Ökologische Potenz


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Toleranz, Potenz und Existenz

Die ökologische Potenz oder ökologische Toleranz beschreibt die Fähigkeit eines Lebewesens, einer Art oder Population, Schwankungen von biotischen und abiotischen Umweltfaktoren bei gleichzeitiger Einwirkung von Konkurrenz innerhalb eines Toleranzbereiches zu ertragen, darüber hinaus zu gedeihen und sich fortzupflanzen. Die ökologische Potenz bezogen auf verschiedene Umweltfaktoren ist von Art zu Art verschieden.

Wird der Einfluss der Konkurrenz außer Acht gelassen, spricht man dagegen von der physiologischen Potenz.[1] Der tatsächliche Existenzbereich unter realen Bedingungen und dem Einfluss sämtlicher endogener und exogener Faktoren einer Art wird als deren ökologische Existenz bezeichnet.

Betrachtet man die Wertigkeit eines bestimmten Umweltfaktors für einen Organismus, spricht man des Weiteren von der ökologischen Valenz (valenz, lat. = Wertigkeit) dieses Faktors. Im allgemeinen Sprachgebrauch jedoch wird dieser Begriff oft synonym zum Begriff der Potenz verwandt, was strenggenommen nicht korrekt ist, da die Valenz lediglich die Bedeutung des betreffenden Umweltfaktors für die Existenz der untersuchten Lebewesen bezeichnet.[2]

Unterscheidung

Potenz und tatsächliche Existenz: Bsp. Feuchte

Organismen, deren Vitalität bei Veränderung mehrerer Umweltfaktoren einen großen Toleranzbereich aufweist, werden als eurypotent (euryök, eurytolerant; eurys, griech. = breit) bezeichnet.

Organismen, die empfindlich auf die Schwankung von mehreren Umweltfaktoren reagieren, sind hingegen stenopotent (stenök, stenotolerant; steno, griech. = eng). Diese Organismen werden als Zeigerarten, Leitformen bzw. Indikatororganismen bezeichnet, da deren Vorkommen für bestimmte Biotope charakteristisch ist. Typisch für stenöke Arten ist, dass ihre Vitalität um dessen Optimum sehr schnell abfällt.

Untersucht man die Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Umweltfaktoren, lässt sich die Charakterisierung entsprechend der Umwelteinflüsse weiter verfeinern.

Umweltfaktoren und deren griechisches Suffix
Umweltfaktor Suffix
Nahrung euryphag / stenophag
Salzgehalt euryhalin / stenohalin
Temperatur eurytherm / stenotherm
Feuchtigkeit des Bodens euryhygr / stenohygr
Sauerstoffgehalt euryoxygen / stenooxygen
Wassertiefe eurybatisch / stenobatisch
geografische Lage eurytop / stenotop

Entsprechend der Lage des Optimums im Verhältnis zur Intensität des Umweltfaktors werden weiterhin die Infixe mono~, oligo~ sowie poly~ verwendet.

Unbedingt zu beachten ist aber: In Bezug auf den Faktor Nahrung, vor allem bei Pflanzenfressern, weicht der wissenschaftliche Sprachgebrauch von dieser Regel ab. "Polyphag" ist eine Art mit einem breiten Nahrungsspektrum, nicht ein Vielfraß (vgl. Polyphagie). Polyphag und euryphag werden hier also als Synonyme gebraucht.

Variation und Anpassung

Die ökologische Potenz eines Individuums und einer biologischen Art dürfen nicht gleichgesetzt werden. Verschiedene Individuen reagieren auf denselben einwirkenden Faktor verschieden. Dabei sind, neben den trivialen und bei Messungen immer auftretenden Zufalllssschwankungen, zwei Quellen der nicht-zufälligen Variation zu unterscheiden. Einerseits unterscheiden sich Individuen in ihrer genetischen Ausstattung. Andererseits variieren auch Individuen mit gleicher genetischer Ausstattung je nach ihrer Lebensgeschichte und den Umweltfaktoren, denen sie bisher ausgesetzt waren. Dies bezeichnet man als die Reaktionsnorm des jeweiligen Gens bzw. Allels. Bezogen auf Individuen spricht man z.B. von Akklimatisation. (Diese ist unbedingt von der evolutionären Anpassung oder Adaptation zu unterscheiden. Adaptation ist ein Vorgang innerhalb einer Population, nicht eines Individuums!).

Bei vielen Arten kommen deutlich unterscheidbare Formen innerhalb derselben Art vor, dies wird als Polymorphismus bezeichnet. Polymorphismus entsteht meist bei vergleichbarer genetischer Basis als alternative Entwicklungspfade, die von Faktoren wie dem Hormonspiegel oder als Reaktion auf Umweltfaktoren gesteuert eingeschlagen werden können. Die Formen können scharf geschieden oder durch gleitende Übergänge miteinander verbunden sein. Polymorphismus tritt in verschiedenen Formen auf. Beispielsweise unterscheiden sich bei vielen Arten die Geschlechter in Gestalt, Größe und Lebensweise (Sexualdimorphismus). Die Geschlechter unterscheiden sich dabei sehr häufig auch in Faktoren wie z.B. ihrer Temperaturpräferenz oder ihrer Nahrung. Auch verschiedene Altersstadien oder Größenklassen können sich in gleicher Weise unterscheiden.

Auch individuelle Spezialisierungen von Individuen sind von einer Vielzahl von Arten belegt[3]. Bekannt sind z.B. die Blütenstetigkeit bei blütenbesuchenden Insekten wie Bienen oder Schmetterlingen. Einzelne Individuen oder Völker bevorzugen dabei eine Zeitlang einen bestimmten Blütentyp (sind also stenophag), während auf viele Individuen und über einen längeren Zeitraum betrachtet viele Quellen genutzt werden (Polyphagie). Vor allem von Vogelarten sind Spezialisierungen von Einzeltieren auf bestimmte Beute oder Nahrungsquellen je nach Umweltbedingungen oder nach individuellem Lernen belegt[4][5].

Darstellung

Zur Illustration des Toleranzbereiches bzw. der Toleranzbreite kann die Reaktion eines Organismus im Verhältnis zum Umweltfaktor in einem Koordinatensystem schematisch dargestellt werden. Ein großer Toleranzbereich deutet auf eine euryöke, ein kleiner Toleranzbereich auf eine stenöke Lebensform hin.

Die Toleranzkurve (auch: Gedeihkurve) wird durch die charakteristischen Punkte bzw. Bereiche Optimum, Pejus sowie Pessimum bestimmt. Das Pessimum ist durch die beiden kritischen Werte Maximum und Minimum gekennzeichnet. Diese, auch als Kardinalpunkte des Lebens bezeichneten Werte, begrenzen den Toleranzbereich der Organismenart. Liegt die Intensität des Umweltfaktors unterhalb des Minimums oder oberhalb des Maximums, so ist der Organismus unter diesen Bedingungen nicht mehr lebensfähig. Innerhalb des Pessimums ist weder Fortpflanzung noch effektives Gedeihen des Lebewesens möglich.

Der Bereich um das Optimum, das Präferendum bzw. der Präferenzbereich, zeigt den durch den Organismus bevorzugten Lebensraum an. Die Lebensform zeigt unter diesen Umständen die größtmögliche Vitalität und Fortpflanzung.

Der Übergang vom Präferendum zu den Pessima wird als Pejus (lat. peius, n = schlechter) bezeichnet. Die Lebensform ist in diesem Bereich zwar lebensfähig, die Fortpflanzung ist jedoch kaum oder gar nicht möglich.

Anwendung

Physiologische Toleranzbereiche werden unter experimentellen Bedingungen ermittelt, bei denen alle anderen Faktoren konstant gehalten werden. Es wird gemessen, inwieweit der Faktor schwanken kann, ohne dass der Organismus physisch nachteilig eingeschränkt wird.

Anhand der Vorkommen von Indikatororganismen lässt sich die Qualität von Böden oder Gewässer erkennen. So dienen Colibakterien z.B. als Indikator für eine fäkale Verunreinigung von Wasser. Anhand der Existenz von bestimmten Pflanzen lässt sich z.B. der Salzgehalt oder Säurewert von Gewässern erkennen. [6]

Beispiele

Toleranz und Potenz: Bsp. Feuchte

Euryök/eurypotent

Die Waldkiefer hat bezogen auf den abiotischen Faktor Wasser (in Form von Bodenfeuchte) eine sehr euryöke Toleranzbreite. Da sie sowohl auf trockenen und sandigen Böden als auch auf feuchten Moorstandorten wachsen kann, hat sie eine breite physiologische Potenz.

Der Löwenzahn besitzt hinsichtlich der Bodenverhältnisse einen großen Toleranzbereich. Allesfresser wie Ratten oder Schwein sind in Bezug auf die Nahrung sehr euryöke bzw. euryphage Arten.

Stenök/stenopotent

Die Forelle, die nur bei bestimmten Wassertemperaturen existieren kann, ist eine stenöke oder genauer stenotherme Art. Da der Koala sich nur von Eukalyptusblättern ernähren kann, handelt es sich bei diesem um ein stenökes bzw. stenophages Lebewesen.

In der Flora gilt die Steineiche als stenohygre Arten.

Siehe auch

Weblinks

  • Phillip Hauer, 2008: Toleranzbereich, ökologische Potenz, Toleranzkurve und Umweltfaktoren - anschaulich und beispielhaft illustriert und erklärt. phillipphauer.de
  • Hensel: Physiologische und ökologische Potenz. Auf lukopolis.de

Einzelnachweise

  1. Bayrhuber, Kull, Linder. 2005: Linder Biologie Gesamtband. Seite 9. 22. Auflage. Schroedel Verlag. Braunschweig. Online abgerufen von schulbuchzentrum-online.de
  2. Guderian (Hrsg.) 2001: Handbuch der Umweltveränderungen und Ökotoxikologie: Band 2A: Terrestrische Ökosysteme. Immissionsökologische Grundlagen - Wirkungen auf Boden - Wirkungen auf Pflanzen. Seite 2 Springer Verlag. Berlin. Online abgerufen von books.google.com.
  3. Daniel I. Bolnick, Richard Svanbäck, James A. Fordyce, Louie H. Yang, Jeremy M. Davis, C. Darrin Hulsey, Matthew L. Forister (2003): The Ecology of Individuals: Incidence and Implications of Individual Specialization. American Naturalist 161(1): 1-28.
  4. B. Ebenman & S. G. Nilsson (1982): Components of niche width in a territorial bird species: habitat utilization in males and females of the chaffinch (Fringilla coelebs) on islands and mainland. American Naturalist 119: 331–344.
  5. J.D. Goss-Custard & S.E.A. Le V. dit Durell (1983): Individual and age differences in the feeding ecology of oystercatchers Haematopus ostralegus wintering on the Exe estuary, Devon. Ibis 125:155–171. doi:10.1111/j.1474-919X.1983.tb03096.x
  6. wasser-wissen.de, abgerufen am 29. April 2009

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