Ein gesamtdeutscher Atlas der Tagfalter und Widderchen
Bio-News vom 25.05.2020
Wer einen Apollofalter einmal live sehen möchte, hat in Deutschland kaum noch Gelegenheit dazu. Viele seiner Lebensräume in sonnigen, blütenreichen Felslandschaften hat der Schmetterling mit den schwarzen und roten Flecken auf den Flügeln im 20. Jahrhundert verloren. Wie sehen die aktuellen Trends in der deutschen Schmetterlingswelt aus? Welche Arten flattern durch welche Regionen? Welche Bestände sind in den letzten Jahrzehnten verschwunden, welche haben noch eine Chance? Und wo haben sich Neuankömmlinge etabliert? Die Antworten auf solche Fragen liefert der neue Verbreitungsatlas der Tagfalter und Widderchen Deutschlands, an dem auch Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle intensiv mitgearbeitet haben. Zum ersten Mal gibt es damit nun einen detaillierten gesamtdeutschen Überblick über die Vorkommen dieser populären Insekten.
Wer einen Apollofalter einmal live sehen möchte, hat in Deutschland kaum noch Gelegenheit dazu. Viele seiner Lebensräume in sonnigen, blütenreichen Felslandschaften hat der Schmetterling mit den schwarzen und roten Flecken auf den Flügeln im 20. Jahrhundert verloren. Heute kommt die streng geschützte Art nur noch in ein paar vereinzelten Gebieten in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern vor. Viel bessere Chancen haben interessierte Falter-Beobachter dagegen beim dekorativen Schwalbenschwanz. Dessen Verbreitung hat zwar vor allem im Norden und Nordwesten des Landes einige Lücken. Ansonsten aber flattert er bundesweit durch zahlreiche offene Landschaften und lässt sich immer wieder auch in Gärten sehen.
Publikation:
Rolf Reinhardt, Alexander Harpke, Steffen Caspari, Matthias Dolek, Elisabeth Kühn, Martin Musche, Robert Trusch, Martin Wiemers, Josef Settele
Verbreitungsatlas der Tagfalter und Widderchen Deutschlands
Verlag Eugen Ulmer 2020
Solche Informationen bietet der neue Atlas nicht nur für die 184 in Deutschland heimischen Tagfalter-Arten. Vertreten sind auch die 24 verschiedenen Widderchen, die tagsüber aktiv sind, wenngleich sie eigentlich zu den Nachtfaltern gehören. Jede dieser insgesamt 208 Arten stellen die Autoren mit attraktiven Fotos und einem kurzen Portrait vor, in dem Informationen zu Lebensräumen und Biologie, Gefährdung und Schutz zusammengefasst sind. Vor allem aber gibt es für die Tagfalter detaillierte Verbreitungskarten, die in zehn mal zehn Kilometer große Quadrate unterteilt sind. In jedem davon verrät ein Symbol, ob die Art dort bis zum Jahr 1900, in verschiedenen Abschnitten des 20. Jahrhunderts oder nach dem Jahr 2000 nachgewiesen wurde.
All diese Informationen zusammenzutragen, war allerdings eine echte Herausforderung. „Als wir vor etwa zehn Jahren die Idee und das Konzept für den Atlas entwickelten, war nicht abzusehen, welchen materiellen, technischen, personellen und administrativen Aufwand es zu bewältigen galt“, sagt Erst-Autor Rolf Reinhardt aus dem sächsischen Mittweida, als Vertreter der Entomofaunistischen Gesellschaft. Nur dank der meist ehrenamtlichen Mitarbeit zahlreicher Falter-Enthusiasten aus ganz Deutschland habe man das Mammut-Projekt überhaupt realisieren können.
Denn hinter jedem Punkt auf der Karte steckt viel Arbeit und Erfahrung. Schließlich galt es, möglichst zahlreiche Informationen über die Vorkommen der einzelnen Arten auszuwerten, auf ihre Plausibilität und Aktualität zu prüfen und wenn möglich auch über längere Zeiträume zu vergleichen. Da Tagfalter populäre Insekten sind, gibt es zu diesem Thema auch reichlich Beobachtungen. Landesämter und Behörden haben ebenso Daten zusammengetragen wie Vereine, Museen, Arbeitsgemeinschaften, wissenschaftliche Projekte oder interessierte Privatleute. Das UFZ hat 2005 zudem gemeinsam mit der Gesellschaft für Schmetterlingsschutz (GfS) ein Citizen Science-Projekt namens „Tagfalter-Monitoring Deutschland“ ins Leben gerufen, bei dem alle Interessierten mitmachen können. Bundesweit laufen Falter-Fans seither im Sommerhalbjahr immer wieder festgelegte Strecken ab und zählen die dabei beobachteten Tiere.
Das Problem war nur, dass all diese Informationen in unterschiedlichen Datenbanken gespeichert waren, die nicht unbedingt miteinander kompatibel sind. Diesen Wissensschatz verwertbar zu machen, war für Bioinformatiker Alexander Harpke vom UFZ daher ein hartes Stück Arbeit. Mehr als sechs Millionen Datensätze hat er dafür im Laufe der Jahre aufbereitet. „Die eigens für den Atlas entwickelte Daten-Infrastruktur ist wegweisend und soll als Basis auch für zukünftige Biodiversitätsprojekte dienen“, betont der Forscher.
Mit ihrer Hilfe ist es nun zum ersten Mal gelungen, einen kompletten Überblick über die Vorkommen sämtlicher Tagfalter und Widderchen Deutschlands zu gewinnen. Das einzige vergleichbare Werk, das es bisher gab, stammte noch aus den 1980er Jahren und beschränkte sich auf das Gebiet der DDR. Ansonsten war die Falter-Welt nur für einzelne Bundesländer oder Regionen genau erfasst worden. Entsprechend stolz ist man beim Verlag Eugen Ulmer auf den ersten bundesweiten Atlas. „Der Band ist ein Highlight unseres äußerst erfolgreichen Buchprogramms zu Natur- und Artenschutz, in dem in den letzten Jahren Standardwerke zu Wildbienen, Amphibien und dem Wolf veröffentlicht wurden“, sagt Programmleiter Volker Hühn.
In ihrem Vorwort zum Atlas betont Prof. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN): „Mit dem ersten bundesweiten Verbreitungsatlas der Tagfalter und Widderchen liegen ein beeindruckender Überblick und ein Referenzwerk vor. Er soll aber auch dazu anregen, am Schutz der Tagfalter aktiv mitzuwirken und sich im Rahmen von Kartierprojekten weiter zu engagieren. Denn die kontinuierliche Erfassung der Artenvielfalt und die Durchführung von gezielten Schutz- und Pflegemaßnahmen sind zum dauerhaften Erhalt der biologischen Vielfalt unbedingt notwendig“.
Selbst wer sich nur aus ästhetischen Gründen für Schmetterlinge interessiert, kommt dank der zahlreichen Fotos auf seine Kosten. Vor allem aber können sich Behörden-Vertreter und Wissenschaftler, Naturschützer und andere Falter-Fans nun einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen in der Schmetterlingswelt verschaffen – sei es bundesweit oder vor der eigenen Haustür.
So tauchen in dem Atlas auch Kandidaten auf, die bis vor kurzem in Deutschland gar nicht vorkamen. Der wärmeliebende Karstweißling, der inzwischen auf Schleifenblume und Wilder Rauke in Gärten lebt, ist zum Beispiel erst im Jahr 2008 aus der Schweiz eingewandert und breitet sich nun auch hierzulande aus.
„Die Karten zeigen aber auch sehr deutlich, wo welche Arten im Laufe des 20. Jahrhunderts verschwunden sind“, erklärt Schmetterlingsexperte Prof. Josef Settele vom UFZ. Das sei vor allem für den Naturschutz interessant. So werde man bei der Erstellung künftiger Roter Listen auf diese Informationen zurückgreifen. „Und wir können auch leicht erkennen, welche Regionen eine besondere Verantwortung für den Erhalt bestimmter Arten haben.“ Vom Blauschillernden Feuerfalter zum Beispiel gibt es größere Vorkommen nur noch in der Eifel und im Westerwald sowie im Voralpenraum. Falls die Schutzmaßnahmen für den Feuchtgebietsbewohner dort nicht greifen sollten, hat Deutschland in vermutlich nicht allzu ferner Zukunft eine Falterart weniger.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung - UFZ via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.