Haller-Organ
Das Haller’sche Organ ist eine Struktur an den Vorderbeinen von Zecken (Ixodidae), die spezifische Chemorezeptoren trägt. Es dient dazu, chemische Verbindungen zu detektieren, die der Wirtsfindung dienen. Das Organ ist bei allen Zeckenarten in allen Entwicklungsstadien vorhanden.
Morphologie
Das Organ befindet sich an der Oberseite des Tarsus, dem letzten Beinsegment, des ersten Beinpaars (Vorderbeine). Es besteht aus zwei benachbart zueinander liegenden Strukturen. Vorne (distal) liegt eine langgestreckte, mehr oder weniger stark eingetiefte Grube. Dahinter liegt eine stark verhärtete (sklerotisierte) hohle Kapsel, die nur mit einer Pore nach außen geöffnet ist. Von außen sichtbar ist vielfach nur die Pore auf einer kuppelförmigen Verdickung, die aus dem Oberteil der Kapsel besteht, bei manchen Gattungen wie Ixodes kann die Öffnung aber recht weit sein, so dass große Teile der Kapselinnenseite sichtbar sind. Sowohl in der Grube wie innerhalb der Kapsel befindet sich eine (artspezifisch verschiedene) Anzahl von Haaren, die als Sinnesorgane (Sensillen) wirken. Die Anzahl der Haare beträgt typischerweise etwa 15 bis 20, davon 6 oder 7 frei sichtbar innerhalb der Grube. Die Haarsensillen in der Kapsel können teilweise nach außen ragen. Ihre Anordnung in der Kapsel dient vermutlich als Schutz gegen mechanische Beschädung, evtl. auch gegen Austrocknung.
Die Sinneshaare in der Kapsel sind mit einer Vielzahl von kleinen, porenförmigen Öffnungen versehen. Dadurch wird ihre Funktion als chemische Sinnesorgane (Chemosensoren) erkennbar. Flüchtige Substanzen aus der Umgebung können durch die Poren in den hohlen Innenraum (Lumen) des Haares diffundieren. Darin findet sich eine Ansammlung von Rezeptorneuronen, die olfaktorische Reize erkennen und weiterleiten können. Die Sinneshaare der distalen Grube besitzen nicht alle Poren. Möglicherweise dienen sie eher als Feuchterezeptoren.
Neben dem Haller’sche Organ besitzen Zecken eine Reihe weiterer chemorezeptorischer Sinneshaare, die auf den Tastern (Palpen) seitlich der Mundwerkzeuge und den beiden vorderen Beinpaaren sitzen. Ihre Anzahl ist aber gegenüber blutsaugenden Insekten gering. Die Gesamtzahl der Chemorezeptoren in allen tarsalen Sinnesorganen liegt bei Zecken kaum höher als etwa 100.
Sensorik
Die Rezeptoren ermöglichen es der Zecke, chemischen Verbindungen wie Kohlendioxid, Ammoniak, Schwefelwasserstoff und eine Vielzahl organischer Komponenten wie z.B. Benzaldehyd wahrzunehmen, die im Atem oder Schweiß ihrer Wirtsarten vorkommen. Dabei besitzen verschiedene Rezeptoren unterschiedliche Zielmoleküle und Empfindlichkeiten. Phenolrezeptoren erkennen Phenolverbindungen wie o-Chlorophenol, o-Bromophenol, o-Methylphenol und einige Derivate; Lactonrezeptoren erkennen γ-Valerolacton. Sensillen mit Empfindlichkeit gegenüber Buttersäure kommen vor, dieser Sinn ist aber weit weniger ausschlaggebend für die Wirtsfindung wie nach Pionieruntersuchungen (vor den 1950er Jahren) angenommen worden war.
Die Zecke ist wahrscheinlich in der Lage, mögliche Wirte über weite Entfernungen (10-15m) wahrzunehmen..[1] Bei der tropischen Rinderzecke Amblyomma variegatum dient das Organ auch zur Wahrnehmung eines Aggregations-Pheromons. Dieses geben Männchen ab, sobald sie einen Wirt gefunden haben, sie dienen damit den Weibchen und den übrigen Tieren als eine Art "Pfadfinder". Als eine der Komponenten des Pheromons konnte 2-Nitrophenol identifiziert werden.
Quellen
- Heinz Mehlhorn (Hrsg.): Encyclopedic Reference of Parasitology. Springer 2001, ISBN 3-540-66239-1.
- Pascal Steullet: Perception of vertebrate volatiles in the tropical bont tick, Amblyomma variegatum Fabricius. Thèse présentée à la Faculté des Sciences de l'Université de Neuchâtel pour obtenir le grade de docteur es sciences. 1993.
- R.F. Foelix, R.T. Axtell: Ultrastructure of Haller's Organ in the Tick Amblyomma americanum. In: Zeitschrift für Zellforschung. 124, 1972, S. 275-292.
Einzelnachweise
- ↑ S.A. Leonovich: Phenol and lactone receptors in the distal sensilla of the Haller’s organ in Ixodes ricinus ticks and their possible role in host perception. In: Exp Appl Acarol. 2004;32(1-2), S. 89-102. PMID 15139275