Hirnstamm-Implantat


Ein Hirnstamm-Implantat (engl. Auditory Brainstem Implant, ABI, auch zentral-auditorisches Implantat) ist ein kleines elektronisches Gerät zur direkten Stimulierung der Hörbahnen im ersten Hörkern im Gehirn, d. h. im Hirnstamm.

Technik

Ein Hirnstamm-Implantat ist ein modifiziertes Cochleaimplantat (CI); statt des Innenohres wird jedoch der erste Hörkern (Nucleus cochlearis) im Hirnstamm elektrisch stimuliert.

Neben der Stimulationselektrode mit insgesamt 21 einzelnen "Knopfelektroden" besteht das Implantat aus einem Elektronikteil und einer Empfangsantenne mit einem Magneten, die unter die Haut in den Schädelknochen hinter dem Ohrbereich eingelassen werden (wie bei einem Cochleaimplantat).

Die Empfangsantenne des Implantats empfängt Signale von einem außen angelegten Sprachprozessor, der seinerseits mit einem Mikrophon Schallwellen aufnimmt. Sie werden im Prozessor in eine Abfolge von elektrischen Impulsen umgewandelt, die durch die Haut zum Implantat gesendet werden. Der Sprachprozessor enthält auch die Batterie zur Energieversorgung.

Indikation

Das ABI ist vor allem für erwachsene NF2-Patienten (Neurofibromatose Typ2 ) konzipiert und weiterentwickelt worden. NF2 führt unter anderem dazu, dass sich Tumoren vor allem am Hörnerv, der akustische Signale von der Cochlea zum Gehirn leitet, entwickeln können. Eine Folge davon ist, dass der Tumor an die Hörnerven drückt, er kann aber auch andere Nerven in derselben Region schädigen. Deshalb gibt es in der Regel keine andere Möglichkeit, als den Tumor zu entfernen - oft werden die Hörnerven durchtrennt oder so geschädigt, dass keine akustischen Signale mehr weiter geleitet werden können. Damit besteht keine Verbindung mehr zwischen der Cochlea und dem Gehirn, so dass auch kein CI Verwendung finden kann.

Seit einigen Jahren ist der Indikationsbereich um Patienten erweitert, die nicht von NF2 betroffen sind sondern beispielsweise eine postmeningitisch komplett ossifizierte Cochlea, Otosklerose, Hörnervenaplasie oder eine posttraumatische Hörnervenverletzung haben oder zu „Cochlea Implant-Versagern“ gehören.[1]

Das ABI, von der Firma Cochlear AG entwickelt, ist in den USA von der Food and Drug Administration (FDA) bei Jugendlichen ab zwölf Jahren zugelassen. Das von MED-EL entwickelte Gerät ist in den USA erst ab 15 Jahren zugelassen.

Kontraindikationen

Gegenanzeigen für die Implantation eines ABI sind zentrale Taubheit mit Funktionsstörungen im Bereich der zentralen Hörbahnen, schwere Allgemeinerkrankung oder eine schlechte Prognose aufgrund einer Grunderkrankung.

Bedenken bestehen bei Kindern unter zwölf Jahren, da durch das Körperwachstum gegenseitige negative Beeinflussungen von Implantat und Hirnstamm möglich sein sollen.[2]

Implantation

Vom individuellen Fall abhängig, werden gegebenenfalls vor der Operation noch Tumore entfernt und im folgenden das Funktionssystem mittels entsprechender Diagnostik überprüft. Wenn hier kein Funktionsverlust zu verzeichnen ist, kommt es dann zu einer Implantation, bei der ein Neurochirurg die Elektrode am Hirnstamm platziert. Dabei orientiert er sich mittels eines elektrophysiologischen Monitorings über die funktionell richtige Lage.

Durch das Monitoring soll sichergestellt werden, dass später möglichst viele Elektroden Höreindrücke ohne Nebeneffekte erzeugen. Nebeneffekte sind beispielsweise Schwindel, Muskelzuckungen im Gesicht oder anderen Körperteilen, Schluckreiz oder Kribbeln im Hals; sie treten auf, wenn durch eine Elektrode keine Hörzelle, sondern eine andere Sinneszelle stimuliert wird. Theoretisch ist es möglich, dass durch Veränderungen im Bereich des Hirnstammes Elektroden erst nach einiger Zeit Nebenwirkungen hervorrufen. Diese sind dann allerdings nicht spontan zu erwarten.

Anwendung

Bei abgeschlossener Wundheilung erfolgt nach etwa 12 Tagen der erste Funktionstest mit Stimulierung einiger Elektroden. Dabei erlebt der Patient die ersten Höreindrücke, die nach einer Übungsphase auch das Erkennen sprachlicher Informationen ermöglichen sollen. Im Vergleich zu einem Cochleaimplantat wurde die Spracherkennung jedoch als schlechter beschrieben: zwar würden Umweltgeräusche besser wahrgenommen und das Sprachverstehen bei gleichzeitigem Lippenablesen verbessert, ein Sprachverstehen ohne Lippenablesen werde jedoch selten erreicht.[3] Durch technische Weiterentwicklung solle sich dies jedoch auch für bereits implantierte Patienten verbessern lassen.

Bis zum Jahr 2003 wurden weltweit 247 erwachsene Patienten mit einem ABI versorgt. In Deutschland sind bis 2003 circa 25 Erwachsene, aber keine Kinder unter 12 Jahren implantiert worden.

Einzelnachweise

  1. Hirnstammimplantat bei Nontumor-Patienten. Medizinische Hochschule Hannover
  2. Interview mit einem Neurochirurgen
  3. M. Lenarz (Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Medizinischen Hochschule Hannover): Auditorisches Hirnstamm- und Mittelhirnimplantat, 8. Innovationsgipfel der MMH, 2008.

Weblinks

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