Pocken
Klassifikation nach ICD-10 | |
---|---|
B03 | Pocken[1] |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Die Pocken (auch Blattern; lateinisch Variola) sind eine für den Menschen gefährliche Infektionskrankheit, die von Pockenviren verursacht wird.
Seit den letzten Erkrankungen 1977 in Somalia sind keine Pockenfälle mehr aufgetreten, der letzte Fall in Deutschland trat 1972 in Hannover auf. Durch ein konsequentes Impf- und Bekämpfungsprogramm der WHO und anderer Gesundheitsorganisationen wurde erreicht, dass 1980 die Welt von der WHO für pockenfrei erklärt werden konnte, weil der Erreger nur durch den Menschen weitergegeben werden kann. Dennoch sind weitere Pockeninfektionen nicht völlig ausgeschlossen.
Erreger
Die Erreger der Pocken beim Menschen sind Viren aus der Gattung Orthopoxvirus. Pockenviren sind die größten und bekanntesten Tierviren. Sie weisen Eigenschaften auf, die denen primitiver Zellen ähneln. Jedoch sind die Pockenviren, wie alle Viren, nicht in der Lage, Stoffwechsel zu betreiben, und sind daher in Bezug auf die Proteinbiosynthese vom Wirt abhängig. Diese Viren sind auch hinsichtlich ihrer DNA-Replikation im Cytoplasma ungewöhnlich. Eine mit einem Pockenvirus infizierte Zelle weist eine DNA-Synthese außerhalb des Kernes auf, was sonst nur in intrazellulären Organellen wie Mitochondrien (und bei Pflanzen in Chloroplasten) oder bei einer Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus vorkommt.
Erkrankung | medizinischer Name | Erreger | Sterblichkeit |
---|---|---|---|
Echte Pocken | Variola vera, Variola major |
Orthopoxvirus variola | 10–90 %, je nach Stamm |
Weiße Pocken | Variola minor, Alastrim |
Orthopoxvirus variola var. alastrim | 1–5 % |
Ostafrikanische Pocken | Variola haemorrhagica | ? | 5 % |
Tierpocken
Neben den Pockenerkrankungen des Menschen gibt es auch bei einer Reihe von Tieren durch verwandte Viren ausgelöste Erkrankungen. Die ebenfalls durch Orthopox-Viren hervorgerufenen Tierpocken – die sogenannten „Säugerpocken“ wie Kuhpocken, Affenpocken, Katzen-, Kamel- und Mäusepocken – sind, mit Ausnahme der Mäusepocken, prinzipiell auch für den Menschen pathogen.[2] Sie sind also Zoonosen und daher meldepflichtige Tierkrankheiten, lösen aber meist nur leichte Erkrankungen aus. Die übrigen durch Pockenviren hervorgerufenen Tierkrankheiten wie Schweine-, Schaf- und Ziegen-, Euter- und Vogelpocken, Myxomatose, Kaninchenfibromatose, Stomatitis papulosa der Rinder sind dagegen streng wirtsspezifisch und für den Menschen ungefährlich.
Von besonderer Bedeutung ist der Erreger der Kuhpocken Orthopoxvirus vaccinia, der mit dem Variolavirus eng verwandt ist, beim Menschen aber nur eine leichtere Krankheit auslöst. Dafür ist der Patient nach einer Ansteckung mit Kuhpocken gegen die echten Pocken immunisiert. Deshalb wurden Varianten von Vaccinia für die Pockenimpfung verwendet. Das Erregerreservoir stellen vermutlich Nagetiere dar, und ein wichtiger Überträger auf den Menschen sind Katzen (→ Katzenpocken). Bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem (zum Beispiel durch AIDS oder eine hochdosierte Kortisonbehandlung) können durch Katzen übertragene Kuhpockeninfektionen auch tödlich enden.
Die Bläschenkrankheit der Schlangen wird fälschlicherweise auch als „Pocken“ oder „Wasserpocken“ bezeichnet. Sie ist jedoch keine Viruserkrankung, sondern eine bakterielle Hautentzündung infolge schlechter Haltungsbedingungen.
Übertragung
Pocken können direkt von Mensch zu Mensch durch Tröpfcheninfektion beim Husten übertragen werden. Daneben kann die Ansteckung auch durch Einatmen von Staub erfolgen, der z. B. beim Ausschütteln von Kleidung oder Decken von Pockenkranken entsteht.
Krankheitsverlauf
Die Inkubationszeit beträgt eine bis zweieinhalb Wochen, meistens jedoch 12 bis 14 Tage. Bei Beginn der Erkrankung kommt es zu schwerem Krankheitsgefühl, Rückenschmerzen mit Fieber und Schüttelfrost, ferner tritt ein Rachenkatarrh auf. Zu diesem Zeitpunkt ist der Patient hochinfektiös. Bei den Pocken ist ein biphasischer Fieberverlauf typisch: Nach 1–5 Tagen sinkt das Fieber und steigt nach einem Tag wieder an. Nun kommt es zu den typischen Hauterscheinungen.[3]
Die Reihenfolge, in welcher die Hauterscheinungen (Effloreszenzen) auftreten, ist dabei typisch: Makula (Fleck) → Papel → Vesikel (Bläschen) → Pustel (Eiterbläschen) → Kruste. Die verschieden lokalisierten Hauteffloreszenzen sind, im Gegensatz zu den Effloreszenzen bei Windpocken, nacheinander alle im gleichen Stadium. Sie treten fast am gesamten Körper auf, wobei Kopf, Hände und Füße am stärksten, Brust, Bauch und Oberschenkel nur schwach betroffen sind. Ausgenommen sind die Achselhöhlen und Kniekehlen. Die eitrige Flüssigkeit in den Pusteln verbreitet einen sehr unangenehmen Geruch. Bei einem weniger schweren Krankheitsverlauf trocknen die Pusteln etwa zwei Wochen nach Ausbruch der Krankheit nach und nach ein und hinterlassen deutlich erkennbare Narben. In schwereren Fällen können Erblindung, Gehörlosigkeit, Lähmungen, Hirnschäden sowie Lungenentzündungen auftreten. Oft verläuft die Krankheit tödlich. Die geschätzte Letalität der unbehandelten Pocken liegt bei etwa 30 Prozent.
Impfung
Gegen Pocken gibt es kein bekanntes Heilmittel, nur eine vorbeugende Impfung ist möglich. Die Impfung kann ihre Schutzwirkung auch noch entfalten, wenn sie bis etwa fünf Tage nach der Infektion vorgenommen wird. Die Pockenimpfung ist eine Lebendimpfung und ist durch eine Reihe von Impfkomplikationen belastet, so dass nur bei eindeutigen Pockenausbrüchen geimpft werden sollte. Eine Massenimpfung ist z. B. in den USA gar nicht vorgesehen – die dortigen Notfallpläne sehen nur eine Impfung der gefährdeten Personen vor. Zur Eindämmung der Erkrankung haben sich dagegen Quarantänemaßnahmen (Isolierung von Kranken und Krankheitsgebieten) bewährt.
Am 26. August 1807 wurde in Bayern als weltweit erstem Land eine Impfpflicht eingeführt. Baden und Preußen folgten 1815, Schweden 1816, England 1867 und das Deutsche Reich 1874. Im lutherischen Schweden hatte die protestantische Geistlichkeit bereits um 1800 eine Vorreiterrolle bei der freiwilligen Pockenschutzimpfung inne.[4]
Die ab 1967 weltweit von der Weltgesundheitsorganisation vorgeschriebene Impfpflicht gegen Pocken endete in Westdeutschland 1976.[5] Die Impfung wurde typischerweise mit einer Impfpistole[6] oder Lanzette meist am Oberarm durchgeführt, wo sich an der Einritzstelle durch die resultierende, gewollte Infektion in der Regel eine Pustel[7] und daraus schließlich eine kreisrunde Impfnarbe bildete, die bis heute bei vielen geimpften Menschen zu sehen ist. In manchen Ländern war es in Zeiten der Impfpflicht bei der Einreise erforderlich, die Impfnarbe vorzuzeigen.
Impfung durch Variolaviren
Einfache Formen der Impfung sind schon lange bekannt. Die vorbeugende Ansteckung mit geringen Mengen von Variolaviren, heute Variolation genannt, ist schon seit mindestens 3000 Jahren aus China bekannt, wo zerriebener Schorf der Pusteln geschnupft wurde. In Indien dagegen wurde dieses Material in die Haut eingeritzt. In Europa führte Lady Montagu (1689–1762), die Frau eines britischen Diplomaten in Istanbul, die Variolation durch Einritzen von etwas Flüssigkeit aus den Pockenbläschen in die Haut ein.
Impfung mit Vaccinia-Viren (Kuhpocken-Viren)
Die zweite, sicherere Impfmethode beruht auf der seit spätestens 1765 belegten Beobachtung,[8] dass Menschen nach durchgemachter Kuhpocken-Infektion vor Infektionen mit den echten Pocken geschützt sind. Die künstliche Kuhpockeninfektion zum Schutz vor echten Pocken wurde ab ca. 1771 in Einzelfällen entdeckt und erprobt u. a. von Sevel, Jensen, Benjamin Jesty (1774), Rendall und Peter Plett (1791),[9] bevor Edward Jenner sie 1796 in England einführte. Auch er glaubte der Landbevölkerung, die berichtete, dass Menschen, die von Kuhpocken angesteckt worden waren, nicht mehr die echten Pocken bekommen könnten. Zur Überprüfung dieser These infizierte Jenner einen Jungen zunächst mit Kuhpocken und, nach Abklingen der Krankheit, mit den echten Pocken. Der Junge überlebte. Dieses Verfahren wird, nach den verwendeten Vaccinia-Viren, Vakzination genannt. Das Wort vaccination bedeutet heute im Englischen Impfung ganz allgemein, auch im Deutschen werden Impfstoffe Vakzine genannt. In vielen Ländern wurde die Impfung von Kleinkindern und auch die Nachimpfung nach etwa 12 Jahren gesetzlich vorgeschrieben. 1801 führte der Arzt Gerhard Reumont, nach Studienaufenthalten im Jahr 1800 bei Jenner, auf dem europäischen Kontinent in Aachen die Pockenschutzimpfung ein.
Geschichte
Pocken sind schon seit Jahrtausenden bekannt. Die an mehreren Stellen des Alten Testaments (u. a. 2 Kön 20,7 EU; Lev 13,18 EU und das Leiden des Hiob) hebräisch als schechin (Pustel, Geschwür) bezeichnete Seuche wurde von Medizinhistorikern mit den Pocken in Verbindung gebracht. Besonders die sechste ägyptische Plage (Ex 9,2–11 EU) gilt vielen Exegeten als Beschreibung einer Pockenepidemie. In der Vita Mosis beschreibt Philon von Alexandria diese Plage mit allen Symptomen der Pocken.[10] Diese auch als „ägyptisches Geschwür“ (schechin mizraim, Dtn 28,27 EU) bezeichnete Seuche wurde auch mit der Uhedu-Krankheit identifiziert, die mehrfach im Papyrus Ebers genannt wird. Das altägyptische Wort uhedu oder uhet steht für einen eigentümlichen, tödlichen Hautausschlag, der mit Geschwüren einhergeht.[11] Die Mumie von Pharao Ramses V. von Ägypten zeigt Läsionen, die histologisch den Pockennarben entsprechen könnten.[12]
Nach Europa kamen die Pocken wahrscheinlich 165 n. Chr. mit dem Einzug der siegreichen römischen Legionen nach der Einnahme der parthischen Stadt Seleukia-Ktesiphon im heutigen Irak. Die Pocken breiteten sich rasch bis zur Donau und zum Rhein hin aus. Die Folge war ein Massensterben über 24 Jahre hin, das als Antoninische Pest in die Geschichte eingegangen ist. Die Bezeichnung variola (von lat. {{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value) ‚bunt‘, ‚scheckig‘, ‚fleckig‘) wurde von Bischof Marius von Avenches (heute Schweiz) um 571 n. Chr. geprägt und soll im 11. Jahrhundert der Krankheit auch von dem Arzt und Übersetzer Constantinus Africanus gegeben worden sein. Die Kreuzritter des 11.–13. Jahrhunderts trugen zur Verbreitung der Pocken wesentlich bei. Seit dem 15.–16. Jahrhundert waren die Pocken weltweit verbreitet. Über 10 Prozent der Kinder starben vor dem 10. Lebensjahr an Pocken. Der Name „Pocken“ kommt zum ersten Mal in einer angelsächsischen Handschrift aus dem 9. Jahrhundert am Ende eines Gebetes vor: ... geskyldath me wih de lathan Poccas and with ealleyfeln. Amen. („... beschützt mich vor den scheußlichen Pocken und allem Übel. Amen.“) Das Wort Pocken kommt aus dem Germanischen und bedeutet „Beutel“, „Tasche“, „Blase, Blatter“. Es ist mit den englisch pocket, {{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value), {{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value) und französisch poche verwandt.
Die europäischen Eroberer brachten die Pocken nach Amerika mit, wo sie unter den Indianern verheerende Epidemien auslösten, die Millionen von Toten forderten. Gut untersucht ist die Pockenepidemie an der Pazifikküste Nordamerikas ab 1775. Die Europäer dagegen waren durch zahlreiche frühere Pockenepidemien stark durchseucht und daher relativ wenig gefährdet. Ob die Pocken als biologische Waffe gegen die Indianer eingesetzt wurden, ist trotz aller Forschung umstritten. Aus dem Juni 1763 existieren ein Briefwechsel und eine Quittung, laut denen zwei Decken und ein Taschentuch aus dem Hospital des belagerten Fort Pitt – in dem die Pocken ausgebrochen waren – an eine Delegation der Lenni Lenape-Indianer überreicht worden sind. Der Versuch hatte aber keinen Erfolg, die später doch ausgebrochene Epidemie wird auf andere Ursachen zurückgeführt.[13] Die vielfältig erhobenen Vorwürfe bezüglich eines Pockenausbruchs 1837 bei den Mandan am Missouri River wurden als wissenschaftliche Fälschung enttarnt.[14] Der Verantwortliche, Ward Churchill, verlor seinen Lehrstuhl infolge des akademischen Skandals. Im Fall der Pockenepidemie an der Pazifikküste Nordamerikas 1862 lässt sich zeigen, dass äußerst verschieden motivierte Entscheidungsträger im Ergebnis ihrer Handlungen die Ausbreitung förderten und in der Bevölkerung erfreute Reaktionen über das folgende Massensterben vorkamen. Nach Impfung der meisten Weißen und vieler Indianer in Victoria konnte in diesem Fall eine unerwünschte Ausbreitung der Pocken unter den weißen Siedlern nahezu ausgeschlossen werden.
Nach Australien kamen die Pocken vermutlich mit Seefahrern aus Makassar in Indonesien, die ab etwa 1700 alljährlich im Arnhemland Seegurken sammelten. Als erste Pockenepidemie wurde die von 1789 von den Mitgliedern der First Fleet im heutigen Gebiet von Sydney dokumentiert.[15]
In Europa galten Pocken teilweise als Kinderkrankheit. Ab dem 18. Jahrhundert häuften sich die Pockenfälle und lösten die Pest als schlimmste Krankheit ab. Nach Schätzungen starben jedes Jahr 400.000 Menschen an Pocken. Oft zählten Kinder erst zur Familie, wenn sie die Pocken überstanden hatten. Berühmte Persönlichkeiten wie Mozart, Haydn, Beethoven und Goethe blieben von der Krankheit nicht verschont, Ludwig XV. von Frankreich und Zar Peter II. starben daran. Die Heiratspolitik der Habsburger wurde gleichfalls von den Pocken immer wieder durcheinandergebracht. Die Kaiserin Maria Theresia, die mit der Verheiratung ihrer Töchter an andere Herrschaftshäuser Allianzpolitik betrieb, musste mehrfach ihre Pläne ändern, weil zwei ihrer Töchter an den Pocken starben und eine dritte durch diese völlig verunstaltet wurde.
Der erste, noch vage morphologische Nachweis des Pockenvirus wird dem in Mexiko gebürtigen Hamburger Impfarzt Enrique Paschen (1860–1936) zugeschrieben, der bereits 1906 mit einem Lichtmikroskop die von ihm „Elementarkörperchen“ und nach ihm „Paschenschen Körperchen“ benannten Partikel in Kinderlymphe sah.
Noch in den 1950er und 1960er Jahren gab es in Europa Pockenepidemien, so z. B. 1950 in Glasgow, 1958 in Heidelberg (18 Krankheitsfälle, davon zwei tödlich)[16], 1963 in Breslau (99 Krankheitsfälle, davon sieben tödlich) und 1967 in der Tschechoslowakei. Ein Einzelfall wie im Frühsommer 1957 in Hamburg konnte hingegen isoliert werden.[17] Ab 1967 wurde die Pockenimpfung auf Beschluss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit Pflicht. Es wurde mit großangelegten Impfaktionen ein weltweiter Feldzug zur Ausrottung der Pocken gestartet. Die letzte Pockenepidemie in Deutschland fand Anfang 1970 statt, als ein 20-jähriger die Pocken in das nördliche Sauerland einschleppte und insgesamt 20 Personen infizierte. Die Erkrankten wurden im Marienhospital in Wimbern isoliert.[18] Der letzte Pockenfall in der Bundesrepublik Deutschland trat 1972 als eine aus dem Kosovo eingeschleppte Erkrankung auf. Der weltweit letzte Fall von Echten Pocken wurde 1975 in Bangladesch dokumentiert, der letzte Fall von Weißen Pocken 1977 in Merka, Somalia, der letzte Erkrankte war der damals 23-jährige Ali Maow Maalin.[19] Am 8. Mai 1980 wurde von der WHO festgestellt, dass die Pocken ausgerottet sind.
Seitdem gibt es offiziell nur noch zwei Orte, an denen Pockenviren lagern, nämlich das Forschungszentrum der US-amerikanischen Seuchenbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) in Atlanta und ihr russisches Gegenstück VECTOR in Kolzowo südöstlich von Nowosibirsk. Über eine Vernichtung der letzten Bestände wurde nachgedacht, die Gedanken wurden allerdings verworfen. Die Bestände wären die letzte Möglichkeit, Impfstoffe gegen die Pocken herzustellen. Um das von den gelagerten Pocken-Viren ausgehende Restrisiko zu beseitigen, wollen die Vertreter der Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis 2014 eine Einigung darüber erzielen, wann die zwei noch vorhandenen Sammlungen der tödlichen Erreger unschädlich gemacht werden.[20]veraltet Durch einen Unfall oder Terrorangriff könnten die hoch gefährlichen, tiefgekühlten Erreger freigesetzt werden und sich anschließend weltweit verbreiten, kritisierte die Leiterin der Forschungsstelle Biowaffenkontrolle am Carl Friedrich von Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung, Iris Hunger. Die Industriestaaten haben sich nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 umfassend mit Pocken-Impfstoff für ihre Bevölkerung eingedeckt (u. a. die USA mit 100 Millionen Impfdosen), so dass umgehend reagiert werden könnte. Neben den USA halten noch Deutschland, Südafrika, das Vereinigte Königreich und Israel größere Bestände an Impfstoffen vorrätig.[21] Doch die Entwicklungsländer waren laut Aussage der Experten nicht dazu in der Lage, sich die Anschaffung der kostspieligen Impfdosen in dem für ihre Bevölkerung benötigten Umfang zu leisten, so dass ein Ausbruch der Pocken hier katastrophale Folgen haben könnte. Um im Notfall reagieren zu können, hält auch die WHO 64 Millionen Impfstoffdosen vorrätig, doch für die Bevölkerung in den Entwicklungsländern wird diese Anzahl an Impfdosen im Ernstfall nicht ausreichen und die Pocken könnten erneut eine Ausbreitung erfahren.
Die meisten Staaten hoben ab den 1970er Jahren die Pockenimpfpflicht wieder auf (in Teilen Deutschlands wurde die Erstimpfung 1975 ausgesetzt, später die Wiederimpfung), da auch die Impfung nicht völlig risikofrei ist. Nach Erfahrungswerten aus den 1950er und 1960er Jahren rechnet das CDC mit 15 lebensbedrohlichen Komplikationen und zwei Todesfällen pro einer Million Geimpfter. Nachdem die „natürliche“ Verbreitung der Pocken mit den Impfkampagnen eliminiert wurde, rückte das Virus als mögliche Methode eines Biowaffenanschlags wieder in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Unter dem Eindruck des bevorstehenden Irakkriegs gab die Bundesrepublik Deutschland daher der Firma Bavarian Nordic um den Jahreswechsel 2002/2003 den Auftrag, für jeden Einwohner Deutschlands etwas mehr als eine Impfdosis auf Vorrat zu produzieren.[22]
Literatur
- Manfred Vasold: Die letzte große Pockenepidemie in Deutschland – 200 Jahre Impfung gegen Pocken. Naturwissenschaftliche Rundschau 60(4), S. 183–187 (2007), ISSN 0028-1050
- Ernest Wickersheimer: L'apparition de "variola" dans le vocabulaire médical, Nova Acta Leopoldina, Neue Folge, 27 (1963), S. 175–181
Weblinks
- Pocken – Informationen des Robert Koch-Instituts
Einzelnachweise
- ↑ Die 33. Weltgesundheitsversammlung erklärte im Jahr 1980, dass die Pocken beseitigt wurden. Die Kategorie wird zu Überwachungszwecken beibehalten.
- ↑ Alfred D. Steinberg: Recent Worldwide Research on Animal Pox Viruses (PDF, 360 KB), Open Source Center, Januar 2008
- ↑ Hahn Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie Seite 588 Springer 6. komplett überarb. Aufl. 2009 ISBN 978-3-540-46359-7
- ↑ Anders Jarlert, Sveriges Kyrkohistoria, Bd. 6, Stockholm 2001, S. 33–54
- ↑ Pocken: Endsieg über die Seuche, spiegel.de, 12. März 1979
- ↑ Pistolen gegen Pocken, spiegel.de, 30. Juni 1966
- ↑ Mikroben ohne Aufsicht, spiegel.de, 10. Februar 2003
- ↑ Barquet N & Domingo P. Smallpox: the triumph over the most terrible of the ministers of death. Ann Intern Med. 1997; 127, S. 635–642.
- ↑ Sudhoffs Archiv. Band 90, Heft 2, S. 219–232.
- ↑ Carl Friedrich Krause: Über das Alter der Menschenpocken, Hannover 1825, S. 31
- ↑ Heinrich Brugsch: Über die medizinischen Kenntnisse der alten Ägypter und über ein altägyptisches medizinisches Manuskript im Königl. Museum zu Berlin, Allg. Monatsschrift für Wiss. und Lit. (1853), S. 51, Anmerkung 3
- ↑ M. A. Ruffer und A. R. Ferguson: Note on an eruption resembling that of variola in the skin of a mummy of the twentieth dynasty (1200–1100 B.C.), Journal of Pathology and Bacteriology (1910) 15: S. 1–3
- ↑ David Dixon: Never come to peace again. University of Oklahoma Press, 2005, ISBN 978-0-8061-3656-1. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
- ↑ Thomas Brown: Assessing Ward Churchill’s Version of the 1837 Smallpox Epidemic (Fassung vom 13. Februar 2005)
- ↑ Josephine Flood (2006) The Original Australians Seite 124 ff. ISBN 1-74114-872-3
- ↑ 3sat.de: Von Plagen und Seuchen - Die Angst vor den Pocken.
- ↑ Jagd nach den Tätern. In: Der Spiegel. Nr. 2, 1959 (online).
- ↑ Durchs Fenster. In: Der Spiegel. Nr. 7, 1970 (online).
- ↑ Herbert Hof, Rüdiger Dörries: Duale Reihe Medizinische Mikrobiologie, 3. Auflage. Stuttgart 2005, S. 252 und 692.
- ↑ Science: After U.S. Pressure, Smallpox Wins Reprieve Again, 24. Mai 2011
- ↑ Michael Selgelid, Smallpox Revisited? The American Journal of Bioethics 3(1):W5–W11, 2003 als html abrufbar, zuletzt abgerufen am 20. Juli 2008
- ↑ Der Spiegel: Masterplan gegen Killerviren, 31. Januar 2003