wurde eine Expertengruppe mit dem Holländer Christiaan Eijkman in die damals noch holländische Kolonie Indonesien gesandt, um die Krankheit zu erforschen. Zwischen 1890 und 1897 beobachtete er Mangelerscheinungen an Hühnern, die nur mit poliertem Reis aus Tischabfällen ernährt worden waren.[16] Eijkman als Anhänger der Keimtheorie war zunächst von einer bakteriellen Ursache der Erkrankung oder giftigen Bestandteile in den Tischabfällen überzeugt[16] Sein Assistent Gerrit Grijns fand heraus, dass die Symptome bei der Fütterung von ungeschältem Reis oder grünen Erbsen und Fleisch verschwanden. Beide extrahierten einen sog. „anti-polyneuritis factor“ mit Wasser und Ethanol aus Reisschalen. Eijkman selbst war lange davon überzeugt, damit ein „pharmakologisches Antidot“ gegen die im Reisendosperm (dem weißen Reis) vorhandenen „Beri-Beri-Mikroben“ oder deren Toxine in der Hand zu haben;[17] Grijns bevorzugte demgegenüber die These, dass weißem Reis eine besondere Substanz fehle, die für den Metabolismus des Nervensystems wichtig sei.[17]

Von diesen Beobachtungen angeregt, begann der polnische Biochemiker Casimir Funk in London seine Forschungen zur Beriberi. 1911 isolierte er ein Amin aus ungeschälten Reiskörnern als „Anti-beri-beri factor“, dessen Mangel er irrtümlich für die Entstehung der Erkrankung verantwortlich machte. Tatsächlich war die Substanz in der Behandlung der Beriberi unwirksam. Er hatte wohl das Niacin gefunden, dessen Mangel zu Pellagra führt. Dennoch führten ihn diese und weitere Arbeiten 1912 zur Einführung des Begriffs „vital amine“ für eine ganze Gruppe dieser lebensnotwendigen Substanzen, wovon schließlich der Begriff Vitamine abgeleitet wurde.

1926 wurde Thiamin als erstes B-Vitamin von Barend Coenraad Petrus Jansen und Willem Frederik Donath aus der Hülle des Reiskorns isoliert, und von diesen „Aneurin“ (für antineuritisches Vitamin) benannt. Sie übersahen dabei das im Molekül vorhandene Schwefelatom und veröffentlichten eine falsche Formel, was jahrelang für Verwirrung sorgte. Anderen Quellen zufolge war Suzuki Umetaro 1910 in Japan der erste, der die Substanz – unter dem Namen „aberic acid“ – isolierte und dafür ein Patent erhielt.

1929 wurde Eijkmann für seine Entdeckungen mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin (gemeinsam mit Frederick G. Hopkins, einem Pionier der Vitaminforschung) geehrt.[16] Die Synthese von Thiamin erfolgte erstmals 1936 durch Robert R. Williams.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Diet in Health and Disease Friedenwald, Julius; Ruhrah, John W.B. Saunders, Philadelphia 1905
  2. 2,0 2,1 2,2 Clin Microbiol Rev. 2003 July; 16(3): 497–516. Mycotoxins, J. W. Bennett1* and M. Klich2, wörtlich: The yellow rice toxins (citrinin, citreoviridin, luteoskyrin, rugulosin, rubroskyrin, and related compounds) are believed to have exacerbated Shoshin-kakke, a particularly malignant form of beriberi seen in Japan in the early 20th century (222)
  3. 3,0 3,1 Pediatric Beriberi. medscape.com. 16. April 2012. Abgerufen am 3. Juni 2012.
  4. Beriberi. faqs.org. Abgerufen am 3. Juni 2012.
  5. führte zu Schwierigkeiten bei der Einführung von Goldener Reis, nicht zu verwechseln
  6. Stichwort Citreoviridin im Lexikon Lebensmittel-mikrobiologie und -hygiene, von W. H. Holzapfel, Jürgen Baumgart, Hanns K Frank. Veröffentlicht von Behr's Verlag DE, 2004
  7. Das große Volks-Lexikon – Pflanzen und Umwelt, von Florian von Heintze, Lexikoninstitut Bertelsmann, 2006, ISBN 3-577-07555-4, S. 101.
  8. [http://books.google.de/books?id=LzIw3vRcpYoC&source=gbs_navlinks_s] Handbuch Vitamine: Für Prophylaxe, Therapie und Beratung Von Klaus Pietrzik, Ines Golly, Dieter Loew, S. 47
  9. [http://lexikon.meyers.de/wissen/Vitamine+(Sachartikel) Vitamine] in Meyers Online-Lexikon (Lexikon wurde am 23. März 2009 abgeschaltet)
  10. Pädiatrie, 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage Grundlagen und Praxis ISBN 978-3-540-76460--1_25 Michael J. Lentze, Franz J. Schulte, Jürgen Schaub und Jürgen Spranger
  11. Berliner Zeitung, Kunstmilch mit Risiko, BABYKOST – Die deutsche Firma Humana hat bei der Herstellung von koscherer Sojamilch massive Fehler begangen. In Israel mussten deswegen zwei Kinder sterben. Petra Ahne, Petra Wache, Lilo Berg BERLIN, 12. November
  12. Morris Low Building a Modern Japan: Science, Technology, and Medicine in the Meiji Era and Beyond. Palgrave Macmillan (2005). ISBN 1-4039-6832-2
  13. 13,0 13,1 Yoshinori Itokawa: Kanehiro Takaki (1849–1920) A Biographical Sketch. In: The Journal of Nutrition. 106. Jahrgang, Nr. 5, 5. Januar 1976, ISSN 0022-3166, ISSN 1541-6100, S. 581–588 (nutrition.org [abgerufen am 3. Juni 2012]).
  14. Eine späte Wiederaufnahme der 'deutschen Schule', eine alternative Deutung Beriberis als Schimmelpilzvergiftung findet sich bei dem Ernährungsjournalisten Udo Pollmer wie auch Ramsay Tainsh, letzter in Beriberi and Mycotoxicosis: An historical account, von Ramsay Tainsh, International Journal of Environmental Studies, Volume 19, Issue 3 & 4 September 1982, Seiten 205 - 207, dies aber im Widerspruch zur medizinischen Fachliteratur zum Thema
  15. Hawk A: The great disease enemy, Kak'ke (beriberi) and the Imperial Japanese Army. In: Mil Med. 171. Jahrgang, Nr. 4, 2006, S. 333–9, PMID 16673750 (archive.org).
  16. 16,0 16,1 16,2 The Nobel Prize in Physiology or Medicine 1929. nobelprize.org. Abgerufen am 3. Juni 2012.
  17. 17,0 17,1 Journal of Nutrition Vol. 125 No. 2 February 1995, pp. 155-163 Eijkman's Contribution to the Discovery of Vitamins. Kenneth J. Carpenter and Barbara Sutherland, Department of Nutritional Sciences, University of California at Berkeley, Berkeley, CA 94720-3104

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