Tödliche familiäre Schlaflosigkeit


Klassifikation nach ICD-10
A81.8 Sonstige atypische Virus-Infektionen des Zentralnervensystems
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Bei der tödlichen familiären Schlaflosigkeit (auch letale familiäre Insomnie, engl. Fatal Familial Insomnia, kurz FFI) handelt es sich um eine erbliche, sehr seltene und im Verlauf von Monaten bis Jahren stets tödlich endende übertragbare spongiforme Enzephalopathie (TSE).

Geschichte

Die Krankheit wurde 1986 erstmals beschrieben, wobei sie damals nicht als TSE erkannt wurde. 1992 wurde die zur Krankheit führende Mutation im PRNP-Gen beschrieben und 1995 die experimentelle Übertragbarkeit nachgewiesen. Die merkwürdig erscheinende Tatsache, dass eine Erbkrankheit übertragbar ist, ergibt sich aus den Besonderheiten der Prionkrankheiten.

Durch die „BSE-Krise“ und das Auftreten von vCJD in den 1990er Jahren wurde das Interesse der Öffentlichkeit an den TSE und damit auch in gewissem Umfang an FFI geweckt.

Klinisches Bild

Die Erkrankung ist bei Männern und Frauen gleich häufig. Die ersten Symptome treten im Alter zwischen 37 bis 62 Jahren, im Mittel mit 51 Jahren auf.

Erstes Symptom sind Ein- und Durchschlafstörungen und dadurch bedingt Benommenheit und Schläfrigkeit am Tage. Später im Krankheitsverlauf treten oneiroide Zustände auf: Der Erkrankte fällt, sich selbst überlassen, in einen traumartigen Zustand mit Halluzinationen und einem Verhalten, das dem Trauminhalt entspricht. In späteren Erkrankungsstadien kommen Gleichgewichts- und Gangstörungen, Myoklonien (Muskelzuckungen) und Zeichen einer Schädigung der Pyramidenbahn hinzu. Die Betroffenen leiden unter Aufmerksamkeitsstörungen, Gedächtnisstörungen und weiteren kognitiven Symptomen.

Zur Diagnostik werden unter anderem Polysomnographie und EEG eingesetzt. Patienten mit FFI erreichen nur noch über kürzere Zeit Schlafstadium 1 und REM-Schlaf, die tieferen Schlafstadien 2–4 treten nicht mehr auf (Agrypnia excitata).

Es gibt keine Behandlungsmöglichkeit; und die Patienten sterben innerhalb weniger Jahre. Ein Teil der Betroffenen stirbt plötzlich, bevor eine schwere Bewusstseinsstörung eingesetzt hat. Bei anderen schreitet die Erkrankung bis zum Apallischen Syndrom fort. Todesursache bei diesen Patienten ist oft Lungenentzündung oder eine andere Infektion.

Genetik

Die tödliche familiäre Schlaflosigkeit ist autosomal dominant vererblich, wenn also nur ein Elternteil auf einem Allel betroffen ist, erkranken dessen Kinder jeweils mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 %. Verantwortlich ist eine zum Aminosäureaustausch führende Mutation am Genort 20p13,[1] welches das Prionprotein kodiert:

Patienten mit FFI haben eine „missense“-Mutation des Prion-Gens an Codon 178 (GAC→AAC). Die gleiche Mutation findet man in Familien mit Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Ob diese Mutation zu FFI oder Creutzfeldt-Jakob-Krankheit führt, hängt von einer an sich unbedeutenden Variation (Polymorphismus) des Prion-Gens ab: Kodiert das Prion-Gen an Codon 129 für die Aminosäure Methionin, so kommt es zu FFI. Steht an dieser Stelle der Code für Valin, ist eine Creutzfeldt-Jakob-Krankheit die Folge.[2]

Pathologie

Die deutlichsten Veränderungen bei der histologischen Untersuchung des Gehirns findet man in einzelnen Thalamuskernen (Nucleus ventralis anterior und Nucleus medialis dorsalis) sowie im Nucleus olivaris inferior. In diesen Gebieten ist die Zahl der Nervenzellen reduziert. Leichtere Veränderungen finden sich in Hirnrinde, anderen Teilen des Thalamus und im Kleinhirn. Spongiforme, „schwammartige“ Veränderungen des Hirngewebes und Ablagerungen von Prionprotein sind weniger ausgeprägt als z. B. bei der verwandten Creutzfeldt-Jakob-Krankheit

Epidemiologie

FFI galt selbst unter den Prionkrankheiten als äußerst selten. In letzter Zeit wurden etwas mehr Fälle diagnostiziert, was vermutlich auf eine Verbesserung der Diagnostik zurückzuführen ist. Auch wenn man von weiteren unentdeckten Fällen ausgeht, bleibt es vermutlich eine sehr seltene Erkrankung. Über den gesamten Globus verteilt gibt es eine zweistellige Anzahl an betroffenen Familien. Auch in Deutschland und Österreich gibt es Fälle.

Literatur

  • P. Montagna, P. Gambetti, P. Cortelli, E. Lugaresi: Familial and sporadic fatal insomnia. In: Lancet neurology. Band 2, Nummer 3, März 2003, S. 167–176, ISSN 1474-4422. PMID 12849238. (Review).
  • E. Lugaresi, R. Medori, P. Montagna, A. Baruzzi, P. Cortelli, A. Lugaresi, P. Tinuper, M. Zucconi, P. Gambetti: Fatal familial insomnia and dysautonomia with selective degeneration of thalamic nuclei. In: The New England journal of medicine. Band 315, Nummer 16, Oktober 1986, S. 997–1003, ISSN 0028-4793. doi:10.1056/NEJM198610163151605. PMID 3762620.
  • R. Medori, H. J. Tritschler, A. LeBlanc, F. Villare, V. Manetto, H. Y. Chen, R. Xue, S. Leal, P. Montagna, P. Cortelli: Fatal familial insomnia, a prion disease with a mutation at codon 178 of the prion protein gene. In: The New England journal of medicine. Band 326, Nummer 7, Februar 1992, S. 444–449, ISSN 0028-4793. doi:10.1056/NEJM199202133260704. PMID 1346338.
  • J. Tateishi, P. Brown, T. Kitamoto, Z. M. Hoque, R. Roos, R. Wollman, L. Cervenáková, D. C. Gajdusek: First experimental transmission of fatal familial insomnia. In: Nature. Band 376, Nummer 6539, August 1995, S. 434–435, ISSN 0028-0836. doi:10.1038/376434a0. PMID 7630420.

Einzelnachweise

  1. Tödliche familiäre Schlaflosigkeit. In: {{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value). (englisch)
  2. Tödliche familiäre Schlaflosigkeit. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten).

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