Ludwig Edinger


Ludwig Edinger.

Ludwig Edinger (* 13. April 1855 in Worms; † 26. Januar 1918 in Frankfurt am Main) war als Nervenarzt und Hirnforscher 1912 einer der Mitunterzeichner des Stiftungsvertrags zur Gründung der Universität Frankfurt am Main (eröffnet 1914). Im gleichen Jahr wurde er vom König von Preußen zum Professor für Neurologie ernannt – als erster Forscher in Deutschland. Zu seinen fast vergessenen Leistungen gehört es, aufgrund vergleichender anatomischer Studien im menschlichen Gehirn „alte“ und „neu erworbene“ Abschnitte unterschieden zu haben („Palaeencephalon“, „Neencephalon“; vgl. Telencephalon).

Werdegang

Ludwig Edinger wuchs in Worms auf, sein Vater war erfolgreicher Textilgroßkaufmann und demokratischer Abgeordneter im Landtag von Hessen-Darmstadt, der sich seiner Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen nicht schämte, sondern bereits 1873 (vergeblich) für die Schulgeldfreiheit eintrat und diverse Wohlfahrtseinrichtungen begründete. Seine Mutter Julie war die Tochter eines bedeutenden Karlsruher Arztes. Ludwig Edinger studierte von 1872-1877 Medizin in Heidelberg und Straßburg, wandte sich aber erst in seiner Tätigkeit als Assistenzarzt (1877-1882) in Gießen der Neurologie zu, die er auch zum Gegenstand seiner Habilitation machte (1881) und aufgrund der er eine Privatdozentur erhielt. Nach Tätigkeiten in Berlin, Leipzig und Paris ließ er sich 1883 in Frankfurt am Main als „Practischer Arzt und Spezialist für Nervenheilkunde“ nieder. „Ich war fast der erste in Deutschland, der diese Spezialbezeichnung wagte“, erinnerte er sich.

Auf Edingers Initiative wurde 1885 der andernorts vom Antisemitismus betroffene Pathologe Carl Weigert zum Direktor der Dr. Senckenbergischen Anatomie in Frankfurt am Main berufen. Weigert räumte seinem Freund Edinger umgehend einen Arbeitsplatz in diesem Institut ein. Aber erst 1902 erhielt Edinger in dem Gebäude einen eigenen Raum für seine neurologische Abteilung, die dadurch zum „Dr. Senckenbergischen Neurologischen Institut“ avancierte. Im folgenden Jahr wurde er auch offiziell zum Direktor des von ihm begründeten Instituts ernannt, das er stetig weiter ausbaute. Obwohl der Hirnforscher das Institut privat finanzierte, fürchtete die Senckenbergische Stiftung zusätzliche materielle Belastungen und löste daher nach langen Querelen 1908/09 die Bindung. Aber schon bald darauf konnte Edinger das Neurologische Institut an die neu gegründete Frankfurter Universität anschließen. In seiner Ernennungsurkunde zum Professor war allerdings ebenfalls ausdrücklich vermerkt, dass er sein Institut weiterhin aus eigener Tasche zu unterhalten habe. Möglich war ihm dies u.a. deshalb, weil er seit 1886 mit Anna Goldschmidt, der Tochter einer in Frankfurt alteingesessenen jüdischen Bankiersfamilie verheiratet war und diese 1906 ein Millionenerbe angetreten hatte.

Am 26. Januar 1918 starb Ludwig Edinger überraschend an Herzversagen. Beigesetzt wurde er auf dem Frankfurter Hauptfriedhof (Gewann II GG 17a).[1] Noch nach seinem Tod zeigte er sich als Hirnforscher bis zur letzten Konsequenz: Er hatte verfügt, dass sein Gehirn in seinem Institut seziert werden sollte. Den Fortbestand seines Neurologischen Instituts hatte Edinger 1917 durch die Einrichtung einer Stiftung gesichert. Der Ludwig Edinger-Stiftung gehört das - mittlerweile ebenfalls den Namen seines Gründers tragende - Neurologische Institut am Klinikum der Frankfurter Goethe-Universität bis heute; im Fachbereich Medizin ist es ein "Institut besonderer Rechtsnatur".

Forschungsthemen

Anfangs noch am heimischen Küchentisch in Frankfurt, da ihm als Jude wegen des um 1882/83 wieder aufflammenden Antisemitismus zunächst die wissenschaftliche Laufbahn an einer deutschen Universität versagt geblieben war, fertigte Edinger Dünnschnitte von Gehirnen totgeborener menschlicher Föten an und begann so im Verborgenen mit seiner anatomischen Grundlagenforschung, die bahnbrechend in der Neurologie werden sollte. Erste Ergebnisse stellte Edinger 1884 dem Ärztlichen Verein vor, in zehn Vorlesungen über den Bau des menschlichen Gehirns, die er kurz darauf in Buchform publizierte. Durch dieses Werk wurde er schlagartig in internationalen Fachkreisen bekannt als Experte für die Anatomie des menschlichen Gehirns und für dessen Entwicklung während der Embryonalphase. Bald dehnte er seine Studien auf das Vorder- und Zwischenhirn von Haien, Amphibien, Reptilien und Vögeln aus und konnte so die Entwicklungsgeschichte des Gehirns während der Evolution nachvollziehen. Edingers Idee war es, durch den detaillierten Vergleich des Gehirns in der evolutionär aufsteigenden Tierreihe einzelnen Hirnteilen definierte Leistungen zuzuordnen.

Von Ludwig Edinger stammen die ersten Farbtafeln mit Querschnitten durch die Gehirne der unterschiedlichen Tierstämme – Farbtafeln, die in ähnlicher Weise noch heute jedes Lehrbuch der Hirnanatomie schmücken. Er entdeckte fast täglich neue, unbekannte Strukturen; seine wichtigsten Entdeckungen betrafen den Verlauf der Schmerzbahn und jener Zellen, die für die Beweglichkeit der Augenmuskeln zuständig sind (Edinger-Westphal-Kern). Sein Ruhm war so groß, dass sich beispielsweise Korbinian Brodmann, der die international gültige Gliederung der Großhirnrinde vornahm, vor der definitiven Namensgebung der Zustimmung Edingers versicherte.

Ludwig Edinger beließ es aber nicht bei rein anatomischen Studien, sondern wandte sein Interesse auch der vergleichenden Psychologie zu und wurde so zu einem Wegbereiter der Tierpsychologie, aus der die moderne Verhaltensbiologie hervorging. Er versuchte, aus dem Bau des Gehirns die Funktion zu erklären und konnte u.a. nachweisen, dass die Forscher beim Untersuchen von Sinnesempfindungen der Tiere zuvor stets vom Menschen und dessen Sinnesleistungen ausgegangen waren. Edinger hingegen konnte zeigen, dass viele Tiere auf bestimmte Reize allein schon deswegen nicht reagieren können, weil sie im Gehirn keine für die Reizverarbeitung geeigneten Strukturen besitzen. Er war so der erste Forscher, der erkannte, dass Fische und Amphibien nicht länger kurzerhand als „taub“ angesehen werden können, weil sie mit einem Glockenton aus anatomischen Gründen nicht das verbinden, was wir Menschen mit einem solchen akustischen Reiz verbinden. Edinger führte die Unterschiede im Verhalten der höheren Tiere also auf die Entwicklung zusätzlicher Hirnteile zurück.

Viele seiner Erkenntnisse haben bis heute Bestand, allerdings sprechen neuere Forschungsergebnisse dafür, dass die "alten" Hirnstrukturen zum Beispiel der Vögel im Verlauf der Evolution auch Funktionen übernommen haben, für die bei Säugetieren das Großhirn zuständig ist.

Seine Tochter Tilly Edinger wurde die Begründerin der "Paläoneurologie" in Deutschland.

Werke

  • Mein Lebensgang. Erinnerungen eines Frankfurter Arztes und Hirnforschers, Kramer, Oberursel 2005, ISBN 3-7829-0561-X

Einzelnachweise

  1. Wegweiser zu den Grabstätten bekannter Persönlichkeiten auf Frankfurter Friedhöfen. Frankfurt am Main 1985, S. 43

Literatur

  • (Anonym): Ludwig Edinger 1855-1918. Gedenkschrift zu seinem 100. Geburtstag und zum 50jährigen Bestehen des Neurologischen Instituts (Edinger-Institut) der Universität Frankfurt am Main, Steiner, Wiesbaden 1955 (Schriften der wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main / Naturwissenschaftliche Reihe; Bd. 1)
  • Heidemarie Emisch: Ludwig Edinger. Hirnanatomie und Psychologie, Urban & Fischer, München 1991, ISBN 3-437-11378-X (zugl. Univ. Diss. Mainz 1990)
  • Gerald Kreft: Deutsch-jüdische Geschichte und Hirnforschung. Ludwig Edingers Neurologisches Institut in Frankfurt am Main, Mabuse-Verlag, Frankfurt/M. 2005, ISBN 3-935964-72-2
  • Ludwig Edinger: Mein Lebensgang. Erinnerungen eines Frankfurter Arztes und Hirnforschers. Hrsg. v. Gerald Kreft, Werner Friedrich Kümmel, Wolfgang Schlote und Reiner Wiehl. Verlag Waldemar Kramer. Frankfurt am Main 2005. ISBN 3-7829-0561-X.
  • Wolfgang Schlote: Ludwig Edinger (1855-1918), in: Günther Böhme (Hrsg.): Die Frankfurter Gelehrtenrepublik, Schulz-Kirchner, Idstein
    • 1. - Leben, Wirkung und Bedeutung Frankfurter Wissenschaftler, 1999, ISBN 3-8248-0393-3
    • 2. - Neue Folge, 2002, ISBN 3-8248-0501-4, S. 11 – 29

Weblinks

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