Genom
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Als Genom oder auch Erbgut eines Lebewesens oder eines Virus bezeichnet man
- die Gesamtheit der vererbbaren Information einer Zelle bzw. eines Viruspartikels
- oder die Gesamtheit der materiellen Träger der vererbbaren Information, also die Gesamtheit der Chromosomen, der Gene oder der Desoxyribonukleinsäure (DNA).
Bei manchen Viren dient RNA anstelle von DNA als Speichermedium.
Das Genom enthält die Information, die für die Entwicklung (Ontogenese) und zur Ausprägung der spezifischen Eigenschaften des Lebewesens oder Virus erforderlich ist.
Die Bezeichnung Genom wurde 1920 von Hans Winkler geprägt. Die Erforschung der Genome und der Wechselwirkungen der Gene wird als Genomik bezeichnet.
Grundlagen
Die für die Vererbung von Eigenschaften und Merkmalen erforderliche und auf der Ebene der Zellen und der Individuen weitergegebene Information ist in der DNA enthalten, und zwar in der Sequenz (Abfolge) der DNA-Basen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin.
Man unterscheidet kodierende und nicht-kodierende Abschnitte der DNA. Nach Maßgabe der Basensequenz der kodierenden Abschnitte oder Gene werden im Zuge der Genexpression Proteine gebildet. Aber auch nicht-kodierende Bereiche können wichtige Funktionen aufweisen, so etwa bei der Genregulation. Außerdem gibt es die sogenannten Pseudogene: durch Mutationen funktionslos gewordene und vom Organismus nicht mehr abgelesene Gene.
Die meisten Organismen haben neben der chromosomalen DNA (bei Eukaryoten Karyom genannt) weiteres genetisches Material in anderen Zellteilen. So haben Prokaryoten (Bakterien und Archaeen) vielfach zusätzliche kleine, ringförmige DNA-Moleküle, die als Plasmide bezeichnet werden, und bei Eukaryoten (Tiere, Pflanzen, Pilze und Protisten) haben die Mitochondrien, bei Pflanzen und Algen des Weiteren die Plastiden, eigene kleine Genome.
Organisation von Genomen
Eukaryoten
Bei den Eukaryoten besteht das Kern-Genom (Karyom) aus mehreren bis zahlreichen strangförmigen Chromosomen. Die Anzahl der Chromosomen ist artspezifisch verschieden und kann zwischen zwei (beim Pferdespulwurm) und mehreren hundert (bei manchen Farnen) variieren. Außerdem ändert sich die Chromosomenzahl beim Wechsel der Kernphase (Meiose und Karyogamie). Charakteristisch für eukaryotische Genome ist weiterhin ein hoher Anteil an nicht-kodierender DNA (beim Menschen etwa 95 %) und die Intron-Exon-Struktur der Gene.
Prokaryoten
Bei den Prokaryoten liegt die DNA als ringförmiges Molekül vor. Daneben können kleinere, ebenfalls ringförmige Plasmide in variabler Anzahl vorhanden sein. Diese können unabhängig von der Haupt-DNA vervielfältigt und an andere Prokaryotenzellen weitergegeben werden (Konjugation), auch über Artgrenzen hinweg. Sie enthalten in der Regel nur wenige Gene, die zum Beispiel Resistenzen gegen Antibiotika vermitteln.
Prokaryotische Genome sind im Allgemeinen wesentlich kleiner als eukaryotische. Sie enthalten relativ geringe nicht-kodierende Anteile (5-20 %) und auch nur wenige oder gar keine Introns.
Organellen
Die Genome der Mitochondrien und Plastiden sind wie prokaryotische Genome organisiert (vgl. Endosymbiontentheorie). Sie enthalten jedoch nur einen geringen Teil der für die Funktion dieser Organellen benötigten Gene, weshalb diese Organellen als „semi-autonom“ bezeichnet werden.
Viren
Virale Genome sind sehr klein, da in ihnen nur recht wenige Proteine kodiert sind und die genetische Information zudem hochgradig verdichtet ist, indem etwa verschiedene Gene überlappen oder manche Abschnitte zugleich in beiden Leserichtungen als Gene fungieren können. Sie können aus DNA oder RNA bestehen, und diese können einzel- oder doppelsträngig sowie linear, zirkulär oder segmentiert vorliegen. Eine Besonderheit stellen die Retroviren dar, deren RNA-Genom mittels Reverser Transkription in DNA „übersetzt“ und in das Wirtsgenom integriert werden kann. Die Eigenschaften der Genome der Viren sind wichtige Kriterien bei deren Einteilung (Virus-Taxonomie).
Genomgrößen
Als Genomgröße wird die in einem Genom vorhandene Menge an DNA bezeichnet. Bei Eukaryoten bezieht sich diese Angabe gewöhnlich auf den haploiden Chromosomensatz. Es wird entweder die Anzahl der vorhandenen Basenpaare (bp) oder die Masse der DNA in der Einheit pg (Picogramm) angegeben. 1 pg doppelsträngiger DNA besteht aus etwa 0,978·109 bp, also aus knapp einer Milliarde Basenpaaren. Üblich sind auch die Bezeichnungen Kilo-Basenpaar (kbp oder kb) für 1.000 Basenpaare und Mega-Basenpaar (Mbp oder Mb) für eine Million Basenpaare. Davon zu unterscheiden ist die Angabe des Informationsgehalts in Megabytes (MB).
Nach neueren Untersuchungen besitzt der Südamerikanische Lungenfisch (Lepidosiren paradoxa) mit 80 pg (7,84 × 1010 bp) das größte bisher bekannte tierische Genom.[1] Ältere, aber wohl ungenauere Untersuchungen zeigen mit etwa 133 pg noch größere Genome, die ebenfalls bei Lungenfischen, allerdings bei der afrikanischen Art Äthiopischer Lungenfisch (Protopterus aethiopicus) gefunden wurden.[2] Mit 0,04 pg (weniger als 50 Millionen Basenpaare) besitzt das zum primitiven Tierstamm Placozoa gehörende, auf Algen lebende, etwa 2 mm große, wenig differenzierte Trichoplax adhaerens das kleinste bisher bekannte tierische Genom.[2] Die Zahl der Basenpaare des Darmbakteriums Escherichia coli ist nur um einen Faktor 10 kleiner. Das kleinste bisher quantifizierte bakterielle Genom besitzt der Blattfloh-Endosymbiont Carsonella ruddii: Sein zirkuläres DNA-Molekül enthält nur knapp 160.000 Basenpaare, in denen sämtliche Informationen gespeichert sind, die er zum Leben braucht.[3]
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1in Basenpaaren 2Anzahl der Gene pro Millionen Basenpaare |
Die DNA einer einzelnen menschlichen Zelle ist aneinander gereiht etwa 1,80 m lang. Eine Base auf einem DNA-Strang hat theoretisch einen Informationsgehalt von 2 bit, da sie 22 = 4 Zustände (A/T/G/C) annehmen kann. Mit etwa 3 Milliarden Basenpaaren hätte das Genom des Menschen demnach einen maximal möglichen Informationsgehalt von 6 Milliarden bit oder 750 MB. Auf der Grundlage der Shannonschen Informationstheorie ergibt sich jedoch ein Informationsgehalt von maximal 50 MB, und der tatsächliche Informationsgehalt liegt wohl noch deutlich darunter, da große Teile der DNA nicht-codierende Sequenzen aufweisen, die allerdings zumindest teilweise regulatorische Funktionen haben.[5]
Ein Vergleich der Genom-Größe mit der Komplexität und dem Organisationsgrad des Organismus ergibt keinen klaren Zusammenhang.[6] So haben Schwanzlurche größere Genome als Reptilien, Vögel und Säugetiere. Lungenfische und Knorpelfische haben größere Genome als Knochenfische, und innerhalb von Taxa wie den Blütenpflanzen oder Protozoen variiert die Genomgröße in hohem Maß. Dies wird als „C-Wertparadoxon“ bezeichnet. Die größte DNA-Menge weisen einfache Eukaryoten wie einige Amöben sowie die Urfarne mit rund einer Billion Basenpaare auf. Diese Arten enthalten einzelne Gene als tausendfache Kopien und lange nicht-Protein-kodierende Abschnitte.
Sequenzierte Genome
Die DNA von Genomen verschiedener Organismen, die entweder für die medizinisch-pharmazeutische oder anwendungsorientierte Forschung oder auch für die Grundlagenforschung relevant sind, wurde annähernd vollständig „sequenziert“ (man spricht auch fälschlicherweise vom „Entschlüsseln“), das heißt ihre Basensequenz wurde ermittelt (DNA-Sequenzierung). Die Basensequenzen werden über das Internet u.a. vom NCBI bereitgestellt.
- Übersichten
- Quick Guide to Sequenced Genomes (GNN) (exzellente Übersichtseite, in alphabetischer Ordnung und hervorragend organisiert findet man bisher sequenzierte Organismen mit Abbildungen, Kurzinformationen, für die Sequenzierung verantwortliche Institution und relevante Literatur mit Links)
- Genome Atlas
- Einzelne Genome
- Archaeen – Archaeen
- Bakterien – Bakterien
- Eukaryoten – Eukaryoten
- Homo sapiens – Mensch und bei hapmap.org
- Felis catus – Hauskatze
- Mus musculus – Hausmaus
- Drosophila melanogaster – Taufliege
- Arabidopsis thaliana – Ackerschmalwand
- Oryza sativa – Reis
- Physcomitrella patens – kleines Blasenmützenmoos[7]
Siehe auch
- DNA-Sequenzanalyse
- Epigenetik
- Genetik
- Dotplot
- Genetischer Code
- Humangenomprojekt
- mitochondriale DNA
- Molekularbiologische Datenbanken
Einzelnachweise
- ↑ A.E. Vinogradov: Genome size and chromatin condensation in vertebrates. Chromosoma 113, 2005; Seiten 362-369.
- ↑ 2,0 2,1 T.R. Gregory: Animal Genome Size Database. 2005
- ↑ Petra Jacoby: Spektrum der Wissenschaft, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Band 5, 2007, S. 16f
- ↑ Der Wasserfloh und seine rekordverdächtigen inneren Werte
- ↑ Information content of DNA bei Panda's Thumb
- ↑ Siehe etwa Molekulargenetik der Eukaryoten (Universität Mainz, PDF), S. 7
- ↑ Daniel Lang, Andreas Zimmer, Stefan Rensing, Ralf Reski (2008): Exploring plant biodiversity: the Physcomitrella genome and beyond. In: Trends in Plant Science. 13, 542-549. doi:10.1016/j.tplants.2008.07.002
Literatur
- Ernst Peter Fischer: Das Genom. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2002,2004, ISBN 3-596-15362-X.
- Martin Mahner & Michael Kary (1997): What Exactly Are Genomes, Genotypes and Phenotypes? And What About Phenomes? In: Journal of Theoretical Biology. Bd. 186, S. 55–63. PMID 9176637 doi:10.1006/jtbi.1996.0335
- Ernst-Ludwig Winnacker: Das Genom. Möglichkeiten und Grenzen der Genforschung. Eichborn, 2002, ISBN 3-8218-3931-7.