Der erste Riese der Erde



Bio-News vom 23.12.2021

Ein zwei Meter langer Schädel, eine Gesamtkörperlänge von 17 Metern, ein Gewicht von 45 Tonnen, Flossen, die das Meer durchkämmen – was nach einem Pottwal klingt, ist ein Reptil und lebte vor rund 250 Millionen Jahren. Über dieses erste Riesentier, das die Evolution hervorgebracht hat, berichtet jetzt ein internationales Forscherteam. Die in einer Fachzeitschrift veröffentlichte Studie zeigt: Die Fischsaurier entwickelten sich in nur drei Millionen Jahren zu Giganten des Urmeers, viel schneller als die Größenevolution der heutigen Wale vonstattenging.

Während die Dinosaurier das Land beherrschten, dominierten Ichthyosaurier und andere Meeresreptilien die Wellen. Fast während des gesamten Zeitalters der Dinosaurier schwammen sie in den Ozeanen und hatten mit ihren Flossen und hydrodynamischen Körperformen bereits eine große Ähnlichkeit zu den heutigen Fischen und Walen.

Ichthyosaurier stammen von einer bisher unbekannten Gruppe landlebender Reptilien ab und waren selbst luftatmend. „Seit den ersten Skelettfunden in Deutschland und Südengland vor mehr als 250 Jahren gehörten diese ,Fischsaurier‘ zu den ersten großen fossilen Reptilien, die der Wissenschaft bekannt waren, und sie haben seither die Phantasie der Menschen beflügelt“, sagt der Erstautor Prof. Dr. Martin Sander vom Institut für Paläontologie der Universität Bonn und Gastwissenschaftler am Dinosaurier-Institut des Natural History Museum (NHM) of Los Angeles County.


Die Größendimension sichtbar gemacht: Viji Shook, Mitarbeiterin des Dinosaurier-Instituts des Natural History Museum of Los Angeles County, liegt während der Präparation des Exemplars neben dem Schädel von Cymbospondylus youngorum.

Publikation:


P. Martin Sander, Eva Maria Griebeler, Nicole Klein, Jorge Velez Juarbe, Tanja Wintrich, Liam J. Revell, and Lars Schmitz
Early giant reveals faster evolution of large size in ichthyosaurs than in cetaceans

Science

DOI: 10.1126/science.abf5787



Er und seine Kolleginnen und Kollegen arbeiten seit 30 Jahren regelmäßig in einer Gesteinseinheit namens Fossil Hill Member in den Augusta Mountains in Nevada (USA) – denn das Gebirge verbindet die Gegenwart mit den alten Ozeanen der Trias vor 247,2 bis 237 Millionen Jahren. Auch kamen dort 1998 die ersten Reste des nun beschriebenen neuen Riesentiers zutage, zunächst in Form eines Teils der Wirbelsäule.

„Die Bedeutung des Fundes war lange nicht ersichtlich, da nur einige wenige Wirbel am Rande der Schlucht freigelegt wurden“, erzählt Sander. „Die Anatomie der Wirbel ließ jedoch vermuten, dass das Vorderende des Tieres noch in den Felsen verborgen sein könnte.“ An einem Septembertag im Jahr 2011 überprüfte das Team diese Vermutung – und fand bei Ausgrabungen den gut erhaltenen Schädel, die Vorderflossen und den Brustbereich. Der zutage gekommene Riese erhielt den Namen Cymbospondylus youngorum, wobei sich der zweite Teil des Namens auf eine örtliche Brauerei bezieht.



Computermodelle zur Rekonstruktion des Ökosystems

Die neuen Erkenntnisse warfen damit auch eine neue Frage auf: Wie konnte sich unter den Fischsauriern eine Art so schnell zu einem derartigen Riesen entwickeln? Um das herauszufinden, stellte das Team mithilfe von Modellierungen das damalige Ökosystem nach. „Ein ziemlich einzigartiger Aspekt dieses Projekts ist der integrative Charakter unseres Ansatzes“, sagt Letztautor Prof. Dr. Lars Schmitz von den Claremont Colleges und Gastwissenschaftler am Dinosaurier-Institut des NHM. „Nachdem wir die Anatomie des Riesenschädels im Detail beschrieben und so verstanden hatten, wie dieses Tier mit anderen Ichthyosauriern verwandt ist, wollten wir auch die evolutionären Muster der Körpergrößen von Ichthyosauriern und Walen besser verstehen. Dazu mussten wir herausfinden, wie das im Fossil Hill Member erhaltene fossile Ökosystem funktioniert haben könnte.“

Nachbildung von Cymbospondylus youngorum auf seiner Pirsch durch die Ozeane der späten Trias vor 246 Millionen Jahren.

Mithilfe ausgeklügelter Computermodelle untersuchten die Autorinnen und Autoren also die wahrscheinliche Energie, die durch das Nahrungsnetz der Fossil Hill-Lebensgemeinschaft floss, indem sie die Umwelt anhand von Daten nachstellten. Sie fanden heraus, dass die marinen Nahrungsnetze in der Lage waren, einige weitere kolossale fisch- und fleischfressende Ichthyosaurier zu ernähren.

„Es war sehr spannend, die ökologische Funktionsweise dieses Nahrungsnetzes aus der Modellierung heraus zu entdecken“, sagt Prof. Dr. Eva Maria Griebeler von der Universität Mainz. Sie und ihr Team führten die ökologischen Modellierungen federführend durch. Ihre Vermutung: „Aufgrund ihrer Größe und des daraus resultierenden Energiebedarfs muss die Dichte der größten Ichthyosaurier aus der Fossil Hill-Lebensgemeinschaft, einschließlich C. youngourum, wesentlich geringer gewesen sein, als unsere Zählung im Gelände vermuten lässt.“

Moderne Wale entwickelten sich bedeutend langsamer

Die Forschenden fanden heraus, dass sich zwar sowohl Wale als auch Ichthyosaurier zu Riesentieren entwickelten, dass aber diese Entwicklung in beiden Gruppen unterschiedlich verlaufen ist. Laut Schmitz „zeigen die Evolutionsmodelle sehr deutlich dass die Ichthyosaurier einen anfänglichen Größenboom hatten und schon früh in ihrer Evolutionsgeschichte zu Giganten wurden, während Wale viel länger brauchten, um ihre maximale Größe zu erreichen.“ Der Grund: Ichthyosaurier scheinen von einem Überfluss an aalähnlichen Conodonten sowie einer Vielzahl von Ammoniten profitiert zu haben – schalentragende Verwandte der modernen Tintenfische, insbesondere des Nautilus. Die heute ausgestorbenen Ammoniten füllten die ökologische Lücke nach dem Massenaussterben am Ende des Perms und fanden hervorragende Lebensbedingungen vor. „Wir nehmen an, dass sich die Ichthyosaurier auch derart rasant entwickeln konnten, weil sie als erste größere Lebewesen die Weltmeere bevölkerten und einem geringeren Konkurrenzkampf ausgesetzt waren“, sagt Martin Sander.

Dagegen waren für die Größenentwicklung der Wale bestimmte Arten von Plankton eine wichtige Triebkraft. Außerdem entwickelten sich die verschiedenen Arten von Walen und Delfinen unterschiedlich, verbunden mit einer Spezialisierung der Ernährungsweise. Bartenwale verloren zum Beispiel entsprechend ihre Zähne, während die Zahnwale sie behielten. Fest steht: Obwohl ihre evolutionären Wege unterschiedlich waren, mussten sowohl Wale als auch Ichthyosaurier Nischen in der Nahrungskette ausnutzen, um wirklich groß zu werden. Die Ergebnisse zeigen somit auch, wie sich marine Ökosysteme aufbauen und auf abiotische Veränderungen wie Klima, Atmosphäre oder Wassergegebenheiten reagieren können.

„Diese Entdeckung und die Ergebnisse unserer Studie verdeutlichen, wie sich verschiedene Gruppen mariner Tetrapoden unter einigermaßen ähnlichen Umständen, aber mit überraschend unterschiedlicher Geschwindigkeit zu Körpergrößen epischen Ausmaßes entwickelt haben“, sagt Dr. Jorge Velez-Juarbe, Associate Curator of Mammalogy (Marine Mammals) am Natural History Museum. „Mit dem Datensatz, den wir zusammengestellt haben, und den getesteten Analysemethoden können wir in Zukunft auch über die Einbeziehung anderer Gruppen sekundär aquatischer Wirbeltiere nachdenken, um diesen Aspekt ihrer Evolutionsgeschichte zu verstehen.“



Diese Newsmeldung wurde mit Material der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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