Karl Eduard Rothschuh


Karl Eduard Rothschuh (* 6. Juli 1908 in Aachen; † 3. September 1984 in Münster) war ein deutscher Herzphysiologe und Medizinhistoriker.

Leben und Werk

Rothschuh war Sohn eines Arztes und besuchte das humanistische Gymnasium in Aachen, das er 1924 ohne Abschluss verließ, um eine Landwirtschaftslehre zu beginnen. 1929 erwarb er das Abschlussdiplom der Landwirtschaftlichen Hochschule in Bonn-Poppelsdorf. 1930 holte er das Abitur nach und begann 1930/31 an den Universitäten Hamburg und München ein Studium der Medizin, das er 1932/33 in Frankfurt a. M. fortsetzte und 1936 in Berlin mit dem Staatsexamen abschloss. Bei dem Frankfurter Arzt und Medizintheoretiker Richard Koch, der 1935 in die Sowjetunion emigrierte,[1] fand Rothschuh Unterstützung für seine erste wissenschaftliche Veröffentlichung Theoretische Biologie und Medizin, die 1936 als Buch erschien und vom Berliner Medizinhistoriker Paul Diepgen als Doktorarbeit akzeptiert wurde.

Nach der Medizinalpraktikantenzeit in Aachen und Dresden praktizierte Rothschuh 1937 als Volontärarzt bei Louis Radcliffe Grote am Stadtkrankenhaus Dresden. Am 1. November 1937 trat er eine Tätigkeit als planmäßiger wissenschaftlicher Assistent unter Erich Schütz am Physiologischen Institut der Universität Münster an. Dort habilitierte er sich 1941 mit einer Schrift Über den Anteil von Fernpotentialen am Aktionsstrombild des Herzens bei örtlicher Ableitung und wurde 1942 zum Privatdozenten für das Fach Physiologie ernannt. Nach 1945 baute er den physiologischen Lehrbetrieb in Münster wieder auf und nahm zudem ab 1947 einen Lehrauftrag in Geschichte der Medizin wahr. Im Februar 1948 wurde er zum apl. Professor ernannt. Von 1949 bis 1951 war er in Münster beurlaubt und leitete vertretungsweise den Lehrstuhl für Physiologie der Universität Würzburg. Zurück in Münster erfolgte 1952 die Ernennung zum Oberassistenten am Physiologischen Institut, 1956 die zum Extraordinarius. Zwischen 1938 und 1956 veröffentlichte er zahlreiche Originalarbeiten vor allem zur Elektrophysiologie des Herzens, die für die diagnostische Bewertung des Elektrokardiogramms von Bedeutung waren. Sein erstes medizinhistorisches Standardwerk Geschichte der Physiologie erschien 1953, sein medizin- und wissenschaftstheoretisches Hauptwerk Theorie des Organismus 1959.

1960 wurde Rothschuh zum Direktor des neu gegründeten medizinhistorischen Instituts und 1962 zum Ordinarius für Geschichte der Medizin in Münster berufen. Sein historisches Interesse galt der Geschichte der physiologischen Grundprobleme und den Wegen, die Ärzte und Philosophen aller Zeiten eingeschlagen haben, um Grundfragen nach dem Wesen des Lebendigen, dem Entstehen von Krankheit und dem Zusammenwirken von Leib und Seele zu lösen. Eingehende Untersuchungen betreffen unter Anderem die medizinischen Konzepte und Methoden von René Descartes, Claude Bernard, Friedrich Hoffmann, Alexander von Humboldt, Friedrich Oesterlen, die Geschichte der Elektrophysiologie, die Medizin der Romantik, die Iatromagie und die Geschichte der Naturheilbewegung. Zudem beschäftigten ihn Probleme der allgemeinen Wissenschaftsgeschichte wie die Entstehung und der Kontext von Entdeckungen, die Ursachen wissenschaftlicher „Revolutionen“, das Relevanzproblem und die Verantwortung des Forschers. 1973 ging er in den Ruhestand. 1978 erschien seine medizinhistorische Zusammenschau Konzepte der Medizin in Vergangenheit und Gegenwart.

Verhalten im Nationalsozialismus

Seit Beginn seiner Berliner Studentenzeit gehörte Rothschuh dem NS-Studentenbund an (bis 1935) und war (vermutlich bis 1938) Mitglied der SA. 1936 besuchte Rothschuh einen Lehrgang in der Führerschule der Deutschen Ärzteschaft in Alt Rehse. Hierüber verfasste er für die Zeitschrift Der Jungarzt einen Bericht, in dem es u. A. heißt: „Wir Ärzte holen uns in Alt-Rehse jene innere Zielsicherheit des ärztlichen Handelns, welches allein gemäß dem Auftrag des Führers ausgerichtet sein muß. Das deutsche Volk muß das gesündeste und stärkste Volk Europas werden“.[2] 1940 beantragte er die Mitgliedschaft in der NSDAP. Da der Institutsleiter Erich Schütz 1939 an das Luftfahrtmedizinische Forschungsinstitut, das dem Reichsluftfahrtminister Hermann Göring unterstand, nach Berlin abkommandiert wurde, wurde Rothschuh mit der Aufrechterhaltung des Unterrichts in Münster betraut und für diese Aufgabe vom Kriegsdienst befreit. Entgegen den Angaben bei Klee, die sich auf ein unveröffentlichtes Manuskript des Zürcher Medizinhistorikers Christoph Mörgeli gründen,[3] gibt es keinen Hinweis darauf, dass Rothschuh wehrmedizinische Forschungen im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums betrieben hat oder an luftfahrtmedizinischen Projekten seines Institutsleiters beteiligt war.[4]

Mitgliedschaften, Ehrungen

  • 1942 von-Eicken-Preis für Physiologie
  • 1969 Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina
  • 1970 Honorary Member of the Royal Society of Medicine London
  • 1974 Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften
  • 1978 Ehrenpräsident der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte

Schriften (Auswahl)

  • Theoretische Biologie und Medizin. Berlin 1936 (= Neue Deutsche Forschungen, Bd. 2, Abt. Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften. Hrsg. P. Diepgen u. J. Schuster).
  • Über den Anteil von Fernpotentialen am Aktionsstrombild des Herzens bei örtlicher Ableitung. In: Zeitschrift für die gesammte experimentelle Medizin 110 (1942) 154-215.
  • Geschichte der Physiologie. Berlin Göttingen Heidelberg 1953. (Engl. History of Physiology. Translated and edited by Guenter B. Risse Huntington/New York 1973).
  • Theorie des Organismus. Bios-Psyche-Pathos. München/Berlin 1959. 2. erw. Aufl. 1963.
  • Richard Hermann Koch (1882-1949). Arzt, Medizinhistoriker, Medizinphilosoph (Biographisches, Ergographisches). In: Medizinhistorisches Journal 15 (1980) 16-43, 223-243.
  • Konzepte der Medizin in Vergangenheit und Gegenwart. Stuttgart 1978.

Quellen und Literatur

  • Universitätsarchiv Münster: Rektorat Personalakte Karl Rothschuh.
  • Karl Eduard Rothschuh: Wege und Umwege. In: Wege zur Wissenschaftsgeschichte II. Hg. Kurt Mauel. Wiesbaden 1982, S. 67-87 (Autobiografie).
  • Werner E. Gerabek: Rothschuh, Karl Eduard. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11203-2, S. 136 (Digitalisat).
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 511, ISBN 978-3-596-16048-8.
  • Werner Friedrich Kümmel: "Im Dienst „nationalpolitischer Erziehung“? Die Medizingeschichte im Dritten Reich". In: Medizin, Naturwissenschaft, Technik und Nationalsozialismus. Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Im Auftrag der DGGMNT hg. von Christoph Meinel und Peter Voswickel. Stuttgart 1994, S. 295-319.
  • Richard Toellner (Hg.): Karl Eduard Rothschuh – Bibliographie 1935-1983. Burgverlag Tecklenburg 1983 (= Münstersche Beiträge zur Geschichte und Theorie der Medizin 19).
  • Richard Toellner: In memoriam Karl Eduard Rothschuh. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 8 (1985), 1-6 (Nachruf).

Einzelnachweise

  1. Vgl. die Briefe Richard Kochs in Rothschuh Richard Hermann Koch, S. 16-43.
  2. Zitiert nach Klee Personenlexikon 2005, S. 511, vgl. darüber hinaus Kümmel S. 303 u. 313.
  3. Klee Personenlexikon 2005, S. 712.
  4. Personalakte Rothschuh Universitätsarchiv Münster. Hier sind u.a. alle bis Ende 1944 veröffentlichten u. geplanten Arbeiten aufgeführt. Siehe auch die physiologischen Veröffentlichungen von K.E. Rothschuh 1938-1952 in Toellner Karl Eduard Rothschuh1983, S. 3-11.

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