Orthonectida


Orthonectida

zwei weibliche Orthonectiden.

Systematik
ohne Rang: Opisthokonta
Reich: Vielzellige Tiere (Metazoa)
Abteilung: Gewebetiere (Eumetazoa)
Unterabteilung: Bilateria
incertae sedis
ohne Rang: Orthonectida
Wissenschaftlicher Name
Orthonectida
Giard, 1880

Orthonectida (Gr.: gerade Schwimmende) sind ein kleiner, nur ca. 25 Arten umfassender Stamm des Tierreichs mit unsicherer stammesgeschichtlicher Stellung. Es handelt sich um sekundär vereinfachte Gewebetiere aus den Bilateria.

Merkmale

Es sind sehr kleine, wurmförmige Organismen, die Körpergröße aller Arten liegt unter einem Millimeter. Der Körper der frei lebenden Geschlechtstiere besteht aus einer Hülle (Epidermis) aus ringförmig angeordneten Zellen, die je nach Ring mit Cilien bewimpert oder unbewimpert sind. Das innere Gewebe besteht zum größten Teil aus den Keimzellen, zwischen Hülle und Keimzellen verlaufen Bündel aus Muskelzellen. Teilweise findet sich am Vorderende ein Sinnesorgan, das aus drei Zellen besteht. Es existieren weder Körperhöhlungen noch ein Darm oder ein Nervensystem. Mit Hilfe der Wimpern schwimmen die Orthonectida.

Ökologie

Die Tiere leben als Endoparastiten in diversen marinen wirbellosen Tieren, bisher als Wirte nachgewiesen wurden:Turbellarien, Schnurwürmer, polychäte Ringelwürmer, Muscheln, Schnecken, Stachelhäuter, Tunicata. Dabei können sie großen Schaden anrichten, z. B. zerstören sie manchmal die Gonaden ihrer Wirte. Die Inzidenz (Infektionsrate) vieler Wirte ist dabei aber sehr gering, in manchen Fällen unter 1 %. Einige Arten wurden sogar nach der Erstbeschreibung nie wieder gefunden, obwohl zahlreiche Wirtsorganismen vom Originalfundort untersucht worden sind. Die häufigste und bestuntersuchte Art Rhopalura ophiocomae parasitiert in dem Schlangenstern Amphiphotis squamata, diese Art lag dem Erstbeschreiber Alfred Giard bei der Entdeckung der Tiergruppe 1880 vor. Giard beobachtete, dass nahezu fertige Larven, die er aus dem Gewebe freilegte, charakteristischerweise in einer geraden Linie schwammen, worauf er den Namen des Stammes gründete (vgl.o.). Tiere, die den Wirt selbsttätig verlassen, zeigen dieses Verhalten allerdings nicht.

Lebenszyklus

Ihr Lebenszyklus ist ein Wechsel von sich ungeschlechtlich und geschlechtlich vermehrenden Generationen, also eine Metagenese. Die vorherrschende Generation ist ein Plasmodium innerhalb einer degenerierten Wirtszelle, meist einer Muskelzelle oder einer Epidermiszelle, das von den Zellkernen des Parasiten kontrolliert wird. Über die Natur des Plasmodiums bestand jahrzehntelang keine Einigkeit, möglicherweise besteht es bei verschiedenen Arten entweder aus Cytoplasma der Wirtszelle oder des Parasiten selbst. Die asexuelle Vermehrung erfolgt durch Fragmentierung des Plasmodiums. Innerhalb akkumulieren einige der Parasitenkerne, die so genannten Agamonten, und es kommt zu Teilungen, so dass sich aus dem Plasmodium die weiter oben beschriebenen Individuen bilden. Diese stellen die sich sexuell vermehrende Generation dar und verlassen den Wirt, die Befruchtung findet dann außerhalb im freien Wasser statt. Die Männchen sind kleiner als die Weibchen (Sexualdimorphismus), nur die Tiere der Gattung Stoecharthrum sind Hermaphroditen (Zwitter). Männchen und Weibchen besitzen einen Genitalporus, die bei der Begattung gegeneinander gehalten werden, woraufhin die Spermien auf diesem Wege in den weiblichen Organismus eindringen. Die befruchteten Eizellen entwickeln sich noch im Muttertier zu Schwärmerlarven. Auch sie verfügen über eine bewimperte Hülle, in der Innenzellen liegen. Wenn sie einen Wirt befallen, verlieren sie die Hülle und die Innenzellen sorgen für die Bildung neuer Plasmodien.

Systematik

Früher wurden die Orthonectida mit den Rhombozoa, mit denen sie einige Gemeinsamkeiten aufweisen, zum Taxon „Mesozoa“ vereint, das allerdings wohl keine natürliche Gruppe, also kein monophyletisches Taxon, darstellt. Einige Forscher vertraten die Meinung, die Orthonectida wären unabhängig von allen anderen Tieren aus einzelligen Vorfahren hervorgegangen[1]. Auch der Name "Mesozoa" nahm auf die Stellung scheinbar "zwischen" den Protozoen und den Gewebetieren Bezug. Alfred Giard verglich die Tiere mit der Planula-Larve der Nesseltiere. Diese Meinungen gelten aber aufgrund molekularer Stammbäume heute als widerlegt. In einer Untersuchung auf Basis der 18S-rRNA standen die Orthonectida basal innerhalb der Gewebetiere ohne nähere Beziehungen zu einem anderen Tierstamm[2][3]. Einige Forscher vermuten auch eine Position innerhalb der Lophotrochozoen, nahe bei oder innerhalb der Annelida[4].

Innerhalb der Orthonectida werden heute zwei Familien mit insgesamt sechs Gattungen anerkannt[5]

  • Familie Pelmatosphaeridae
    • Pelmatosphaera Caullery & Mesnil, 1904
  • Familie Rhopaluridae
    • Ciliocincta Kozloff, 1965
    • Intoshia Giard, 1877
    • Prothelminthus Jourdain, 1880
    • Rhopalura Giard, 1877
    • Stoecharthrum Caullery & Mesnil, 1899

Literatur

  • Eugene N. Kozloff: Orthonectida. in: Sol Felty Light & James T. Carlton (Eds.) The Light and Smith Manual. Intertidal Invertebrates from Central California to Oregon, Fourth Edition, University of California Press 2007. ISBN 9780520239395
  • Eugene N. Kozloff (1992): The genera of the phylum Orthonectida (Mesozoa) Cahiers de Biologie Marine 33(3): 377-406.
  • Wilfried Westheide & Reinhard Rieger (Hrsg.): Spezielle Zoologie - Teil 1: Einzeller und Wirbellose Tiere (2. Aufl.). Elsevier, Spektrum Akademischer Verlag, München 2007. ISBN 3-8274-1575-6

Einzelnachweise

  1. T. Cavalier-Smith (1993): Kingdom Protozoa and its 18 phyla. Microbial Revue 57: 953-994.
  2. Ben Hanelt, David Van Schyndel, Coen M. Adema, Louise A. Lewis, Eric S. Loker (1996): The Phylogenetic position of Rhopaluva ophiocomae (Orthonectida) based on 18s ribosomal DNA sequence analysis. Molecular Biology and Evolution 13(9): 1187-1191.
  3. vgl. auch: Kenneth M. Halanych (2004): The new view of animal phylogeny. Annual review of ecology, evolution, and systematics 35: 229-256. doi:10.1146/annurev.ecolsys.35.112202.130124
  4. G.S. Slyusarev & R.M. Kristensen (2003): structure of the ciliated cells and ciliary rootlets of Intoshia variabilis Fine (Orthonectida). Zoomorphology 122: 33-39.
  5. H. Furuya & J. van der Land: Orthonectida. World Register of Marine Species. 2010. Abgerufen am 16. Januar 2013.

Weblinks

Commons: Orthonectida – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien