Der Quallentrainer



Bio-News vom 22.09.2023

Quallen können aus Erfahrungen lernen, ähnlich wie der Mensch oder andere komplexe Lebewesen – das hat jetzt ein Team von Biologinnen und Biologenaus Deutschland und Dänemark gezeigt.

Die Forschenden trainierten karibische Würfelquallen (Tripedalia cystophora), Hindernisse zu erkennen und ihnen gezielt auszuweichen. Die Studie zeigt, dass selbst einfach entwickelte Nervensysteme zu einer fortgeschrittenen Form des Lernens fähig sind.


Die aktuelle Studie zeigt, dass die Würfelqualle Tripedalia cystophora trotz eines einfachen Nervensystems bereits Lernen kann.

Publikation:


Bielecki et al.
Associative learning in the box jellyfish Tripedalia cystophora

Current Biology 33 (2023)

DOI: 10.1016/j.cub.2023.08.056



Das könnte darauf hindeuten, dass die evolutionären Wurzeln von Lernen und Gedächtnis älter sind als bisher angenommen. Möglicherweise waren sie von Anfang an einer der wichtigsten evolutionären Vorteile von Lebewesen mit Nervensystemen.

Sie ist nicht größer als ein Fingernagel, sehr einfach aufgebaut und besitzt nur wenige Nervenzellen. Und doch verfügt die Würfelqualle über ein komplexes Sehsystem mit 24 Augen. Damit navigiert sie durch das trübe Wasser der karibischen Mangrovensümpfe, jagt Wasserflöhe und weicht Unterwasserwurzeln aus.


In den karibischen Mangrovensümpfen haben Jan Bielecki und sein Team das Verhalten der Würfelqualle in ihrem natürlichen Lebensraum untersucht.

„Obwohl es so einfache Tiere sind, haben sie ein beeindruckendes räumliches Sehvermögen, das sie nutzen, um ihr Verhalten zu verändern“, beschreibt Dr. Jan Bielecki vom Physiologischen Institut der CAU den Reiz dieser Lebewesen, die er schon lange erforscht. Es fasziniere ihn, herauszufinden wie solche einfachen Nervensysteme zum Lernen fähig sind und was sich hierbei von der Natur auf technische Bereiche wie Robotik übertragen lasse.

Lernfähigkeit ist älter als bisher angenommen

Wie Bielecki und seine Kolleginnen und Kollegen von der Universität Kopenhagen jetzt erstmals nachgewiesen haben, können Würfelquallen sich die Fähigkeit, Hindernissen auszuweichen, durch assoziatives Lernen aneignen. Das heißt, ein Organismus ändert sein Verhalten oder seine Einstellung aufgrund einer gemachten Erfahrung. „Das ist eine höhere Form des Lernens, als man von so einem Lebewesen erwarten würde“, sagt Bielecki, der die Quallen in seinem Labor trainiert. Evolutionär gesehen gehören die Würfelquallen zu den ersten Tieren mit einem Nervensystem. „Wenn bereits diese Tiere in der Lage sind zu lernen, könnte es sich um eine grundlegende Fähigkeit von Nervenzellen oder neuronalen Netzwerken handeln. Das weist darauf hin, dass sie seit dem Beginn der Evolution existiert und damit früher als bisher in der Forschung angenommen.“

Für seine Experimente simulierte das Forschungsteam den natürlichen Lebensraum der Qualle mit einem Wasserbecken und grauen und weißen Streifen an der Innenwand. Die grauen Streifen stellten die Mangrovenwurzeln dar, denen es auszuweichen galt, die weißen Streifen die Wasserumgebung. Über Farbkontraste nimmt die Würfelqualle räumliche Entfernungen wahr, daher variierten die Forschenden die Kontraste im Verlauf des Experiments.

Zu Beginn des Experiments stießen die Quallen noch häufig gegen die simulierten Wurzeln an der Beckenwand. Doch schon nach wenigen Minuten hatten sie ihren durchschnittlichen Abstand dazu bereits um etwa 50 Prozent vergrößert und prallten nur noch halb so oft dagegen. „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Quallen durch die Kombination von visuellen und mechanischen Reizerfahrungen lernen können“, sagt Anders Garm, Professor für Meeresbiologie an der Universität Kopenhagen, Dänemark.

Bezug zum Alltag steigert den Lernerfolg der Würfelqualle

„Wie schnell diese Quallen gelernt haben, hat uns wirklich überrascht“, sagt Bielecki. Das liege vor allem daran, dass die Forschenden mit einem natürlichen Verhalten der Tiere gearbeitet haben. Hindernissen auszuweichen, kennen die Quallen aus ihrem Alltag, es ist für sie ein „sinnvolles“ Verhalten. „Lernen bedeutet, etwas Neues mit etwas Bekanntem zu verknüpfen. Das macht Lernen zu einem sehr individuellen Prozess.“ In der Biologie spricht man auch von „SSDR“, Species-specific Defense Reaction, wenn es sich um ein sehr artspezifisches Verhalten handelt.

Um die zugrunde liegenden Prozesse des assoziativen Lernens bei der Würfelqualle besser zu verstehen, isolierte Bielecki anschließend die visuellen Sinneszentren der Tiere, die sogenannten Rhopalia. Jedes der vier Zentren enthält sechs Augen, aber nur 1.000 Nervenzellen. Außerdem werden hier elektrische Signale erzeugt, die die Bewegungen der Qualle steuern. Bielecki zeigte dem Rhopalium sich bewegende graue Balken, um zu simulieren, dass sich die Qualle einem Hindernis annähert. Doch erst als er dem Rhopalium schwache elektrische Stimuli zufügte – damit simulierte er einen Aufprall an der Wand – reagierte es und erzeugte Signale, die die Qualle zum Ausweichen bringt. Damit konnte Bielecki nicht nur das Verhalten der Quallen ändern, sondern auch erstmals den Ort ihrer Lernprozesse in ihren Rhopalia lokalisieren.

Evolutionäre Erkenntnisse auf technische Mustererkennung übertragen

„Wenn man komplexe Strukturen wie das Nervensystem verstehen will, hilft es, zunächst möglichst einfache Strukturen zu untersuchen“, sagt Bielecki. „So ist es oft leichter, Zusammenhänge zu verstehen und sie anschließend zu übertragen.“ Genau das will er im Sonderforschungsbereich 1461 „Neuroelektronik“ umsetzen, in den die Ergebnisse der Studie einfließen. Der interdisziplinäre Forschungsverbund an der CAU, in dem Bielecki Mitglied ist, untersucht, wie sich Prinzipien aus der biologischen Informationsverarbeitung auf technische Systeme übertragen lassen.

„Dass die Würfelqualle mit so wenigen Nervenzellen Muster erkennen kann, macht sie zu einem idealen Modellorganismus für unsere Forschung“, sagt SFB-Sprecher Professor Hermann Kohlstedt von der CAU. Ziel des Großforschungsprojekts ist es, Hardware wie elektronische Schaltkreise zu entwickeln, die beispielsweise zur Mustererkennung eingesetzt werden können. „Bisher läuft das über Computersoftware, die dabei aber viel Energie verbraucht. Doch aus der Natur und der Evolution wissen wir, dass es sehr viel energieeffizientere Wege gibt, Informationen zu verarbeiten.“



Diese Newsmeldung wurde mit Material der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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