Bakterium produziert pharmazeutische Allzweckwaffe
Bio-News vom 11.01.2021
Ein Wirkstoff aus den Blättern einer Zierpflanze gilt seit einigen Jahren als möglicher Vorreiter einer neuen Gruppe potenter Medikamente. Bislang war es jedoch sehr aufwendig, ihn in größeren Mengen herzustellen. Das könnte sich nun ändern: Forscher der Universität Bonn haben ein Bakterium identifiziert, das die Substanz produziert und sich zudem problemlos im Labor züchten lässt.
Ein Wirkstoff aus den Blättern einer Zierpflanze gilt seit einigen Jahren als möglicher Vorreiter einer neuen Gruppe potenter Medikamente. Bislang war es jedoch sehr aufwendig, ihn in größeren Mengen herzustellen. Das könnte sich nun ändern: Forscher der Universität Bonn haben ein Bakterium identifiziert, das die Substanz produziert und sich zudem problemlos im Labor züchten lässt. Die Ergebnisse erscheinen in der Fachzeitschrift Nature Communications.
Publikation:
Cornelia Hermes, René Richarz, Daniel A. Wirtz, Julian Patt, Wiebke Hanke, Stefan Kehraus, Jan Hendrik Voß, Jim Küppers, Tsubasa Ohbayashi, Vigneshwaran Namasivayam, Judith Alenfelder, Asuka Inoue, Peter Mergaert, Michael Gütschow, Christa E. Müller, Evi Kostenis, Gabriele M. König & Max Crüsemann
Thioesterase-mediated side chain transesteri fication generates potent Gq signaling inhibitor FR900359
Nature Communications
DOI: 10.1038/s41467-020-20418-3
Die Korallenbeere, oder Blutbeere, schmückt momentan wieder so manches deutsche Wohnzimmer: Sie bildet im Winter leuchtend rote Früchte, die sie zu dieser Zeit zu einer beliebten Zierpflanze machen. Für Pharmazeuten ist sie dagegen aus einem anderen Grund interessant: Sie enthält einen Wirkstoff, der sich in den letzten Jahren als Hoffnungsträger gegen Asthma und bestimmte Krebsarten entpuppt hat.
Leider ist es recht aufwendig, die Substanz mit dem kryptischen Namen FR900359 (abgekürzt: FR) in größeren Mengen zu gewinnen. Die Anzucht der Pflanzen in Gewächshäusern dauert viele Wochen; zudem kann die Ausbeute je nach Exemplar enorm schwanken. Sie stellen den Wirkstoff übrigens gar nicht selbst her, sondern beherbergen in ihren Blättern Bakterien, die das für sie übernehmen. „Diese wachsen aber nur in der Korallenbeere und lassen sich ohne sie nicht kultivieren“, erklärt Dr. Max Crüsemann vom Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Bonn.
Komplexe Produktionsstraße
Die Herstellung von FR ist ein komplexes Unterfangen. Die Bakterien verfügen dazu über eine spezielle Produktionsstraße, in der eine Reihe von Enzymen Hand in Hand arbeiten. In den bakteriellen Erbanlagen ist festgehalten, wie diese Produktionsstraße beschaffen sein muss. „Wir haben nun in riesigen Datenbanken nach anderen Mikroorganismen gesucht, die ebenfalls über diese Gene für die FR-Synthese verfügen“, erklärt Crüsemann. „Dabei sind wir bei einem weiteren Bakterium fündig geworden. Im Gegensatz zu seinem Verwandten aus der Korallenbeere wächst es nicht in Pflanzen, sondern lässt sich leicht in Kulturmedien vermehren.“
Dieser Fund dürfte künftig die Herstellung von FR deutlich erleichtern. Er erlaubt aber auch detailliertere Einblicke in die Funktionsweise des Wirkstoffes. „Wir wissen seit einigen Jahren, dass FR in den Zellen eine wichtige Gruppe von Signalmolekülen hemmt, die Gq-Proteine“, erklärt Cornelia Hermes vom Institut für Pharmazeutische Biologie. „Das macht FR äußerst effektiv: Bis heute ist keine andere Substanz bekannt, die Gq-Proteine ähnlich wirkungsvoll ausschaltet.“
Hermes promoviert in der Gruppe von Max Crüsemann und Prof. Dr. Gabriele König und war zusammen mit ihrem Kollegen Dr. René Richarz für einen großen Teil der jetzt publizierten Studie verantwortlich. Die Forscher sind darin unter anderem der Frage nachgegangen, warum FR ein solch guter Hemmstoff ist. Das Molekül besteht aus zwei Teilen, dem eigentlichen Kern und einer Seitengruppe, die wie eine Art Arm daran hängt. Beide werden separat voneinander hergestellt und dann miteinander verknüpft. „Die Seitenkette ist für die Funktion von FR essentiell“, erklärt Crüsemann. „Wenn sie fehlt oder auch nur leicht modifiziert wird, nimmt die Hemmwirkung auf Gq-Proteine deutlich ab.“
Zentrale Schaltstelle in der Zelle
Gq-Proteine übernehmen in der Zelle eine ähnliche Funktion wie die Notruf-Zentrale einer Stadt: Bei ihnen laufen verschiedene Signale der Zelle zusammen. Dadurch werden sie aktiviert und schalten dann ihrerseits bestimmte Stoffwechselprozesse an oder aus. Statt zahlreiche Signalwege zu hemmen, reicht es also, das Gq-Protein auszubremsen, um einen therapeutischen Effekt zu erzielen. Daher ist FR äußerst wirksam, allerdings auch – wenn es einfach so verabreicht würde – sehr giftig. „Ziel ist es deshalb, FR nur Zellen mit einem krankhaft veränderten Verhalten zu verabreichen“, erklärt Crüsemann. Heute lassen sich bakterielle Gene einfach und gezielt verändern. „Auf diese Weise können wir im Prinzip FR-Varianten mit bestimmten Eigenschaften erzeugen – also etwa solche, die zielgenau zu bestimmten Zellen im Körper transportiert werden und nur dort ihre Arbeit verrichten“, sagt der pharmazeutische Biologe.
Förderung
Die Studie wurde durch die DFG im Rahmen der Forschungsgruppe FOR 2372 „G-Protein Signalkaskaden: mit neuen molekularen Sonden und Wirkstoffen zu neuen pharmakologischen Konzepten", durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt sowie die Japanische Agentur für Medizinische Forschung und Entwicklung (AMED) gefördert.
Die Geschichte des FR-Moleküls dürfte sich durch die Studie daher um ein weiteres Kapitel verlängern: Entdeckt wurde der Wirkstoff bereits vor mehr als 30 Jahren von japanischen Forschern. 2015 wurde seine biologische Wirkungsweise von den Arbeitsgruppen um die Professorinnen Gabriele M. König und Evi Kostenis am Institut für Pharmazeutische Biologie beschrieben. Diese Arbeit bildet inzwischen die Basis für eine Forschungsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Weltweit erkunden heute immer mehr Arbeitsgruppen das Potenzial des Moleküls. Mit dem neu entdeckten Bakterium haben sie dazu nun ein neues Werkzeug an der Hand.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.