Darwinismus
Als Darwinismus bezeichnet man die Theorie der biologischen Evolution von Charles Darwin, wobei manche mit dieser Bezeichnung eine besondere Betonung auf Evolution durch natürliche Auslese legen. Daneben wird der Begriff auch in der Bedeutung des universellen Darwinismus verwendet, einer Theorie der Evolutionsmechanismen, die besagt, dass in beliebigem Rahmen (d. h. auch außerhalb der Biologie) bei Vorhandensein von Evolutionsfaktoren eine Evolution stattfindet. Im 19. Jahrhundert war Darwinismus auch ein gebräuchlicher Oberbegriff für mehrere Theorien und Konzepte aus der Biologie, der Philosophie und den Gesellschaftswissenschaften. Die Bezeichnung Darwinismus wird oft abwertend von Gegnern gebraucht. Deshalb, aber vor allem weil es sich nicht um einen „Ismus“ im Sinne einer Ideologie, sondern um ein von Darwin erkanntes Naturprinzip handelt, wird diese Bezeichnung heute von vielen Evolutionsbiologen abgelehnt.[1] Der Begriff Darwinismus wurde im April 1860 von Thomas Henry Huxley geprägt, als er im Westminster Journal Darwins On the Origin of Species besprach.[2]
Evolutionstheorie
Die Evolutionstheorie (biologische Evolution) erklärt die Entstehung, die Entwicklung und die Vielfalt des Lebens auf natürliche, d. h. physikalisch-chemische Weise. Grundsätzlich wird der Begriff Darwinismus verwendet, um die Evolutionstheorie Darwins von anderen Evolutionstheorien zu unterscheiden, beispielsweise von dem nach Lamarck benannten Lamarckismus. Sie basiert auf der Vererbung, der Veränderung (Mutation) und der natürlichen Auslese (Selektion). In diesem Zusammenhang wird der Begriff Darwinismus auch manchmal verwendet, um den Aspekt der natürlichen Auslese besonders zu betonen, der von Darwin erstmals behandelt wurde und den entscheidenden Unterschied zu anderen, diskreditierten Evolutionstheorien bildet, wie Lamarckismus oder Mutationismus, die nur noch von historischer Bedeutung sind. Manchmal wird in diesem Zusammenhang auch von Selektionstheorie gesprochen, jedoch ist dieses Wort umstritten, da es die beiden anderen Faktoren ausblendet.
Weiterhin wird die Bezeichnung Darwinismus benutzt, um die Rolle von Charles Darwin als Vordenker der Evolution hervorzuheben, oder auch um eine Abgrenzung von nicht durch Darwin einbezogenen Evolutionsmechanismen vorzunehmen, wie Gendrift und Genfluss, welche in der modernen Synthese (synthetische Evolutionstheorie) unter anderen Aspekten neu eingeführt wurden. Oft wird in diesem Zusammenhang von Neodarwinismus gesprochen, einem auf August Weismann zurückgehenden Begriff, der einen Zwischenschritt zwischen der Darwinschen und der Synthetischen Theorie bezeichnet: Dabei war die Vererbung über Gene bereits einbezogen, noch nicht jedoch die Populationsgenetik. Aber auch dieser Begriff ist umstritten.
Durch die Weiterentwicklungen innerhalb der Biologie hat der Darwinismus (im Sinne der Darwinschen Evolutionstheorie) heute im Wesentlichen nur noch historische Bedeutung.
Der Begriff des Darwinismus wird von Kreationisten bzw. Gegnern der Evolutionstheorie als eine eher abschätzige Bezeichnung für die Evolutionsbiologie im Allgemeinen sowie die Evolutionstheorie im Speziellen verwendet. Sie sprechen dabei von Evolution in der Rolle eines -ismus – einer Lehre bzw. eines Glaubens –, um darauf aufbauend die Gleichbehandlung von Glaubensauffassungen wie dem Kreationismus zu fordern. Im gleichen Kontext wird oft auch die Bezeichnung Evolutionismus benutzt; dieser Begriff hat aber in der Ethnologie eine andere Bedeutung.
Darwinismus im 19. Jahrhundert
In den Jahrzehnten nach dem Erscheinen von Darwins Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life (Deutsch: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe ums Dasein) (1859) stand Darwinismus für eine ganze Bandbreite von auf Evolution basierenden (und damals z.T. revolutionären) Philosophien sowohl in der Biologie als auch in den Gesellschaftswissenschaften. Einer der prominenteren Ansätze wurde vom Philosophen Herbert Spencer in dem Schlüsselsatz Survival of the Fittest (dt.: Überleben des am besten Angepassten) zusammengefasst. Dieser wurde später als Sinnbild für den Darwinismus verwendet, obwohl Spencers eigenes Verständnis von Evolution mehr dem von Lamarck als dem von Darwin entsprach. Was heutzutage als Sozialdarwinismus bezeichnet wird, war damals im Begriff des Darwinismus enthalten – die Anwendung der Darwinschen Prinzipien des Überlebenskampfs auf die Gesellschaft, für gewöhnlich zugunsten von anti-philanthropischen politischen Strömungen. Dabei wurde Darwins Begriff der besten Anpassung oft als die Überlegenheit des Stärkeren und der Kampf ums Dasein als gewalttätiger Krieg um das Überleben verstanden. Eine andere Interpretation vertrat insbesondere Darwins Vetter Francis Galton. Er glaubte an eine vordergründige Gefahr, dass in einer Zivilisation die natürliche Selektion nicht mehr funktionieren würde und dass überlegene Menschenrassen deshalb von unterlegenen Rassen (die sonst ausgefiltert würden) überflutet würden. Er hielt Gegenmaßnahmen für notwendig – die Grundlage der Eugenik.
Zu Lebzeiten Darwins gab es keine klare Definition des Darwinismus-Begriffs. Er wurde von Anhängern wie Gegnern von Darwins Theorie gleichsam in jeder beliebigen Bedeutung verwendet, die in den größeren Kontext passte.
Oscar Hertwig nahm in seiner Schrift Zur Abwehr des ethischen, des sozialen, des politischen Darwinismus (1921) gegen diese die gesellschaftliche Entwicklungen massiv beeinflussenden Strömungen ausführlich Stellung.
Universeller Darwinismus
Das Konzept des von Richard Dawkins und Daniel Dennett[3] vorgeschlagenen universellen Darwinismus verallgemeinert den Darwinismus auf Gebiete auch außerhalb der Biologie. Dabei wird folgendes Schema genutzt:
- Reproduktion/Vererbung: Eine Anzahl von Einheiten, sogenannte Replikatoren, müssen fähig sein, Kopien von sich selbst anzufertigen oder andere Einheiten zu veranlassen, entsprechende Kopien zu erzeugen. Die Kopien müssen ebenfalls reproduktionsfähig sein und müssen Eigenschaften erben. Dabei werden verschiedene Variationen rekombiniert.
- Variation: Es muss eine Bandbreite von verschiedenen Merkmalen in der Population der Einheiten gegeben sein. Es muss einen Mechanismus geben, der neue Variationen in die Population einführt. Diese Varianten können zum Beispiel durch ungenaue Replikation entstehen.
- Selektion: Vererbte Merkmale müssen (auf längere Sicht gesehen) die Reproduktionsfähigkeit der Einheiten beeinflussen, entweder durch Überlebensfähigkeit (natürliche Selektion) oder die Fähigkeit, für die Reproduktion notwendige Partner zu finden (sexuelle Selektion). Die Überlebensfähigkeit kann sich dabei auf die konkrete Umgebung beziehen, einschließlich anderer entsprechender Systeme. Selektionsursachen können zum Beispiel Ressourcenknappheit oder die Möglichkeit zu Kooperation sein.
Wenn ein Replikant (Erbe) der Einheit oder des Organismus bis zur weiteren Reproduktionsstufe überlebt, beginnt der Prozess von neuem. Im anderen Fall kann er seine Eigenschaften nicht an die kommende Generation weitergeben. Bei engeren Formulierungen wird manchmal zusätzlich verlangt, dass Variation und Selektion auf verschiedene Einheiten wirken, Variation beim Genotyp und Selektion beim Phänotyp.
Das Konzept des universellen Darwinismus geht nun davon aus, dass bei jedem System mit diesen Bedingungen Evolution stattfinden wird, ganz gleich in welchem konkreten Rahmen. Das heißt, dass sich bei den Einheiten mit der Zeit komplexe Eigenschaften herausbilden, die ihre Reproduktion begünstigen, während in jeder Generation auch ein Teil verdrängt wird (d. h. ausstirbt). Teilweise können Eigenschaften auch an Komplexität verlieren, wenn der entsprechende Selektionsdruck nachlässt oder sich eine weniger komplexe Eigenschaft als vorteilhafter durchsetzt. Der Universelle Darwinismus sagt für die Entwicklung keine Zielrichtung voraus.
Ganz offensichtlich kann sich dies auf die biologische Evolution beziehen. Es gibt jedoch auch andere potentielle Bereiche, wovon das Mem, das als Replikator wirkt, wohl am bekanntesten ist. Es ist ein Konzept der Weitergabe und Veränderung von Ideen, das von Richard Dawkins in seinem Buch Das egoistische Gen (1976) eingeführt wurde. Es ist jedoch umstritten, ob dies ein darwinischer Prozess ist, da es keine zwingenden Anzeichen dafür gibt, dass die bei den Memen stattfindenden Mutationen zufälliger Natur sind.
Kritik am Universellen Darwinismus
Voraussetzung darwinistischer Entwicklungen ist die Blindheit der sich entwickelnden Individuen gegenüber den Rahmenbedingungen. Nur unter dieser Bedingung kann von rein zufälligen Vorgängen gesprochen werden. Wer den Menschen für erkenntnisfähig hält, z. B. zur Erkenntnis eines in der Natur vorhandenen Evolutionsgeschehens, der wird darwinistische Systematik nicht auf menschliche, zumindest nicht auf intellektuelle Phänomene anwenden können. Susan Blackmores Meme-Versuch demonstriert gemäß solchen Auffassungen das Misslingen einer entsprechenden Übertragung.
Siehe auch
- Geschichte der Evolutionstheorie
- Kulturdarwinismus
- Soziokulturelle Evolution, Neoevolutionismus
- Synthetische Evolutionstheorie
- Evolutionary Archaeology
Einzelnachweise
- ↑ E. O. Wilson sprach von „Scientists don't call it 'Darwinism'.“ in Jerry Adler: Charles Darwin: Evolution of a Scientist. Newsweek (28. November 2005).
- ↑ T. H. Huxley: Darwin On The origin of Species. In: Westminster Review. Band 17, April 1860, S. 541-570 online
- ↑ D. C. Dennett (1995): Darwin's Dangerous Idea: Evolution and the Meanins of Life: Evolution and the Meanings of Life. New York: Simon & Schuster, S. 343
Literatur
- Charles Darwin: On the Origin of Species. Faksimile der Erstausgabe, Harvard Univ. Press, 2003, ISBN 0-674-63752-6.
- Guenter Altner (Hrsg.): Der Darwinismus, Geschichte einer Theorie (Darmstadt 1981). Sammlung von historischen, kurzen zentralen Auszügen aus Originalarbeiten die recht breit als darwinistisch zu bezeichnen sind.
- Thomas P. Weber: Darwinismus (2002), Reihe Fischer kompakt.
- Franz Wuketits: Darwin und der Darwinismus, München 2005. ISBN 3-406-50881-2.
- James Watson: Darwin: The Indelible Stamp, The Evolution of an Idea. Running Press, 2005, ISBN 0-7624-2136-3.
Weblinks
- Eintrag In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy
- Eva Jablonka, Marion Lamb: Die Säulen des Darwinismus, Project Syndicate, Februar 2009.