Die gemeinsame Wanderschaft von Tüpfelhyänen-Zwillingsbrüdern
Bio-News vom 19.12.2022
Bei Säugetieren wandern die meisten Männchen nach Erreichen der Geschlechtsreife in eine neue Gruppe ab, was oft mit Gefahren verbunden ist. Neue Ergebnisse von Tüpfelhyänen zeigen, dass Männchen aus der gleichen Geburtsgruppe – und insbesondere Zwillingsbrüder – sich sehr oft gemeinsam auf Wanderschaft begeben und die gleiche Gruppe für ihr künftiges Leben wählen. Das liegt zum einen daran, dass Männchen mit ähnlichem sozialen und genetischen Hintergrund ähnliche Vorlieben haben. Es gibt aber auch starke Hinweise darauf, dass sich miteinander verwandte Männchen aktiv dazu entscheiden, gemeinsam abzuwandern, um sich in der neuen Umgebung gegenseitig zu unterstützen.
Was das soziale Leben und die Evolution von Tüpfelhyänen antreibt, ist seit einem viertel Jahrhundert Forschungsgegenstand des Hyänenprojektes des Leibniz-Institutes für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) im Ngorongorokrater in Tansania.
Publikation:
Davidian E, Höner OP
Kinship and similarity drive coordination of breeding-group choice in male spotted hyenas.
Biology Letters 1 (2022)
Tüpfelhyänen (Crocuta crocuta) sind hochsoziale Säugetiere, die in großen, von Weibchen dominierten Gruppen (Clans) mit komplexer Sozialstruktur leben. Während die Weibchen in ihrer Geburtsgruppe bleiben, müssen sich die Männchen irgendwann entscheiden, ob sie in ihrem Clan weiterleben oder in eine andere Gruppe abwandern. Diese Entscheidung ist wichtig für ihren Fortpflanzungserfolg und die meisten Männchen entscheiden sich dafür, ihre Geburtsgruppe zu verlassen.
Abwanderung und die Eingliederung in die neue Gruppe sind jedoch mit Hindernissen verbunden: Neuankömmlinge fallen in der sozialen Hierarchie des neuen Clans ganz nach unten und müssen bei den bereits etablierten Männchen als Sündenböcke herhalten. Wie entscheiden die Männchen, wann, wo und mit wem sie abwandern? Ziehen sie allein oder gemeinsam mit Freunden und Brüdern los? Handelt es sich bei der koordinierten Abwanderung um eine bewusste Entscheidung oder um einen passiven Prozess, der durch Ähnlichkeiten zwischen den Männchen in Bezug auf ihren Genotyp und ihre soziale Herkunft bedingt ist?
Diese Fragen sind für Verhaltensbiologen und den Naturschutz von großem Interesse, aber untersuchen lassen sie sich nur schwer, da sie detaillierte Daten über das Verhalten und den Erfolg vieler Individuen im Laufe ihres Lebens erfordern. Nur wenige Forschungsteams haben Zugang zu solchen Daten über große Säugetiere. Das seit einem Vierteljahrhundert laufende Hyänenprojekt im Ngorongoro-Krater in Tansania ist eines dieser Projekte.
Im Ngorongoro-Krater leben ca. 400 Tüpfelhyänen, die sich in acht Clans aufteilen Alle Hyänen dieser Population sind durch ihr Fleckenmuster individuell bekannt und werden nahezu täglich überwacht. In den letzten 26 Jahren hat das Team des Leibniz-IZW detaillierte Daten von 2800 Hyänen mit nahezu vollständigen individuellen Lebensläufen gesammelt. Dieser Datensatz bietet weltweit einzigartige Möglichkeiten für die Verhaltens- und Evolutionsforschung.
„Wir zeigen zum ersten Mal, dass bei Tüpfelhyänen Zwillingsbrüder und Kumpel aus demselben Geburtsclan häufig in denselben Clan einwandern, um sich fortzupflanzen“, erklärt Oliver Höner, Leiter des Ngorongoro-Krater-Hyänenprojektes. Zwillingsbrüder wandern in 70 % der Fälle gemeinsam ab, und männliche Verwandte gleichen Alters und gleichen Geburtsclans tun dies in 36 % der Fälle. Im Gegensatz dazu lassen sich nicht verwandte Männchen aus verschiedenen Clans nur in 7 % der Fälle im selben Clan nieder. „Das ist neu und aufregend, denn bisher ging man davon aus, dass Tüpfelhyänen alleine abwandern. Es bedeutet auch, dass Einwanderer oft genetisch miteinander verwandt sind. Dies verbessert unser Verständnis der sozialen Dynamik und des Genflusses in Wildtierpopulationen“, sagt Eve Davidian, Erstautorin des Artikels.
Welche Gründe gibt es?
Dass sich Zwillingsbrüder und Kumpels vom selben Geburtsclan oft gleich entscheiden, kann theoretisch zwei Ursachen haben, eine aktive und eine passive. Der passive Prozess entsteht, wenn Männchen mit ähnlichem genetischen und sozialen Hintergrund ähnlich denken und handeln und zufällig die gleiche Gruppe wählen. Alternativ könnte es eine bewusste und adaptive Entscheidung sein, die von den Vor- und Nachteilen einer gemeinsamen Abwanderung abhängt.
„Ob die Vorteile die Kosten überwiegen, hängt von der Größe des Clans ab“, erklärt Eve Davidian. „Wenn die Clans groß sind und viele Männchen enthalten, kann es sehr vorteilhaft sein, gemeinsam mit einem Verbündeten abzuwandern, um den Widerstand der etablierten Männchen besser zu bewältigen.“
Mögliche Nachteile entstehen dadurch, dass Männchen, die in die gleiche Gruppe abwandern, um die gleichen Weibchen konkurrieren.
„Dies ist besonders kostspielig bei kleinen Clans mit nur wenigen Weibchen und für nahe Verwandte wie Zwillinge, weil der Fortpflanzungserfolg des Bruders auch den eigenen beeinträchtigt. Das ist wie eine doppelte Strafe", fügt Eve Davidian hinzu.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden heraus, dass Zwillingsbrüder und Verwandte am ehesten gemeinsam auswanderten, wenn die Clans groß waren. Dies zeigt, dass die Männchen eine aktive Wahl treffen. Dass aber nicht nur Zwillingsbrüder, sondern auch Kumpels desselben Geburtsclans häufig gemeinsam abwandern, zeigt, dass auch das soziale und ökologische Umfeld während des Aufwachsens sowie der genetische Hintergrund die Entscheidung beeinflussen.
Die gleichen Prozesse dürften sich auch in anderen Hyänenpopulationen wiederfinden, da auch andere Verhaltensmuster bei Hyänen in verschiedenen Untersuchungsgebieten ähnlich sind. Wann und wie Tiere kollektive Entscheidungen treffen, ist ein wachsendes und spannendes Forschungsgebiet. Die Tatsache, dass die gemeinsame Abwanderung durch eine Kombination aus komplexen und flexiblen adaptiven Entscheidungen und passiven Prozessen, die durch einen gemeinsamen sozio-ökologischen und genetischen Hintergrund geprägt sind, angetrieben werden kann, wurde hier zum ersten Mal bei einer Wildpopulation gezeigt.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V. via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.