Hormonersatztherapie


Hormonersatztherapie (HET) (engl. hormone replacement therapy / HRT) bezeichnet die medizinische Verwendung von Hormonen zur Behandlung von Beschwerden, die auf einen relativen oder absoluten Mangel eines oder mehrerer Hormone zurückgeführt werden können. Im engeren Sinne wird mit Hormonersatztherapie die Gabe von Medikamenten in den Wechseljahren (Klimakterium bei Frauen, und Klimakterium virile bei Männern) und als begleitende geschlechtsangleichende Maßnahme bei Transsexualität bezeichnet. Der Begriff selbst ist strittig, da es sich um eine Unterart der Hormontherapie handelt und nicht ein kompletter Ersatz des endogenen Hormonstoffwechsels stattfindet.

Postmenopausale Hormonersatztherapie

Grundsätze der Behandlung

Die postmenopausale Hormonersatztherapie soll die Beschwerden durch eine sich verändernde endogene Hormonproduktion der Frau lindern. Da es sich um eine elektive Maßnahme handelt, sind besonders hohe Anforderungen an die Ärztliche Aufklärung zu Vor- und Nachteilen, Risiken bei Langzeitbehandlung sowie den wesentlichen Fakten zu stellen. Als einzige Indikation zur postmenopausalen Hormonersatztherapie gilt die Behandlung postmenopausaler Beschwerden wie Hitzewallungen und Atrophie der Vaginalschleimhaut und Vulva (siehe Klimakterium). Die Prävention von Erkrankungen (z.B. Osteoporose) ist keine Indikation für eine Hormonersatztherapie.

Grundsätzlich kann entweder eine Monotherapie mit Östrogenen oder eine sequentielle Therapie mit Östrogen und Gestagen durchgeführt werden, die Auswahl ist hierbei von verschiedenen Faktoren abhängig.[1] [2] Die Dosierung der Hormone richtet sich nach der geringsten Dosis, mit der sich die klimakterischen Beschwerden adäquat behandeln lassen. Als Darreichungsform stehen Tabletten sowie Pflaster, Cremes und Gele zur transdermalen Applikation und östrogenhaltige Cremes bzw. Ovula, Pessare und Vaginalringe zur lokalen Behandlung ausschließlich urogenitaler Beschwerden zur Verfügung. Die Auswahl der Applikationsform soll dem Wunsch der Patientin nach Beratung durch den Arzt entsprechen. Bei gleichzeitig vorliegenden Störungen des Fettstoffwechsels mit Hypertriglyzeridämie empfehlen Picker et al. die perorale Behandlung[3], bei familiären Gerinnungsstörungen, Patientinnen mit Migräne oder Epilepsie raten Douketis et al. zur transdermalen Anwendung.[4]

Vor Beginn der Behandlung

Vor einer Hormonersatztherapie sollte eine umfangreiche Anamneseerhebung unter Einschluss der Familienanamnese durchgeführt werden. Eine gynäkologische Untersuchung mit Untersuchung der Brust, einem Pap-Test und eine nicht mehr als zwei Jahre alte Mammografie sind ebenfalls erforderlich. Blutdruck und Körpergewicht vor Beginn der Behandlung sollten dokumentiert werden.

Kontraindikationen

Als Kontraindikationen (Gegenanzeigen) für eine Hormonersatztherapie gelten:

  • eine Brustkrebserkrankung
  • Endometriumkarzinom (relative Kontraindikation, Einzelfallentscheidung)
  • diagnostisch nicht geklärter blutiger Ausfluss aus der Vagina
  • höhergradige, schlecht behandelbare Herzinsuffizienz
  • therapieresistenter Bluthochdruck
  • schwere Lebererkrankungen
  • systemischer Lupus erythematodes
  • tiefe Beinvenenthrombose oder Zustand nach Lungenembolie
  • bekannte Störungen der Blutgerinnung

Kontrolle während der Behandlung

Nach Beginn der Hormonersatztherapie sollte regelmäßig die Wirksamkeit der Behandlung überprüft werden, dies beinhaltet ärztliche Kontrolluntersuchungen. Vor allem soll beurteilt werden, ob die zu behandelnden Wechselbeschwerden rückläufig sind und ob eine Zufriedenheit mit der Behandlung und deren Ergebnissen vorliegt. Im weiteren Verlauf sollten regelmäßige, jährliche Kontrolluntersuchungen mit Erfassung des Blutdrucks, Körpergewicht und gynäkologischer Kontrolluntersuchung inklusive Untersuchung der Brust stattfinden. Die Durchführung eines PAP-Abstriches sowie eine Mammographie wird alle zwei Jahre empfohlen, hierbei sollte auf vorhandene Screening- und Vorsorgeprogrammen geachtet werden.[5] [6]

Ende der Behandlung

Derzeit gibt es keine allgemein verbindliche Empfehlung über die Dauer einer Hormonersatztherapie, Einleitung, Durchführung und Beendigung müssen individuell im Dialog zwischen der betreffenden Frau und dem behandelnden Arzt beschlossen werden. Die Indikation zu einer weiteren Durchführung der Therapie sollte jedoch jährlich überprüft werden.[7]  Die Behandlung ist in jedem Fall beim Auftreten einer der oben genannten Kontraindikationen zu beenden.

Abwägung der Vor- und Nachteile

Da es derzeit keine allgemeingültige Empfehlung zur Durchführung der Hormonersatztherapie gibt, muss vor der Therapie eine Abwägung der Vor- und Nachteile durchgeführt werden. Individuelle Faktoren spielen hierbei eine bedeutende Rolle:

Vorteile

  • Der positive Effekt auf Wechseljahresbeschwerden ist erwiesen[8] 
  • Die Hormonersatztherapie verhindert Atrophien und Entzündungen des Urogenitalbereiches
  • Es wird eine Verringerung der klimakterischen Depressionen bewirkt[9]
  • Eine Behandlung mit Östrogenen vermindert die postmenopausale Osteoporose und die damit assoziierten Frakturen
  • Vermindertes Risiko, an einem Darmkrebs zu erkranken (nur bei kombinierter Östrogen-Gestagen-Therapie)[10]

Nachteile

  • Erhöhtes Risiko, an einem Brustkrebs (Mammacarcinom) zu erkranken (abhängig von verschiedenen Faktoren)
  • Erhöhtes Risiko von tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien
  • Kognitive Störungen werden nicht positiv beeinflusst, die Wahrscheinlichkeit, an einer Demenz zu erkranken, scheint erhöht zu sein
  • Erhöhtes Risiko einer Gallenblasenentzündung[11]
  • Erhöhte Progredienz bestehender kolorektaler Karzinome[10]

Pharmakoepidemiologie der Hormonersatztherapie

Aus mehreren bevölkerungsrepräsentativen Studien, die von 1984 bis 1999 durchgeführt wurden, liegen für die Bundesrepublik Deutschland umfassende Daten zur Pharmakoepidemiologie der Anwendung von Präparaten der Hormonersatztherapie vor.[12] Die Daten dieser langfristig geplanten Bundes-Gesundheitssurveys ermöglichen auch, die Anwendung der HRT-Präparate im Zusammenhang mit klinisch-chemischen Kenngrößen der Anwenderinnen darzustellen.[13]

Geschichte der Hormonersatztherapie

Die Hormonersatztherapie für Frauen in den Wechseljahren begann bereits Ende der sechziger Jahre in Form einer Östrogen-Monotherapie. Dies führte jedoch zu einer erhöhten Inzidenz von Korpuskarzinomen. Ende der siebziger Jahre begann dann die sequentielle Hormonersatztherapie mit Östrogen und Gestagen, hierunter ließ sich ein Rückgang der Inzidenz des Korpuskarzinoms erzielen.

Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde die Hormonersatztherapie in vermehrtem Umfang durchgeführt und damit auch Objekt großangelegter wissenschaftlicher Studien. Aufsehen erregte hierbei der Abbruch eines Teils der sogenannten WHI-Studie (women´s health initiative) im Jahr 2002,[14][15] seitdem findet eine kontroverse Diskussion über die Hormonersatztherapie statt.

Kritik

In den vergangenen zwei Jahren geriet die Hormonersatztherapie durch die Ergebnisse mehrerer internationaler Studien in kontroverse Diskussion. Kritiker vermuteten schon länger, dass die Einnahme von Hormonpräparaten auf Dauer das Risiko steigern würde, an bestimmten Krebsarten zu erkranken. Für Aufsehen sorgte im Sommer 2003 in Deutschland vor allem die sogenannte One-Million-Women-Studie, eine langfristig angelegte Beobachtungsstudie, an der eine Million ausschließlich US-amerikanische Frauen teilnahmen. In der Gruppe der Teilnehmerinnen, die Hormonpräparate einnahmen, kam es zu einer signifikant höheren Zahl von Brustkrebserkrankungen als in der Gruppe derjenigen, die keine Hormonersatztherapie durchführen ließ. Die genauen Angaben geben darüber Aufschluss, ob eine reine Östrogen-Therapie, eine sequentielle Östrogen-Gestagen-Therapie durchgeführt wurde und ob den Teilnehmerinnen zum Zeitpunkt der Therapie die Gebärmutter entfernt worden war oder nicht.

Seit der Veröffentlichung dieser Ergebnisse ist es zu einer kontroversen, teilweise sehr emotional geführten Diskussion um Vor- und Nachteile der Hormonersatztherapie gekommen. Langjährige Beurteilungen des Nutzens einer Hormonersatztherapie, unter anderem die Annahme, dass durch Östrogene das Demenzrisiko gesenkt werden könne, weil die Durchblutung im Gehirn verbessert werde, sind durch klinische Studien seit Juni 2004 widerlegt. Eine neue Auswertung im amerikanischen Ärzteblatt zeigte, dass das Demenzrisiko im Gegenteil geringfügig erhöht wird.

Tierschutzgruppen kritisieren die Produktionsbedingungen des häufig eingesetzten Präparats Premarin (in Deutschland: Presomen). Für die Herstellung wird hochkonzentrierter Stutenurin benötigt, der in spezialisierten Farmen gewonnen wird. Die Tiere stehen dort für jeweils sechs Monate ihrer Schwangerschaft bei knapper Wasserzufuhr in engen Boxen und leiden häufig an Anomalien der Gliedmaßen, verursacht durch den Bewegungsmangel.[16]

Besonders in den USA wurde die Hormonersatztherapie auch unter Lifestyle-Aspekten vermarktet. Oft wurde Frauen in Medienberichten suggeriert, dass ihre Haut durch die Einnahme der Hormone straffer bleibe. Tatsächlich gibt es bisher keine wissenschaftliche Studie, durch die dieser Effekt belegt werden konnte. Neuere Untersuchungen aus Österreich, bei denen aber keine HET-Präparate, sondern kosmetische Produkte untersucht wurden, scheinen jedoch zu bestätigen, dass weibliche Sexualhormone in der Kollagenfaserschicht der Haut einen positiven Effekt im Sinn einer Faltenglättung haben. Dies wurde schon vor Jahrzehnten von der Kosmetikindustrie beworben, indem mutterkuchenhormonhaltige Salben (Plazentubex) angeboten wurden.

Literatur

  • Bernhilde Deitermann: Hormontherapie in und nach den Wechseljahren: Verordnungspraxis überdenken! in: Gerd Glaeske, Katrin Jahnsen: GEK-Arzneimittelreport 2003, Ansgard-Verlag, St. Augustin
  • Petra Kolip (Hrsg.): Weiblichkeit ist keine Krankheit. Die Medikalisierung körperlicher Umbruchphasen im Leben von Frauen. Weinheim und München 2000
  • U.S. Preventive Services Task Force (May 2005) Hormone Therapy for the Prevention of Chronic Conditions in Postmenopausal Women: Recommendation Statement. (AHRQ Publication No. 05-0576), Agency for Healthcare Research and Quality, Rockville, MD
  • Evidence Report/Technology Assessment: Management of Menopause-Related Symptoms – U.S. Department of Health and Human Services, (AHRQ Publication No. 05-E016-2) März 2005 (PDF-Datei)

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Hulley S et al. Randomized trial of estrogen plus progestin for secondary prevention of coronary heart disease in postmenopausal women. Heart and Estrogen/progestin Replacement Study (HERS) Research Group. JAMA. 1998 Aug 19;280(7):605-13. PMID 9718051. Volltext bei PubMed Central
  2. Rossouw JE et al. Risks and benefits of estrogen plus progestin in healthy postmenopausal women: principal results From the Women's Health Initiative randomized controlled trial. JAMA. 2002 Jul 17;288(3):321-33. PMID 12117397. Volltext beim JAMA
  3. Pickar JH et al. Effects of hormone replacement therapy on the endometrium and lipid parameters: a review of randomized clinical trials, 1985 to 1995. Am J Obstet Gynecol. 1998 May;178(5):1087-99. PMID 9609589.
  4. Douketis JD et al. A reevaluation of the risk for venous thromboembolism with the use of oral contraceptives and hormone replacement therapy. Arch Intern Med. 1997 Jul 28;157(14):1522-30. PMID 9236553.
  5. „Konsensusempfehlungen zur Hormontherapie (HT) im Klimakterium und in der Postmenopause“ (PDF). Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (Stand: September 2006)
  6. „Anwendungsempfehlungen zur Hormonersatztherapie im Klimakterium und in der Postmenopause“ (PDF). Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (Stand: September 2006)
  7. "Evaluation der DGGG zur Durchführung der Hormonersatztherapie, Stand April 2008"
  8. "Konsensusbeschluss der DGGG"
  9. Zweifel JE, O'Brien WH. A meta-analysis of the effect of hormone replacement therapy upon depressed mood. Psychoneuroendocrinology. 1997 Apr;22(3):189-212. Erratum in: Psychoneuroendocrinology 1997 Nov;22(8):655. PMID 9203229.
  10. 10,0 10,1 Chlebowski RT et al. Estrogen plus progestin and colorectal cancer in postmenopausal women. N Engl J Med. 2004 Mar 4;350(10):991-1004. PMID 14999111. Volltext beim NEJM
  11. Grodstein F et al. Postmenopausal hormone use and cholecystectomy in a large prospective study. Obstet Gynecol. 1994 Jan;83(1):5-11. PMID 8272307.
  12. Y. Du: Use of steroid hormones for contraception and for estrogen replacement therapy in Germany. Dissertation, Freie Universität Berlin,
  13. Y. Du, H. U. Melchert, M. Schäfer-Korting: Hormone replacement therapy in Germany: determinants and possible health-related outcomes. Results of National Health Surveys from 1984 to 1999. In: Maturitas. Band 52, Nummer 3–4, 2005 Nov-Dec, S. 223–234, ISSN 0378-5122. doi:10.1016/j.maturitas.2005.01.014. PMID 16040212.
  14. Findings from the WHI Postmenopausal Hormone Therapy Trials. Women’s Health Initiative
  15. V. Beral, u.a.: Ovarian cancer and hormone replacement therapy in the Million Women Study. In: Lancet. Band 369, Nummer 9574, Mai 2007, S. 1703–1710, ISSN 1474-547X. doi:10.1016/S0140-6736(07)60534-0. PMID 17512855.
  16. Dpeta.de: Die Tragödie der PMU-Farmen. Abgerufen am 17. Juni 2012

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