Geduld lohnt sich!
Bio-News vom 06.03.2024
Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zeigen in einer neuen Studie, wie im Primatengehirn Entscheidungsprozesse bei der Futtersuche gesteuert werden. Das deutsch-US-amerikanische Team, dem auch eine Forschende des Deutschen Primatenzentrums (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen angehörte, trainierte zwei Rhesusaffen, in einem Versuchsraum nach Futter zu suchen.
Die Tiere konnten sich frei bewegen und aus zwei Futterboxen durch Knopfdruck Futterpellets erhalten. Im Versuchsverlauf lernten die Affen, dass sich die Menge der ausgegebenen Pellets aus den Boxen erhöhte, je länger sie bis zum nächsten Knopfdruck warteten. Wurden sie nach Drücken des Knopfes nicht mit Pellets belohnt, warteten die Affen beim nächsten Mal länger oder wechselten zu der anderen Box.
Publikation:
Shahidi, N., Franch, M., Parajuli, A. et al.
Population coding of strategic variables during foraging in freely moving macaques
Nat Neurosci (2024)
DOI: 10.1038/s41593-024-01575-w
Während des Versuchs haben die Forschenden die neuronale Aktivität im Gehirn der beiden Affen gemessen und mit Hilfe eines mathematischen Modells präzisiert. Anhand der Daten konnten sie vorhersagen, wie lange die Rhesusaffen bereit waren, auf eine höhere Belohnung zu warten, und wann sie sich entschieden, eine andere Option zu wählen. Die Ergebnisse tragen dazu bei, selbstgesteuerte Handlungen und damit neurologische Erkrankungen wie beispielsweise Parkinson besser zu verstehen (Nature Neuroscience).
Stellen Sie sich einen Fischer auf einem Boot vor, der Fischreusen in einen trüben See auswirft. Um erfolgreich zu sein, muss er die Reusen regelmäßig kontrollieren. Aber wann ist dafür die beste Zeit? Wenn er die Reusen zu oft kontrolliert, ist das unnötige Arbeit und er verscheucht die Fische. Sieht er zu spät nach, hat er bessere Chancen, verschwendet aber möglicherweise Zeit. Außerdem ist es anstrengend, von einer Reuse zur anderen zu paddeln, um sie nacheinander zu kontrollieren, so dass der Fischer immer wieder entscheiden muss, ob und wann sich das lohnt.
Forschende wollen seit Jahrzehnten verstehen, wie es uns gelingt, möglichst optimale Entscheidungen zu fällen. Aufgrund technischer Beschränkungen waren die Forschenden bei der Beantwortung dieser Frage bisher auf Versuche angewiesen, bei denen Affen Aufgaben an Computerbildschirmen durchführen, während gleichzeitig die Aktivität ihrer Gehirnzellen gemessen wird. Die Tiere werden darauf trainiert, ruhig in einem Stuhl zu sitzen und sind daher in ihrer natürlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Da es jetzt möglich ist, die Aktivität mehrerer einzelner Nervenzellen drahtlos aufzuzeichnen, kann die Entscheidungsfindung in Szenarien mit natürlichen Bewegungsabläufen untersucht werden.
Für die Studie trainierte ein Team von Forschenden aus Deutschland und den USA zwei Rhesusaffen darauf, einen Versuchsraum mit zwei knopfgesteuerten Futterboxen zu erkunden. Jedes Mal, wenn die Affen einen Knopf an einer der Boxen drückten, hatten sie die Chance, Futterpellets zu erhalten. Die beiden Boxen waren so eingestellt, dass die Zeitintervalle zwischen den einzelnen Futterausgaben während eines Versuchsdurchlaufes immer länger wurden. Je länger die Affen warteten bis sie erneut den Knopf drückten, desto mehr Pellets erhielten sie.
„Als wir mit dem Experiment begannen, erwarteten wir, dass unsere Affen die Box einfach danach auswählen würden, wie erfolgreich sie zuvor mit dieser Box waren“, erklärt Erstautorin Neda Shahidi, Nachwuchsgruppenleiterin am Sonderforschungsbereich 1528 der Universität Göttingen und am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. „Nach einer Weile hatten sie aber gelernt, auf die Zeit seit dem letzten Tastendruck zu achten und auch auf ihren vorherigen Erfolg an einer Box. Wenn sie eine Weile gewartet, aber keine Pellets erhalten hatten, warteten sie noch länger, bevor sie das nächste Mal drückten. Wenn sie jedoch zu oft hintereinander nach Drücken des Knopfes nicht belohnt wurden, wechselten sie zum anderen Kasten. Sie hatten scheinbar entschieden, dass diese Futterbox das Warten nicht wert war und es besser ist, woanders zu suchen.“
„Die Charakterisierung der Aktivitätsmuster von einzelnen Neuronen enthüllt jedoch nicht immer die ganze Geschichte, wenn wir komplexe Entscheidungsprozesse untersuchen,“ erläutert Shahidi das weitere Vorgehen. „Komplexe Verhaltensweisen bestehen aus verschiedenen Komponenten, die manchmal gleichzeitig in demselben Gehirnbereich verarbeitet werden.“ Um diese Komponenten auseinander zu halten, entwickelten die Forschenden ein mathematisches Modell, das zunächst Gruppen von Neuronen identifizierte, die stärker aktiv waren, wenn die Tiere länger warteten, bevor sie einen Knopf drückten, und Gruppen von Neuronen, die stärker aktiv waren, wenn die Wahrscheinlichkeit, eine Belohnung zu erhalten, höher war. Da die Tiere nicht im Voraus wissen können, ob ein Knopfdruck belohnt wird, gehen die Forschenden davon aus, dass sich in der Aktivität dieser Neuronen die subjektiven Erwartungen der Tiere widerspiegeln.
Außerdem testeten die Forschenden, ob die neuronale Aktivität genutzt werden kann, um vorherzusagen, wann die Tiere den Knopf drücken und ob sie sich entscheiden, zwischen den Boxen zu wechseln. „Wir waren überrascht, wie gut unser Modell vorhersagen konnte, was die Affen in den nächsten Sekunden tun würden“, sagt Shahidi. „Unsere Ergebnisse zeigen nicht nur, wie die Entwicklung drahtloser Aufnahmetechnologien unser Verständnis von Gehirnmechanismen in Szenarien mit natürlichen Bewegungen verbessern kann, sondern auch, wie Fortschritte in den Datenwissenschaften die Neurowissenschaften verändern, indem sie die Rechenkomponenten des Gehirns aus der kollektiven Aktivität der Neuronen herauslesen. Wir hoffen, dass solche Fortschritte langfristig helfen, Anomalien bei kognitiven Prozessen besser zu verstehen, wie beispielsweise die Selbststeuerung bei Parkinson oder selbstinitiierende Handlungen bei Apathie“, sagt Shahidi.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Deutschen Primatenzentrums GmbH - Leibniz-Instituts für Primatenforschung via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.