Brutparasitismus
Brutparasitismus ist das Verhalten einiger Tierarten, ihr Gelege nicht selbst zu bebrüten, sondern von Ersatzeltern (Wirten) ausbrüten zu lassen, die auch die anschließende Fütterung und Führung der meist artfremden Jungtiere übernehmen. Brutparasitismus ist vor allem ein vogelkundlicher Fachbegriff, doch wird er auch in anderen Fachgebieten der Zoologie, wie zum Beispiel der Entomologie verwendet. In den meisten Fällen führt Brutparasitismus zu einem Reproduktionsnachteil der Wirtseltern.
Die Brutschmarotzer verringern damit ihren Aufwand für Brutfürsorge oder Brutpflege. Sie ersparen sich dadurch den Aufwand der Futtersuche für ihren Nachwuchs, was ihnen ermöglicht, mehr Nahrung für sich selbst zu finden und dadurch mehr Eier zu legen. Der Nachteil dieser Fortpflanzungsstrategie ist, dass manche Wirte das fremde Gelege erkennen und es entweder entfernen oder ein komplett neues Gelege beginnen.
Im Deutschen tragen parasitierende Tiere häufig den Namenszusatz Kuckucks~, zum Beispiel die Kuckucksente, Kuckucksbienen oder der Kuckucks-Fiederbartwels.
Es wird vor allem der intraspezifische und interspezifische Brutparasitismus unterschieden.
Intraspezifischer Brutparasitismus
Bei dieser Variante des Parasitierens legt ein Weibchen einer Art seine Eier in das Nest der gleichen Art. Ob es daneben selbst auch noch ein Gelege bebrütet, ist sowohl individuell als auch artspezifisch unterschiedlich. Intraspezifischer Brutparasitismus ist schwer nachweisbar, so dass er möglicherweise häufiger vorkommt als bisher angenommen. Viele Entenvögel und einige Koloniebrüter, wie zum Beispiel die Saatkrähe oder einige Schwalbenarten, zeigen zumindest gelegentlich dieses Verhalten. Immer dann, wenn Gelege ungewöhnlich groß sind, muss auch an diese Form des Parasitierens gedacht werden. Allerdings sind die Grenzen zum Gemeinschaftsbrüten manchmal fließend, so dass nicht immer von einem parasitären, die Reproduktionschancen des Wirtes mindernden Verhalten gesprochen werden kann.
Interspezifischer Brutparasitismus
Beim interspezifischen Brutparasitismus ist das parasitäre Verhalten immer feststellbar. Meistens wird nur ein Ei pro Nest abgelegt. Wachsen die Nachkommen in artfremden Nestern auf, sind sie normalerweise größer als die Jungen der Wirtseltern und können sogar deutlich größer als ihre Wirtseltern selbst werden. Durch diesen Größenvorteil erhalten sie mehr Futter als die Nachkommen der Wirtseltern und sind oft schon kurz nach dem Schlüpfen in der Lage, die anderen Jungvögel und weitere Eier aus dem Nest zu werfen, so dass sie alleine im Nest bleiben.
Interspezifischer Brutparasitismus kann fakultativ oder obligat auftreten.
Fakultativ parasitierende Eltern zeitigen meist ein eigenes Gelege, erhöhen aber ihre Reproduktion, indem sie Eier in Wirtsnester ablegen. Die Wirtseltern ziehen die fremden Jungen in der Regel neben ihren eigenen groß, so dass eine starke Synchronisation zwischen Parasit und Wirt in Bezug auf Eigröße, Brutdauer und Nahrungsgewohnheiten notwendig ist.
Obligate Brutparasiten, von denen bisher etwa 80 Arten bekannt sind, betreuen kein eigenes Gelege. Sie legen ihre Eier einzeln, seltener paarweise, in die Nester der Wirtseltern, wobei die Auswahl der Wirte sowohl in Anzahl als auch Art sehr unterschiedlich sein kann. Einige Arten, wie zum Beispiel Kuhstärlinge, parasitieren fast ausschließlich andere Stärlinge. Alle Witwenvögel (Viduinae) parasitieren einzelne Prachtfinkenarten (Estrildidae). Prachtfinkeneier und -junge werden von den schlüpfenden Witwenvögeln allerdings nicht aus dem Nest verdrängt. Sie wachsen vielmehr gemeinsam mit ihren Stiefgeschwistern auf. Sie zeigen dabei nicht nur die gleiche Körpergefieder, Rachenzeichnung, Papillen oder Schnabelrandwülste wie junge Prachtfinken, sondern gleichen diesen auch in ihren Bettelbewegungen und -lauten. Die Spezialisierung auf bestimmte Arten der Wirte ist so weit fortgeschritten, dass erfolgreiche Männchen sowohl ihren arteigenen als auch den Gesang des Wirtes beherrschen.
Ebenso scheinen alle Vertreter der Honiganzeiger (Indicatoridae) obligate Brutparasiten zu sein.
Besonders erfolgreich hat sich interspezifischer Brutparasitismus in der Vogelfamilie der Kuckucke (Cuculidae) etabliert, von deren etwa 140 Arten über 50 obligate Brutschmarotzer sind. Einige weitere parasitieren unter Aufrechterhaltung einer eigenen Brutpflege nur bei passender Gelegenheit, eine Verhaltensweise, die evolutionär als Übergangsphase zum obligaten Brutparasitismus angesehen wird. Bei obligat brutparasitierenden Kuckucken ist die parasitäre Qualität des Verhaltens sehr groß, da das Gelege bzw. die Jungen der Wirte in der Regel entweder vom legenden Weibchen oder später vom gerade erst geschlüpften Parasiten entfernt werden. Dazu haben viele Kuckucksarten eine Reihe von Anpassungen entwickelt:
- Synchronisation der Eireifung: Wahrscheinlich wird die Eireifung durch Beobachten der Nestbauaktivitäten eines potentiellen Wirtes stimuliert.
- Beschleunigte Eiablage: Bei Brutparasiten muss die Eiablage sehr schnell erfolgen, da die Wirtseltern auf Störungen empfindlich reagieren könnten. Einige Kuckucksarten können das fertige Ei im Eileiter aufbewahren, so dass sie im Gelegenheitsfall sehr schnell legen können.
- Eigröße und Eiermimikry: Viele Kuckucke haben ihre Eier in Farbe und Größe denen der Wirtseltern angepasst. Dabei ist diese Anpassung offenbar stark davon abhängig, von welchen Wirtseltern das Weibchen selbst ausgebrütet wurde.
- Gerade geschlüpfte Kuckucke einiger Gattungen (Cuculus, Caccomantis und Chrysococcis) werfen durch bestimmte schaufelnde Bewegungen des Rückens Eier und Jungvögel der Wirtseltern aus dem Nest. Einige Arten haben dafür eine kleine Mulde auf dem Rücken entwickelt.
- Besonders die Küken der meisten parasitierenden Kuckucksarten, aber auch die Küken einiger anderer Brutparasiten schlüpfen nach kürzerer Brutdauer als die der Wirtseltern und wachsen vor allem in den ersten Tagen sehr schnell heran. Das verschafft ihnen gegenüber den anderen Nestlingen einen entscheidenden Fütterungs- und Wachstumsvorteil.
Josef Reichholf hat die Ansicht vertreten, dass beim in Europa vorkommenden Kuckuck der Brutparasitismus evolutionär als Reaktion auf den Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen durch Körpergröße und -bau zu effizienteren Jagdtechniken fähigen Singvögeln entstand. Kuckucke ernähren sich demzufolge oft von behaarten Raupen und giftigen Faltern, die von anderen Singvögeln verschmäht werden, mit denen sie jedoch ihre Jungen nicht ernähren könnten. Ferner sieht er das Fressen von Wirtsvogeleiern durch Kuckucksweibchen (ebensoviele wie sie selbst in dasselbe Nest legen) als ehemalige Vorstufe des jetzigen Brutparasitismus.
Wahrscheinlich beobachten einige Brutparasiten nach der Eiablage das Verhalten der Wirtseltern. Gelegentlich wurde festgestellt, dass Nester und Gelege der Wirtseltern von den Brutparasiten zerstört wurden, wenn diese das untergeschobene Ei entfernten.
Andere Arten
Unter den Insekten ist Brutparasitismus weit verbreitet. So sind zum Beispiel alle Wespenbienen (siehe auch Kuckucksbienen) und einige Wespenarten (Kuckuckswespen) obligate Brutparasiten. Wespenbienen, die auf Grund ihrer Brutbiologie auch Kuckucksbienen genannt werden, parasitieren vor allem Sandbienenarten. Da die meisten Wespenbienen wirtsspezifisch sind, kann eine starke Vermehrung dieser Insekten zum Zusammenbruch der Bestände der Wirtsart führen, was allerdings auch den lokalen Zusammenbruch der parasitären Art nach sich zieht. Auch unter den Schwebfliegen gibt es eine Reihe obligater Brutparasiten, so zum Beispiel (Volucella pellucens), die Hummel-Schwebfliege.
Die einzigen Fische, von denen bekannt ist, dass sie Brutparasitismus betreiben, sind die hauptsächlich im Tanganjikasee vorkommenden Kuckucks-Fiederbartwelse (Synodontis multipunctatus und S. grandiops), die ihre Eier maulbrütenden Cichliden unterschieben.
Literatur
- Einhard Bezzel, Roland Prinzinger: Ornithologie. 2. völlig neubearbeitete und erweiterte Auflage. Ulmer, Stuttgart 1990, ISBN 3-8001-2597-8 (UTB für Wissenschaft. Grosse Reihe).