Gersten-Pangenom: Meilenstein auf dem Weg zur gläsernen Pflanze



Bio-News vom 25.11.2020

Ein internationales Forscherteam hat auf dem Weg zur „gläsernen Pflanze“ Gerste einen Meilenstein erreicht. Die Wissenschaftler schlossen mit der vollständigen Sequenzierung von 20 unterschiedlichen Genotypen den ersten Schritt zur Entschlüsselung der Erbinformation der gesamten Spezies „Gerste“ - des Gerste Pan-Genoms - ab. Züchter werden von diesen neuen Erkenntnissen stark profitieren.

Um die Erbinformation eines Individuums komplett zu erfassen, muss dessen Genom vollständig entschlüsselt werden. Dies gelang Wissenschaftlern des IPK und internationalen Partnern für Gerste bereits vor drei Jahren (Mascher et al. 2017). Um aber die Erbinformation der gesamten Spezies Gerste zu verstehen, ist weit mehr erforderlich. Ein internationales Team, erneut unter Führung von Wissenschaftlern des IPK, ist der Entschlüsselung dieses sogenannten Pan-Genoms der Gerste jetzt einen erheblichen Schritt näher gekommen, wie das Wissenschaftsmagazin Nature in seiner heutigen Ausgabe berichtet.


Das Foto zeigt das Spektrum der Vielfalt bei Gerste und Weizen.

Publikation:


Jayakodi, Padmarasu et al.
The barley pan-genome reveals the hidden legacy of mutation breeding
Nature

DOI: 10.1038/s41586-020-2947-8



Verblüffend dabei: die einzelnen Genome unterscheiden sich teilweise erheblich in der Anzahl ihrer Gene sowie in der Anordnung und Orientierung großer Abschnitte einzelner Chromosomen, den Trägern der Erbinformation. Diese „strukturellen“ Veränderungen des Gerste-Genoms können eine unüberwindbare Hürde bei der Neukombination wichtiger Eigenschaften im Rahmen der Kreuzungszüchtung darstellen.

Den Ausgangspunkt für die Untersuchung bildeten die rund 22.000 Saatgutmuster der Gerste aus der bundeszentralen Ex-situ-Genbank am IPK, die bereits mittels DNA Sequenzierung untersucht worden sind (Milner et al. 2019). Aus dieser Gruppe wurden nun 20 Genotypen ausgewählt, die sich genetisch möglichst maximal voneinander unterscheiden. „Kriterien bei der Auswahl waren unter anderem möglichst große Unterschiede in ihrer genetischen Vielfalt, geographischen Herkunft sowie in biologischen Merkmalen wie Winter- oder Sommertyp, Nackt- oder Bedecktsamigkeit, zwei- oder mehrzeilige Ährenformen“, sagt Prof. Dr. Nils Stein, Leiter der Arbeitsgruppe Genomik genetischer Ressourcen am IPK und Inhaber einer Brückenprofessur an der Universität Göttingen.

Neben der Beobachtung, dass sich die Erbinformation zweier Gerstesorten in der Gesamtzahl ihrer Gene substantiell unterscheiden können, fanden die Wissenschaftler verblüffende Unterschiede in der linearen Anordnung der Erbinformation in den Chromosomen - sogenannte Genomstrukturunterschiede. Zwei dieser Strukturvariationen, Inversionen (entgegengesetzte Anordnung von Erbinformation in zwei Genomen), erregten dabei das besondere Interesse der Wissenschaftler: in einem Fall konnte für die Strukturänderung ein Bezug zur Mutationszüchtung der 1960er Jahre hergestellt werden, in dessen Folge sich die Veränderung unbemerkt durch Züchtung bis in heutige Sorten ausgebreitet hat. Im zweiten Fall steht die beobachtete Genomstrukturvariation mit der Umweltanpassung während der historischen, nördlichen Ausbreitung des Gerste-Anbaus in Europa in Beziehung. „Die Beschreibung solcher Inversionen in Gerste ist neu“, sagt Prof. Dr. Nils Stein. „Sie können eine entscheidende Rolle im züchterischen Prozess spielen, weil sie Rekombination verhindern, also die züchterische Neukombination gewünschter Merkmale unmöglich machen.“ Doch nicht nur das: „Diese natürlich auftretenden oder künstlich ausgelösten Inversionen sind Zeugnis für eine erhebliche Dynamik in der Genomorganisation dieser wichtigen Kulturart.“

Die neuen Erkenntnisse haben nicht nur eine enorme Bedeutung für die Wissenschaft, sondern auch für die Züchtung. „Wir haben eine neue Datengrundlage geschaffen und einen neuen Schatz an Informationen für die Züchtung erschlossen“, bekräftigt Prof. Dr. Nils Stein. So könnten nunmehr molekulare Marker genutzt werden, um strukturelle Genomunterschiede bei der Gerstenzüchtung gezielt zu berücksichtigen.

Das Projekt, an dem auch Wissenschaftler aus Australien, Kanada, USA, China, Japan und Schottland maßgeblich beteiligt waren, wurde vom IPK initiiert und koordiniert. Das IPK wird im Bereich der Getreidegenomforschung seit mehr als zehn Jahren vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Trotz der jetzigen Fortschritte liegen weitere große Herausforderungen vor den Forschern. „Wir haben noch nicht die gesamte Diversität von Gerste erfasst“, erläutert Dr. Martin Mascher. „Dazu müssen wir weitere Genotypen vollständig sequenzieren und entschlüsseln“, sagt der Leiter der unabhängigen Arbeitsgruppe Domestikationsgenomik am IPK. In einem nächsten Schritt wollen die Forscher dafür zusätzlich Wildgerste, den direkten Vorfahren der heutigen Kulturgerste, genauer in den Blick nehmen. „Wildgerste fehlt uns noch als wichtiger Genpool“, erklärt Dr. Martin Mascher. „Und ich bin ganz sicher, dass wir Diversität entdecken, die für die zukünftige Gerstenzüchtung und -forschung von erheblichem Wert sein kann.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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