Niesen


Niesen (lat. sternutio oder, wenn mehrmalig: sternutatio) ist das aufgrund eines Niesreizes über den Niesreflex ausgelöste unwillkürliche, explosionsartige Ausstoßen von Luft durch die Nase (und manchmal auch den Mund). Durch das Niesen sollen Nasensekret sowie Staub und andere Fremdkörper aus der Nase entfernt werden. Der Niesreiz selbst wird durch eine Reizung der Nasenschleimhaut ausgelöst. Auch helles Licht kann zum Niesen führen (photischer Niesreflex). Beim Niesen können durch Tröpfcheninfektion Krankheitserreger übertragen werden.

Ursache und Ablauf

Meist wird das Niesen durch sensible Reize der Nasenschleimhäute (genauer: im zweiten Ast des N. trigeminus) ausgelöst. Es wird umgehend eine reflektorische, komplexe und motorische Antwort ausgelöst, die die Koordination von Atmung und Larynxmuskulatur sowie von Mund- und Rachenmuskulatur erfordert.[1]

Das Niesen läuft dabei in drei Phasen ab. In der ersten Phase wird Luft tief eingeatmet. Nachdem der Atem kurz angehalten worden ist (zweite Phase), ziehen sich in der dritten Phase die Ausatmungsmuskeln des Bauches und der Brust schlagartig zusammen. Dabei wird die eingeatmete Luft durch die Nase oder den Mund wieder ausgestoßen. Die Luft kann dabei beim Menschen Geschwindigkeiten von über 160 km/h (45 m/s) erreichen.[2][3][4]

Brauchtum

Herkunft

Da Niesen lustbetont ist (bes. früher durch Niespulver künstlich vermehrt, vgl. etwa das „Kräutlein Niesmitlust“ in Wilhelm Hauffs Märchen „Zwerg Nase“) und eine Anregung des Atems bedeutet, der von Haus aus als Seelenträger galt, sind weltweit allerlei „abergläubische“ Vorstellungen und Rituale damit verbunden. So finden wir bei Homer mehrmals das „Zuniesen“ als Aussagen-Bekräftigung unter göttlichem Einfluss (Telemach „beniest“ es laut, als seine Mutter Penelope dem von beiden noch unerkannten Odysseus zusagt, er werde demnächst heimkehren; Od. 17, 539-551. Vgl. auch: Xenophon, Anabasis, 3: 2, 9). Noch um 1950 (ältere Leute und familial bis heute) sagte man (z. B.) in Wien auf ein Niesen (halb ritualisiert) „Helf Gott, dass ’s wahr ist!“ – nämlich etwas, das der Sprecher oder eine andere Person gerade gesagt hatte; wenn aber niemand etwas gesagt hatte, fragte man spaßeshalber: „Ja was denn?“ und konnte dann als Antwort bekommen: „Was ich mir gerade [von dir] gedacht habe.“ Es versteht sich, dass über das Unbewusste auf diese Weise Dinge zum Ausdruck kommen können, die sonst (noch) niemandem „klar“ sind. Niesen konnte auch als Säuberungs-Aktion des Lebens-Atems gesehen werden, so dass Niespulver-Gebrauch sich auch bei (vermeintlich drohendem) „Wahnsinn“ empfahl (Belege in [5] und dann bes. unter „Nieswurz“).

In moderner („aufgeklärter“) Zeit wird in einigen Kulturen in Reminiszenz an Obiges noch aus Gründen der Höflichkeit erwartet, dass entweder der Niesende oder andere Anwesende eine Spruchformel aufsagen. Der Ursprung dieses Brauches ist bis heute nicht ganz geklärt. Eine Theorie besagt, dass die Menschen zu Zeiten der Pest glaubten, die damals todbringende Krankheit beginne mit einem Niesen. Der Aberglaube führte dann dazu, dass man den Niesenden bzw. sich selber mit der Wunschformel vor dem möglichen Unheil bewahren wollte.

Andere sehen die Wunschformel in einem indoeuropäischen Glauben begründet, dass, da der Mensch eine Art Luft- oder Atemseele (vgl. auch Atman) besitze, beim Niesen diese Seele aus dem Körper hinausgeschleudert werden könnte, was mit einer Zauberformel verhindert werden soll. Ein anderes Gerücht besagt, dass dieser Brauch ursprünglich dazu dienen sollte, denjenigen, der einen Wunsch wie Gesundheit ausspricht, vor Krankheit durch Ansteckung vom Niesenden zu schützen. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass in der Tat gewünscht wird, dass der Niesende keine ernsthafte Krankheit erleidet, so wie es heute auch üblicherweise verstanden wird. Dieses Ritual kann jedoch auch als indiskret empfunden werden, weil dabei direkt auf das Niesen hingewiesen wird.

Zeitweise trugen die neuesten „Benimm-Regeln“ dem bereits Rechnung, indem Anwesende das Niesen höflich übergingen. Nachdem dies aber mehrheitlich als Ignoranz ausgelegt wurde, wünschen üblicherweise (im Deutschen) Anwesende dem Niesenden heutzutage wieder wie früher Gesundheit!. In der Literatur ist dies erst seit der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts belegt.[6] In früheren Zeiten lautete der Spruch Gott helfe! bzw. helf Gott![7] Wenige Menschen erwarten, dass der Niesende sich seinerseits entschuldigt, und begründen dies mit einer angeblichen Vorschrift im Knigge. In der tatsächlichen Umsetzung hält sich das eingangs beschriebene Ritual jedenfalls fast unverändert. Wie in vielen anderen Nationen dankt der Nieser den ihm Zusprechenden.

Ethnologisches

Eine Entsprechung des „Gesundheit!“-Segens gibt es in der im Englischen üblichen Formel God bless you! (meist kurz Bless you!), was wörtlich übersetzt „Gott segne dich!“ bedeutet. Vor allem in den Vereinigten Staaten ist auch das deutsche „Gesundheit!“ üblich. Der deutsche Segensspruch ist dort bereits seit 1933 belegt und findet seither, teilweise als Slapstick, bevorzugt in Comics, Cartoons und Anime-Serien Verwendung. Allerdings scheint der Ausruf „Gesundheit!“ in der höheren amerikanischen Gesellschaft fast schon eine elitäre Stellung zu genießen: In einem populären Cartoon beschwert sich ein LKW-Fahrer bei seinem Kumpel, dass niemand in dieser Gegend dem Anderen einen „Guten Morgen!“, ein „Wie geht’s?“ oder wenigstens ein „Gesundheit!“ anbiete. Dieses und ähnliche Beispiele scheinen aufzuzeigen, dass der Ausspruch bei passender Gelegenheit in den USA als Zeichen von Niveau und Kultiviertheit verstanden und entsprechend begrüßt wird.[8]

In Österreich, wo traditionellerweise „Helf dir Gott!“ (in verschiedenen dialektalen Lautungen) gesagt wird, wird scherzhaft auch „Zerreißen soll es dich (und deine Brieftasche soll mich treffen)“ (ebenso dialektal) gesagt.

In Lateinamerika ergeht bei wiederholtem Niesen eine Kaskade von guten Wünschen: salud („Gesundheit“) beim ersten, dinero („Geld“) beim zweiten und amor („Liebe“) beim dritten Mal.

In Spanien ist die Redewendung Jesús zu hören. Dies hat in dem Aberglauben, die Seele könne beim Niesen den Körper verlassen, seinen Ursprung. Jesus soll durch Aufsagen der Wunschformel dies verhindern.

In Portugal hört man Santinhas, was so viel wie „Alle Heiligen mögen mit dir sein!“ bedeuten soll.

In Frankreich sind solche Spruchformeln weniger üblich; immerhin kann man bisweilen ein à vos/tes souhaits „wünschen Sie sich was/wünsch dir was“ hören. Auch wird in einigen französischen Regionen erwartet, dass der Niesende selbst pardon („Entschuldigung“) nach dem Niesen sagt. – In der französischsprachigen Schweiz ist – wohl nach deutschschweizerischem Vorbild – santé! („Gesundheit!“) recht verbreitet. In der Bündnerschweiz sagt man auf Rumantsch „viva“ was „lebe“ heißt.

In der Türkei sagt man dem Niesenden çok yaşa, womit man dem Niesenden wünscht, dass er lange lebe, wörtlich „lebe viel“. Daraufhin entgegnet der Niesende sen de gör, was wörtlich „sieh du auch“ bedeutet. Hiermit wünscht der Niesende dem Anderen, dass er auch lange genug lebe, um das noch mitzuerleben. In früheren Zeiten wurde für die niesende Person ein kurzes Gebet aufgesagt. „Allah'ın rahmeti üzerinde olsun!“, was ins Deutsche übersetzt „möge Gottes Gnade/Segen mit dir sein!“ bedeutet. Der Niesende kann das Gebet mit einem „Amin“ (dt. Amen) erwidern.

In Albanien sagt man zu einem nicht freundlich gesinnten Anwesenden: Plaq!, zu deutsch: „Platze!/Du sollst platzen!“, sonst gebraucht man die Standard-Form von „Gesundheit!“, zu albanisch: Shëndet!.

In Ostasien ist der Glaube verbreitet, dass zum Zeitpunkt des Niesens gerade an einem anderen Ort über den Niesenden gesprochen oder an ihn gedacht wird (vgl. auch unter Schluckauf!). Auf Chinesisch lautet die Spruchformel daher yǒu rén xiǎng nǐ (chinesisch {{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value)), was soviel heißt wie: „Jemand denkt an dich.“ oder „Jemand vermisst dich.“. Dieser Glaube ist ein beliebtes Stilmittel in ostasiatischen Filmproduktionen geworden und begleitet meist humorvoll einen Szenenwechsel vom Sprechenden zum Niesenden.

Im alten Rom lautete der Spruch „Jupiter schütze dich“, der auch vom Niesenden auf sich selbst, also im Sinne von „Jupiter schütze mich“, angewendet werden konnte. Oder man wünschte einfach salve (sei gesund)![9]

Phylogenese

Der Nies-„Reflex“ (kein echter Reflex, weil neural zu komplex und z. T. willentlich beeinflussbar; bspw. gibt es Anleitungen, wie man ihn, falls nötig, auch unterdrücken kann – etwa durch Pressen des Philtrums mit einem Finger oder durch Drücken des Gaumens mit der Zunge) kommt nur bei Tetrapoden vor, da nur diese eine funktionell durchgängige Verbindung von Nasen- und Rachenraum (zur Lunge) haben. Bei Fischen könnte das manchmal nach Gähnen aussehende Schnappen eine ähnliche Funktion haben (Ausblasen des Nasenraums). Wie weit aber echtes Niesen bei den Landwirbeltieren wirklich verbreitet ist, ist noch wenig erforscht.

Weblinks

Commons: Niesen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

  • Susanne Jahn: Deutsche Wörter in den USA. Diplomica Verlag, Hamburg 2008, ISBN 3836657430.
  • Peter P. Urban: Erkrankungen des Hirnstamms: Klinik- Diagnostik- Therapie. Schattauer Verlag, Stuttgart 2008, ISBN 3794524780.

Einzelnachweise

  1. Peter P. Urban: Erkrankungen des Hirnstamms. S. 167.
  2. http://www.gesundheitsfoerderung-zh.ch/fileadmin/user_upload/publikationen/Broschueren_diverse/atmungsbroschuere.pdf
  3. http://www.labbe.de/zzzebra/index.asp?themaid=545&titelid=3507
  4. http://www.gesundheit.de/wissen/krankheiten/schnupfen-kuriositaeten/index.html
  5. dwb.uni-trier.de
  6. http://woerterbuchnetz.de/DWB/wbgui_py?lemid=GG12335
  7. R.Brasch:Dreimal schwarzer Kater, Aberglauben, Sitten und Gewohnheiten, Wiesbaden 1979, Seite 86
  8. Susanne Jahn: Deutsche Wörter in den USA. S. 58 & 59.
  9. K.E. Georges, Gr. Latein-Wb., 1913

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