Das soziale Netzwerk der Proteine



Bio-News vom 15.11.2023

Stanley Milgrams bahnbrechendes "Six Degrees of Separation"-Experiment zeigte bereits in den 60er Jahren die überraschend engen Verbindungen zwischen uns Menschen. Nun hat ein Forschungsteam gezeigt, dass auch die Proteine in unseren Zellen gleichermaßen gut miteinander vernetzt sind. Die Ergebnisse der aktuellen Studie sind ein entscheidender Fortschritt in der Proteinforschung und bieten erstmals einen umfassenden Überblick über das Protein-Protein-Interaktionsnetzwerk eines gesamten Organismus.

Milgrams berühmtes Experiment aus den 1960er Jahren, Six Degrees of Separation, zeigte, dass sich Menschen im Durchschnitt über nur sechs persönliche Verbindungen kennen. Neuere Analysen von sozialen Netzwerken wie Facebook konnten aufzeigen, dass wir sogar noch enger miteinander verbunden sind als ursprünglich angenommen und durchschnittlich nur viereinhalb „Handschläge“ zwischen uns liegen.


Die Protein-Protein-Interaktionen, also das soziale Netzwerk der Proteine, dargestellt durch die roten, orangenen und grünen Linien. Die Eckpunkte der Verbindungen symbolisieren jeweils ein untersuchtes Protein in der Zelle.

Publikation:


André C. Michaelis, Andreas-David Brunner, Maximilian Zwiebel, Florian Meier, Maximilian T. Strauss, Isabell Bludau & Matthias Mann
The social and structural architecture of the yeast protein interactome

Nature (2023)

DOI: 10.1038/s41586-023-06739-5



Stellen Sie sich nun einmal jedes Protein in unseren Zellen als eine Art Knotenpunkt in einem riesigen sozialen Netzwerk vor, wie einzelne Personen in einer Gesellschaft. Wie zwischen den Menschen in einer Gesellschaft, sind auch für Proteine die Verbindungen und der Austausch den sie eingehen entscheidend. Mehr noch, von diesen Interaktionen hängt beispielsweise ab, ob unsere Proteine ihre Funktionen und Aufgaben richtig erledigen können und damit eben auch, ob wir gesund bleiben oder nicht.

Um diese Interaktionen und das daraus hervorgehende Netzwerk in unserem Körper zu untersuchen, standen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bisher lediglich unvollständige Methoden zur Verfügung, die nur Momentaufnahmen zeigten. Dadurch war es nahezu unmöglich, tiefergehende Analysen und aussagekräftige Ergebnisse über das soziale Netzwerk der Proteine zu erhalten.

Die Angler-Methode

Um dieses soziale Netzwerk der Proteine zu erforschen, verwendete das Team am MPI für Biochemie einen innovativen Ansatz, der es ermöglicht, einzelne Knotenpunkte aus dem Netzwerk herauszufiltern und zu untersuchen, mit welchen anderen Punkten diese im Austausch stehen. Die Methode wird als AP-MS abgekürzt und kombiniert die Massenspektrometrie mit der Affinity Purification, einer Methode, bei der das Zielprotein, dessen Beziehungen untersucht werden sollen, sozusagen aus dem Meer aller Proteine herausgeangelt wird. Durch die Verbundenheit, also die Affinität, zu den Proteinen, mit denen das Zielprotein direkt interagiert, werden diese mit herausgezogen. Im Massenspektrometer kann dann genau messen werden, um welche Proteine es sich dabei handelt. So können diese Proteine als direkte Interaktionspartner des Zielproteins identifiziert werden.

Ähnlich wie ein Angler, der seine Köder entsprechend seiner bevorzugten Beute auswählt, markieren die Forschenden das Zielprotein (Köder) mit einem kleinen, fluoreszierenden Protein (Angel), das wiederum durch den Antikörper, der als Angler agiert, aus dem Proteom (Meer) gezogen wird und dabei die anderen Proteine (Fische) mit sich zieht.

Minimaler Einsatz – maximales Ergebnis

In der aktuellen Studie gelang es den Forschenden die zuvor große Menge von vier Litern Zellmaterial auf nur 1,5 ml zu reduzieren. Da es eine gewisse Zeit benötigt, bis lebende Zellen in einer Zellkultur gewachsen sind, ermöglicht der neue Ansatz dieser Studie eine viel schnellere und genauere Untersuchung des Protein-Netzwerkes in Zellen. Der neue Arbeitsablauf bietet so tiefergehende Ergebnisse und eine kartierte Darstellung der Protein-Architektur mit weniger Zelleinsatz und damit auch weniger Zeitaufwand.

Die Studie unterstreicht dabei die entscheidende Rolle der Hefe als Modelorganismus durch seine Vergleichbarkeit zu uns Menschen. Obwohl Hefen zu den einfachsten Lebensformen der Natur gehören, teilen sie wichtige zelluläre Funktionen mit uns. Die molekularen Wechselwirkungen der Hefen zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Proteine eng miteinander verbunden ist, wobei jedes Protein durchschnittlich 16 Beziehungen eingeht und sie so nur etwa 4 „Handschläge“ voneinander entfernt sind. Proteine scheinen also ähnlich sozial zu agieren, wie wir Menschen in unserem sozialen Netzwerk.

In Gesundheit und Krankheit

„Um zu verstehen, was genau in kranken Zellen falsch läuft, ist es zunächst einmal entscheidend auch zu verstehen, wie Proteine in gesunden Zellen miteinander interagieren. Wir konnten in unserer Studie viele neue Verbindungen zwischen Proteinen entdecken, die so auch in menschlichen Zellen vorkommen und die beispielsweise mit Krankheiten wie Krebs oder Chorea Huntington in Zusammenhang stehen,“ erklärt André Michaelis, Erstautor der Studie.

Durch diese Untersuchungen der Interaktionspartner von Proteinen, die für unsere Gesundheit entscheidend sind, könnten in Zukunft auch Rückschlüsse auf mögliche neue Therapieansätze gezogen werden. Dadurch könnte viel individueller auf den Krankheitsursprung einzelner Personen eingegangen werden.

Abschließend sagt Matthias Mann: „Mit den Erkenntnissen aus unserer Studie haben wir einen nie dagewesenen Einblick in das Proteinnetzwerk unserer Zellen erhalten. Ich bin überzeugt, dass die von uns entdeckten Zusammenhänge und Wechselwirkungen in Zukunft von entscheidender Bedeutung in der Therapie von Krankheiten sein werden, die auf fehlerhafte Protein-Interaktionen zurückzuführen sind. Ein spannendes Projekt mit unglaublich detaillierten Ergebnissen.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Biochemie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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