Niederwald


Durchgewachsener, ehemaliger Niederwald aus Hainbuche
Niederwald bei Schoden/Rheinland-Pfalz, Stockausschlag hauptsächlich aus Hasel, April 2011

Niederwald ist die Bezeichnung für einen Wald aus Stockausschlag. Während die Nutzung und Förderung von Stockausschlägen bereits in der Steinzeit bekannt war, entstanden Niederwälder in der Eisenzeit, indem Bäume wiederholt gefällt wurden und sich so eine regenerationsfähige Vegetation durchsetzte. Diese regenerationsfähigen Gehölze sind in Mitteleuropa im Wesentlichen Eiche, Hainbuche, Linde, Ahorn, Esche und Hasel, die in einem Zyklus von 10 bis 30 Jahren einzelstammweise oder in Parzellen je nach Bedarf gefällt werden.[1] Dadurch entsteht eine lichte und inhomogene Fläche, die mit strauchartigen Bäumen bzw. Büschen von etwa 3 bis 10 m Höhe bestanden ist. Die Regeneration erfolgt dann aus den im Boden verbliebenen Wurzelstöcken und Stümpfen, teilweise auch aus Wurzelbrut. Niederwälder gibt es in vielen Abwandlungen, je nach Nutzung und Standort. Formen des Niederwaldes sind unter anderem der Siegerländer Hauberg und die Lohhecken des Rheinischen Schiefergebirges.

Baumarten

Die Verjüngung im Niederwald erfolgt ausschließlich aus Stockausschlag. Der Übergang zum Mittelwald zeigt sich dort, wo die Verjüngung auch durch Stehenlassen von einzelnen Kernwüchsen (sogen. Lassreisel) erfolgen kann. Wo die Verjüngung jahrhundertelang ausschließlich aus Stockausschlag erfolgt ist, sind die aus überalterten Stöcken entstandenen Bestände meist schwachwüchsiger, als es der jeweilige Standort zulassen würde.

Die Niederwaldwirtschaft hat besonders die Baumarten gefördert, die gut vom Stock ausschlagen, z. B. Hainbuche, Linde oder Hasel. Eichen, Pappeln oder Birken sind dagegen weniger ausschlagfreudig.[2] Auch lichtbedürftige Baumarten wie Vogelbeere, Echte Mehlbeere, Elsbeere, Speierling, Vogel-Kirsche, Birke, Esche oder Zitterpappel, die teilweise Arten der Vorwaldgesellschaften (Lichtungen, Sukzessionsflächen und Waldränder) oder auch der Hecken zuzuordnen sind, treten in Niederwäldern oder aus Niederwäldern hervorgegangenen Beständen häufiger auf. Auch ist die Krautflora wegen der günstigeren Lichtverhältnisse in Niederwäldern stärker vertreten als in Hochwäldern. Stellenweise wurden auch Bestände aus Schwarzerle (auf Nassstandorten) oder Edelkastanie (vorwiegend in Weinbaugebieten) als Niederwälder bewirtschaftet. Im französischen Département Isère und im Süden Englands ist die Niederwaldwirtschaft mit Edelkastanien noch anzutreffen, während man im Schweizer Kanton Tessin mit Kastanienniederwäldern zur Wertholzproduktion experimentiert.

Nutzung

Das eingeschlagene Holz wurde meistens als Brennholz verwertet; bis ins 19. Jahrhundert spielte auch die Köhlerei eine große Rolle. Als zusätzliche Nutzung wurde bis in die 1960er Jahre häufig die Lohrindengewinnung praktiziert; hierbei wurde die gerbstoffhaltige Rinde von den frisch eingeschlagenen Eichenstangen mit dem Lohlöffel und von den dünneren Eichenknüppeln mit einem Rindenhammer abgelöst und anschließend getrocknet. Abnehmer waren die örtlichen Gerbereien. Der Einschlag des Lohholzes erfolgte im Frühjahr vor dem Laubaustrieb. Im Rheinischen Schiefergebirge, z. B. dem Gebiet der Ahreifel oder dem Ösling (Luxemburg), wurden die Eichen bis Reichhöhe stehend geschält (zum Zeitpunkt des größten Saftflusses, d.h. bis Ende Mai) und erst anschließend gefällt.

Die frisch gehauenen Schläge wurden teilweise landwirtschaftlich genutzt, bis die Stockausschläge zu hoch waren (Röderwirtschaft). Diese Art der Nutzung wurde im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts weitgehend eingestellt.

Heutige Verhältnisse

Während in Deutschland weniger als 1 % der Waldfläche als Niederwald bewirtschaftet wird, ist die Ausdehnung in anderen Ländern weitaus höher (1963 betrug sie beispielsweise in Frankreich noch 33 %).[3]

Heute werden in Mitteleuropa nur noch sehr wenige Bestände als Niederwälder bewirtschaftet; die meisten sind entweder in der Überführung zum Hochwald oder, wie bis in die 1990er Jahre hinein häufig praktiziert, in Nadelholzbestände umgewandelt. Die durchgewachsenen oder überführten Bestände sind heute (2005) zum Großteil zwischen 50 und 80 Jahre alt. Baumartenzusammensetzung und Krautflora werden sich in den überführten Beständen, je nach Standort und Bewirtschaftung, in den meisten Fällen langfristig verändern.

In manchen Gebieten wird die Beibehaltung oder Wiederaufnahme des Niederwaldbetriebes gefördert, um diese historische Waldnutzungsform und ihre typische Vegetation auf begrenzter Fläche zu erhalten. Ein Beispiel dafür ist der Niederwald in Teilen des Jasmund-Nationalparks auf der Ostseeinsel Rügen. Hier ist die vorherrschende Baumart die Rotbuche, die nur aufgrund der besonders günstigen klimatischen und Bodenverhältnisse an dieser Stelle zum Stockaustrieb in der Lage ist. Auch bei der in jüngster Zeit zunehmenden Energieholzbewirtschaftung wird wieder mit Niederwäldern experimentiert, weil die schnellwachsenden Baumarten kaum forstlicher Pflege bedürfen und schnell Biomasse produzieren. Eine moderne, vergleichbare Form der Produktion von Biomasse ist die Kurzumtriebsplantage.

Biodiversität und Ästhetik

In allen Formen des Niederwalds dringt das Licht stärker bis in die Krautschicht durch. „Der große landschaftliche Reiz dieser Betriebsarten besteht vor allem in der Holzartenzusammensetzung und in ihrer Eigenschaft als Übergang zum Feld oder zur düsteren Waldlandschaft.“[4] Sowohl in ihrer ästhetischen Anmutung unterscheiden sie sich vom Hochwald als auch hinsichtlich ihrer Biodiversität. Die mitteleuropäischen Niederwaldbestände gehören zu 14 Waldgesellschaften. Im Vergleich mit den anderen Forstformen zeigt sich etwa für die Schweiz, dass der Niederwald in den buchenfreien Laubwaldgesellschaften (Waldlabkraut-Hainbuchenmischwald, Kronwicken-Eichenmischwald, Platterbsen-Eichenmischwald, Lindenmischwald) sehr deutlich übervertreten ist. Im Schneesimsen-Buchenwald ist hier allerdings mit weniger Pflanzenarten als im Hochwald zu rechnen.[5]

Siehe auch

Literatur

  • Jost Trier: Holz. Etymologien aus dem Niederwald. Münster • Köln 1952. S. 95–106.
  • Hans Hausrath: Geschichte des deutschen Waldbaus. Von seinen Anfängen bis 1850. Schriftenreihe des Instituts für Forstpolitik und Raumordnung der Universität Freiburg. Hochschulverlag, Freiburg im Breisgau 1982, ISBN 3-8107-6803-0
  • Richard B. Hilf: Der Wald. Wald und Weidwerk in Geschichte und Gegenwart – Erster Teil [Reprint]. Aula, Wiebelsheim 2003, ISBN 3-494-01331-4
  • Hartmut Kleinschmit: Menschen im Wald. Waldnutzungen vom Mittelalter bis heute in Bildern, hrsg. von den Niedersächsischen Landesforsten, Husum 2007.
  • Erwin Manz: Linksrheinische Niederwälder. Zeugen einer historischen Waldnutzungsform. (Rheinische Landschaften; 44). Neusser Druck und Verlag, Neuss 1995, ISBN 3-88094-780-5
  • ders.: Vegetation und standörtliche Differenzierung der Niederwälder im Nahe- und Moselraum. (Pollichia-Buch; 28). Pollichia, Bad Dürkheim 1993, ISBN 3-925754-27-X
  • Wilhelm Müller-Wille: Der Niederwald in Westdeutschland, in: Beiträge zur Forstgeographie in Westfalen. (Spieker, 27), S. 7–38. Geographische Kommission für Westfalen, Münster 1980 Download
  • Wilhelm Stölb: Waldästhetik: Über Forstwirtschaft, Naturschutz und die Menschenseele. Verlag Kessel, Remagen-Oberwinter 2005

Einzelnachweise

  1. Heinz Ellenberg, 1996: Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen in ökologischer, dynamischer und historischer Sicht. ISBN 3-8252-8104-3
  2. Heinz Ellenberg: Vegetation Mitteleuropas und der Alpen, Ulmer, Stuttgart 1963, S. 44
  3. K. Vanselow: Zur geschichtlichen Entwicklung der Verjüngungsformen in Deutschland. Forstwissenschaftliches Centralblatt 82: 257–269
  4. Arnold Vietinghoff-Riesch: „Forstliche Landschaftsgestaltung“, nach Stölb, Waldästhetik, S. 250
  5. Walter Keller: Wie licht und artenreich sind Niederwälder? Informationsblatt Forschungsbereich Landschaft 51(2001)

Weblinks

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