Severe Combined Immunodeficiency


Klassifikation nach ICD-10
D81.0 SCID mit retikulärer Dysgenesie
D81.1 SCID mit niedriger T- und B-Zellenzahl
D81.2 SCID mit niedriger oder normaler B-Zellenzahl
D81.3 Adenosindeaminase-Mangel (SCID durch ADA Mangel)
D81.4 Nezelof-Syndrom
D81.5 Purinnukleosid-Phosphorylasemangel (PNP-Mangel)
D81.6 Haupthistokompatibilitätskomplex Klasse I (MHC-Klasse I) Defekt

Bare lymphocyte syndrome I

D81.7 Haupthistokompatibilitätskomplex Klasse I (MHC-Klasse II) Defekt

Bare lymphocyte syndrome II

D81.8 Sonstige kombinierte Immundefekte (SCID)
D81.9 Kombinierter Immundefekt (SCID), nicht näher bezeichnet
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

SCID (engl. severe combined immunodeficiency; schwerer kombinierter Immundefekt) ist eine Sammelbezeichnung für Krankheiten oder ein Syndrom, die als Gemeinsamkeit eine angeborene schwere Störung des Immunsystems aufweisen. Typisch ist für alle SCID-Formen eine Fehlfunktion oder ein Mangel an T-Lymphozyten. Damit ist eine Störung der zellulären Immunantwort bei allen SCID-Formen bedingt. Je nach SCID-Form ist auch die Funktionen oder Anzahl von B-Lymphozyten und NK-Zellen fehlerhaft. Dementsprechend kann auch die humorale Immunität (Antikörper-gestützte Abwehr) beeinträchtigt sein. Ursache für die einzelnen SCID-Formen sind angeborene Defekte oder Störungen von Genen. Die Erkrankungen manifestieren sich durch wiederholte schwere Infektionen mit "ungewöhnlichen" Erregern und Entwicklungsverzögerung bereits im Säuglings- und Kleinkindesalter. Unbehandelt verlaufen SCID-Erkrankungen in aller Regel binnen weniger Monate bis bestenfalls Jahre tödlich. Die symptomatische Behandlung besteht in der Isolierung des Patienten vor Erregern von Infektionskrankheiten. Die gegenwärtig einzig heilende Behandlung ist die allogene Blutstammzelltransplantation (Übertragung von blutbildenden Stammzellen von einer anderen Person). Neuere Therapieverfahren auf Basis der Gentherapie versuchen die unterschiedlichen Gendefekte durch Einbringung eines "gesunden" Gens zu korrigieren. Diese Verfahren befinden sich allerdings noch im Versuchsstadium. Ihre ersten Anwendungen am Menschen bei einer bestimmten SCID-Form haben erfolgreich den zugrunde liegenden Gendefekt korrigiert. Als sehr schwere Nebenwirkung wurde auch die Entstehung von akuten Leukämien durch das eingeschleuste Gen beobachtet, so dass gegenwärtig keine weiteren Anwendungen am Menschen stattfinden.

Ursachen

Die verschiedenen Formen der SCID werden durch angeborene Defekte in Genen verursacht. Je nach SCID-Form sind einzelne unterschiedliche Gene betroffen; es können aber auch mehrere Gene gleichzeitig betroffen sein. Die betroffenen Gene sind:[1][2]

Zytokin-Rezeptorgene
Interleukin-2-Rezeptor gamma-Kette Gen (IL-2R-γ; CD132) - X-SCID
JAK3 Gen
Interleukin-7-Rezeptor alpha Gen (IL-7R-α; CD127)
Antigen-Rezeptorgene
Recombination activating gene 1 Gen (RAG1)
Recombination activating gene 2 Gen (RAG2)
Artemis-Gen - RS-SCID
CD3delta-Gen (CD3δ)
CD3epsilon-Gen (CD3ε)
Andere Gene
Adenosin-Desaminase-Gen (ADA)
CD45-Gen

Formen der SCID (Klassifikation)

Entsprechend der genetischen Ursache und der resultierenden Störungen des Immunsystems werden die einzelnen SCID-Formen benannt.

Tabelle 1. Übersicht über die Formen der (angeborenen) schweren kombinierten Immundefekte (SCID)
SCID-Form Genetik Immunologische Funktionen
Bezeichnung Abkürzung OMIM Code Betroffenes Gen Chromosom Vererbungsgang T-Zellen B-Zellen NK-Zellen
X-chromosomaler SCID X-SCID #300400 IL-2R γ-Kette Xq13 XR fehlen vorhanden fehlen
SCID mit Empfindlichkeit gegen ionisierende Strahlung;
SCID, Athabasca-Typ
RS-SCID
SCIDA
#602450 DCLRE1c (Artemis) 10p AR fehlen fehlen vorhanden
SCID infolge Mangels an Adenosin-Desaminase ADA-SCID #102700 ADA 20q13.11 AR (SM) fehlen fehlen fehlen
SCID mit RAG1-Mutation RAG1-SCID #601457 RAG1 11p13 AR fehlen fehlen vorhanden
SCID mit RAG2-Mutation RAG2-SCID #601457 RAG2 11p13 AR fehlen fehlen vorhanden
SCID mit JAK3-Mutation JAK3-SCID #600802 JAK3 11q23;5p13 AR fehlen vorhanden fehlen
SCID mit IL7R-Mutation IL-7R #608971 IL-7R 5p13 AR fehlen vorhanden vorhanden
SCID mit CD45-Mutation CD45 #608971 CD45 1q31-q32 AR fehlen vorhanden vorhanden
SCID mit CD3δ-Mutation CD3δ #608971 CD3δ 11q23 AR fehlen vorhanden vorhanden
SCID mit CD3ε-Mutation CD3ε #608971 CD3ε 11q23 AR fehlen vorhanden vorhanden
SCID mit Purinnukleosid-
phosphorylase-Mangel (PNP-Mangel)
PNP-SCID +164050 PNP-Mutation 14q13.1 AR defekt oder fehlen variabel defekt vorhanden
Erläuterungen: AR: autosomal-rezissiv; AD: autosomal-dominant; XR: X-chromosomal-rezessiv; SM: somatisches Mosaik; GI: genomic imprinting

Epidemiologie (Häufigkeit und Vorkommen)

Die Häufigkeit von SCID wird auf 1:50.000 bis 1:100.000 Neugeborene geschätzt.[3]

Klinik und Symptome

Die große Mehrheit der SCID-Formen macht sich über Symptome bereits im Säuglings- und Kleinkindesalter bemerkbar. Ein Auftreten im Kindes-, Jugend- oder Erwachsenenalter ist sehr selten. Typische Symptome aller SCID-Formen sind

  • Gedeihstörungen im Sinne von Entwicklungs- und Wachstumsverzögerung
  • Rezidivierende (immer wiederkehrende) Infektionen, insbesondere Lungenentzündungen
  • Chronische Durchfälle (Diarrhöen)

Diagnose

Die Diagnose des SCID wird bei klinischem Verdacht mittels der Immunphänotypisierung (meist in Form der FACS-Analyse) gestellt. Hierbei werden mittels fluoreszenz-markierter Antikörper die Anwesenheit von bestimmten Antigenen auf weißen Blutkörperchen (Leukozyten) nachgewiesen oder deren Fehlen bzw. verminderte Anwesenheit (Expression) wird bestätigt. Ein Fehlen einer CD3-Expression auf Leukozyten spricht sehr stark für das Fehlen von T-Lymphozyten und somit für das Vorliegen eines SCID. Eine weitere Eingrenzung der SCID-Form kann ebenfalls mittels Immunphänotypisierung (Durchflusszytometrie) erfolgen, mittels derer das Vorhandensein oder Fehlen von B-Lymphozyten (Marker: CD19 oder CD20) bzw. NK-Zellen (Marker: CD56) nachgewiesen werden kann.

Der genaue Typ eines SCID kann nur über molekulargenetische Untersuchungen mit Nachweis von definierenden Mutationen erfolgen.

Differentialdiagnose

Von SCID-Formen sind abzugrenzen

  • T-Lymphopenien durch äußere Faktoren (Strahlentherapie, vor allem Chemotherapie)
  • Kombinierte variable Immundefekte (combined variable immunodefiencies)
  • HIV-Infektionen

Therapie

Symptomatische Therapie

Eine symptomatische Therapie besteht aus der Minimierung der Exposition gegenüber Infektionserregern durch Umkehrisolierung. Bei strenger Anwendung wurden Säuglinge und Kinder in sterilen Plastikzelten isoliert (sog. bubble babies). Weiterhin werden Infektionen mit Antibiotika (bei Bakterien), Antimykotika (bei Pilzen) und Virustatika (bei Viren) bekämpft. Beachtenswert ist, dass bei Immungesunden unkompliziert verlaufende Infektionen (beispielsweise Rotavirus-Gastroenteritis) bei SCID-Patienten schwere Verläufe nehmen können. Bei Antikörper-Mangel (vor allem IgG) können auch Immunglobuline substituiert werden.

Kurative (heilende) Therapie

Die gegenwärtig einzig gut erprobte kurative Therapie ist die allogene (Spender ungleich Patient) Blutstammzelltransplantation. Diese kann entweder als Transplantation peripherer blutbildender Stammzellen oder als Knochenmarktransplantation vorgenommen werden. Auch die Transplantation von allogenem Nabelschnurblut samt darin enthaltenen blutbildenden Stammzellen ist möglich.

Neben der allogenen Blutstammzelltransplantation wurden große Hoffnungen in die Gentherapie der SCID-Formen gesetzt. Hierbei sollten durch Transport mittels viraler Vektoren (Überträger) gesunde Versionen der krankhaften oder mutierten Gene in die Zellen des Immunsystems eingeschleust werden. Neben einigen eindrucksvollen Erfolgen in kleinen klinischen Studien kam es auch zu sehr schweren Nebenwirkungen durch die Entwicklung von akuten Leukämien bei mehreren Patienten just durch die viralen Überträger. Diese wurde verursacht durch den Einbau des zu übertragenden Gens an genetischen Loci, die dadurch zu Onkogenen werden.[4]

Prognose

Unbehandelt verlaufen die allermeisten SCID-Formen tödlich. Unter symptomatischer Behandlung gelingt zwar eine Lebensverlängerung; eine dauerhafte Vereitelung von Infektionen ist aber auch bei striktester Anwendung von Isolierungsmaßnahmen und Infektionsbehandlung bzw. -prophylaxe nicht möglich.

Eine Blutstammzelltransplantation verhilft den meisten SCID-Formen zu einer dauerhaften Heilung. Infolge der damit verbundenen sehr intensiven Behandlung (Chemotherapie ± Ganzkörperbestrahlung zur Zerstörung des defekten Immunsystems) kann es zu Folgeerkrankungen einschließlich bösartiger Erkrankungen kommen. Die Häufigkeit dieser Erkrankungen ist auf lange Sicht noch nicht zureichend sicher bekannt, da die Nachbeobachtungszeiten bei Blutstammzelltransplantationen bei SCID-Patienten noch nicht mehrere Jahrzehnte betragen.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Buckley RH. The multiple causes of human SCID. J Clin Invest 2004; 114:1409–1411.
  2. Gaspar HB, Gilmour KC, Jones AM. Severe combined immunodeficiency-molecular pathogenesis and diagnosis. Arch Dis Child. 2001 Feb;84(2):169-73. PMID 11159300
  3. H. Huangund und K. G. Manton: Newborn screening for severe combined immunodeficiency (SCID): a review. In: Front Biosci 10, 2005, S. 1024–1039.
  4. Salima Hacein-Bey-Abina et al: Insertional oncogenesis in 4 patients after retrovirus-mediated gene therapy of SCID-X1. In: Journal of Clinical Investigation 2008; 118(9):3132. PMCID: PMC2496963