Entwicklung von Einzellern zu Vielzellern


Die Entwicklung von Einzellern zu Vielzellern ist die Entwicklung vom niederen, einfach gebauten, autarken Organismus zu einem hoch entwickelten, komplex strukturierten, independenten (umweltunabhängigen) Lebewesen.

Deshalb wird diese Evolutionsrichtung als Höherentwicklung bezeichnet. Sie weist folgende Merkmale auf:

  1. Zunahme der Zelldifferenzierung
  2. Zunahme der Komplexität
  3. Zunahme der Funktionsfähigkeit
  4. Zunahme der Umweltunabhängigkeit

Der Entwicklungsprozess vollzieht sich immer über eine Übergangsform, die man als Zellverband oder Kolonie bezeichnet.

Entwicklungen

Pflanzen

Im Reich der Pflanzen lässt sich die Entwicklung vom Ein- zum Vielzeller besonders gut an den Grünalgen-Familien Chlamydomonadaceae, Goniaceae und der Volvocaceae zeigen. Zur Veranschaulichung hierfür sollen die Vertreter Chlamydomonas, Gonium, Eudorina und Volvox dienen. Die Chlamydomonas ist eine einfach gebaute einzellige Grünalge, welche bevorzugt im Süßwasser und in feuchter Erde lebt. Dieser Einzeller besitzt eine Größe von ca. 20 µm. Die Chlamydomonas ist stark von ihrer Umgebung abhängig. Eine minimale Änderung eines Umweltfaktors kann das Absterben der ganzen Population der Chlamydomeni zur Folge haben. Da die Chlamydomonas nur aus einer Zelle besteht, müssen alle ihre Lebensfunktionen in dieser Zelle ablaufen. Es gibt keine spezialisierten Zellen, in denen Reaktionen (z. B. Aerobe Atmung, Photosynthese) getrennt voneinander stattfinden können, das heißt, es existiert keine Zelldifferenzierung. Durch diesen Umstand hat die Chlamydomonas große Einschränkungen in ihrer Funktionsvielseitigkeit und -fähigkeit.

Wird die Zellwand einer einzelnen Chlamydomonas verletzt, hat dies unweigerlich ihren Tod zufolge, da das Zellplasma austritt und somit alle Stoffwechselvorgänge zum Erliegen kommen. Die Chlamydomonas kann trotz ihrer Verletzlichkeit als potenziell unsterblich angesehen werden, da sie sich ungeschlechtlich (durch Zellteilung) vermehrt und dadurch niemals ein Zelltod aus Altersgründen, und damit die Bildung einer Leiche, eintreten kann solange sie wächst und sich vermehrt.[1][2] Aus einer Chlamydomonas-Mutterzelle entstehen zwei genetisch identische Tochterzellen, d. h. dass die genetische Vielfalt sehr gering ist. Das untermauert wiederum das Merkmal der Umweltabhängigkeit einfacher Lebewesen, da bei Auftreten einer Krankheit die gesamten Chlamydomeni erkranken und absterben können.

Im Laufe der Zeit schlossen sich verschiedene Chlamydomeni zusammen. So entstanden nach und nach andere Organismen.

Dieses Übergangsstadium ist heute noch an Algen wie Gonium (8–16 Zellen) und Eudorina (16–32 Zellen) zu erkennen. Die Zellen dieser Grünalgen-Arten ähneln sehr stark denen der Chlamydomonas. Sie leben in der Form einer Zellkolonie zusammen. Es gibt keinen Stoffaustausch zwischen den einzelnen chlamydomonasähnlichen Zellen. Jede Zelle für sich genommen ist ein einzelnes funktionsfähiges Lebewesen, welches alle Lebensprozesse selbstständig ausführt. Die Kolonien sind von einer gallertartigen Substanz umgeben, welche von den einzelnen Zellen produziert wird. Das setzt voraus, dass die Komplexität und Funktionsfähigkeit zugenommen hat, weil neue chemische Stoffe geschaffen werden mussten und neue Strukturen entstehen mussten.

Gonium hat eine scheibenförmige Anordnung, Eudorina weist bereits eine Hohlkugelform auf und wird deshalb schon zur die Familie der Volvocaceae gezählt.

Auch die Umweltunabhängigkeit steigt durch diese strukturellen Veränderungen, da die Grünalgen durch die Gallerthülle einen besseren Schutz gegen Umwelteinflüsse (Wärme, Strömung) erhalten. Das Absterben einer einzelnen Zelle führt nicht zum Tod der gesamten Kolonie. Vielmehr erhöht das Zusammenleben in der Kolonie die Vermehrungs- und Überlebenschancen, weil die Vermehrung immer noch wie bei der Chlamydomonas über Zellteilung abläuft und jede Koloniezelle in der Lage ist, diese Art der Fortpflanzung zu realisieren. Daraus folgt, dass Gonium und Eudorina auch die potentielle Unsterblichkeit besitzen.

Die Kugelalge Volvox (lat. „Ich rolle!“) ist die nächste Entwicklungsstufe. Sie besteht aus mehreren tausend chlamydomonasähnlichen Zellen und erreicht eine Größe bis zu 800 µm. Die einzelnen Zellen sind untereinander mit Plasmabrücken verbunden, welche den Stoff- und Informationsaustausch dienen. Dadurch steigt die Funktionsfähigkeit und Komplexität gegenüber von Gonium und Eudorina. Herrscht beispielsweise bei einer Zelle Nahrungsknappheit, wird sie über die Plasmabrücken von Zellen, die einen Nährstoffüberschuss haben, mitversorgt.

Es hat außerdem eine Zelldifferenzierung und Spezialisierung stattgefunden, es erfolgte eine Höherentwicklung. Die chlamydomonasähnlichen Zellen haben sich in Körperzellen und Fortpflanzungszellen geteilt. Jeder Zelltyp hat nun seine spezifischen Aufgaben. Die Körperzellen dienen ausschließlich der Nahrungsversorgung und der Strukturerhaltung und die Fortpflanzungszellen der Fortpflanzung. Fortpflanzungszellen bilden im Inneren der Mutterkugel eine Tochterkolonie. Wenn sie groß genug sind, bringen sie die Mutterkugel zum Platzen. Die Volvox ist deshalb als eines der ersten Lebewesen anzusehen, welches einen programmierten Zelltod besitzen.

Tiere

Bei tierischen Lebewesen verlief eine ähnliche Entwicklung, wie bei den Pflanzen. Als Beispielvertreter dienen hier Codonosiga, der Süßwasser-Schwamm und der Polyp.

Die einzellige Codonosiga vereinte alle Lebensfunktionen in einer Zelle. Es findet eine Vermehrung durch Zellteilung statt. Die genetische Vielfalt ist dadurch sehr stark eingegrenzt. Auch reagiert Codonisiga sehr empfindlich auf Umwelteinflüsse, da sie sich sehr stark an ihre Umgebung angepasst hat.

Im Verlaufe der Evolution schlossen sich mehrere Codonosiga-Individuen zusammen und bildeten eine Kolonie die man heute als Süßwasser-Schwamm bezeichnet. Dabei begannen sich einige Codonosiga-Individuen zu spezialisieren und es entstand einen Arbeitsteilung dieser Zellen. Die Evolution der Schwämme ging weiter und die Zellen wurden immer komplexer und differenzierter (vgl. Abbildung).

Die Funktionsfähigkeit der Schwämme nahm zu und damit auch die Unabhängigkeit von der Umwelt. Dadurch verbesserten sich ihre Überlebens- und Vermehrungschancen enorm.

Der nächste Schritt dieser Entwicklungskette war das Entstehen der Polypen. Die Zellen eines Schwammes differenzierten sich noch mehr und die Komplexität des Baues nahm noch weiter zu. Dadurch konnten neue Funktionen den nun stark differenzierten Zellen zugewiesen werden. Der Polyp gewann durch diese Entwicklung noch mehr Umweltunabhängigkeit und er wurde zu einem echten Vielzeller, da alle Zellen aufeinander angewiesen sind und spezialisierte Funktionen haben.

Siehe auch

Quellen

  • Hermann Linder: Biologie – Lehrbuch für die Oberstufe, 11.–13. Schuljahr, Gesamtband, 21., neubearb. Auflage, Schroedel Verlag, Hannover 1998, ISBN 3-507-10580-2.
  • Wilfried Probst, Petra Schuchardt: Duden. Basiswissen Schule. Biologie Abitur (Gebundene Ausgabe), Bibliographisches Institut (PAETEC), Mannheim 2004, ISBN 3-411-04550-7.
  • Wolfgan Miram, Karl-Heinz Scharf: Biologie heute SII, Schroedel Verlag, Hannover 1996, ISBN 3-507-10540-3.

Einzelnachweise

  1. Peter Sitte, Elmar Weiler, Joachim W. Kadereit, Andreas Bresinsky, Christian Körner: Lehrbuch der Botanik für Hochschulen. Begründet von E. Strasburger. 35. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2002, ISBN 3-8274-1010-X, S. 685
  2. Wilhelm Nultsch: Allgemeine Botanik. 8. Auflage. Thieme, Stuttgart 1986, S. 167

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