Deutschlands Wälder: Älter, vielfältiger, aber keine CO2-Senke mehr



Bio-News vom 08.10.2024

Am 8. Oktober 2024 lagen die Ergebnisse der Bundeswaldinventur 2022 vor. Das Ergebnis der umfangreichsten Bestandsaufnahme im deutschen Wald hat Licht und Schatten. Die Wälder werden strukturreicher, es gibt mehr ältere Bäume und etwas mehr bewaldete Fläche. Die durchschnittliche Kohlenstoff-Speicherleistung des Waldes hat allerdings seit 2012 deutlich abgenommen. Zwischen 2017 und 2022 wurden die Wälder sogar zur Kohlenstoff-Quelle.

Die Ergebnisse der vierten Bundeswaldinventur (BWI) zeigen ein differenziertes Bild der Waldentwicklung: Einerseits gibt es in Deutschland seit 2012 etwas mehr Waldfläche, es stehen mehr Laubbäume in den Wäldern und die Naturnähe nimmt langsam, aber beständig zu. Andererseits hat der Wald in der zweiten Hälfte der Dekade durch Trockenheit und Schädlingsbefall so stark gelitten, dass der Holzvorrat und damit auch der Kohlenstoffvorrat seit 2017 erheblich abgenommen haben.

„Aktuell ist ungefähr die gleiche Menge Kohlenstoff in der lebenden Biomasse im Wald gespeichert wie vor zehn Jahren. Bis 2017 hat die gespeicherte Kohlenstoffmenge um 52 Millionen Tonnen zugenommen. Danach hat die lebende Biomasse allerdings 42 Millionen Tonnen Kohlenstoff in Totholz und Holzprodukte abgegeben“, erläutert Dr. Thomas Riedel, Leiter der BWI am Thünen-Institut für Waldökosystem in Eberswalde, die Zahlen. Totholz zersetzt sich und gibt dabei den Kohlenstoff in Form von Humus an den Boden und als Kohlendioxid (CO2) an die Atmosphäre ab. „Werden aus dem Holz langlebige und hochwertige Holzprodukte, bleibt das Kohlendioxid hingegen im Durchschnitt noch 30 weitere Jahre gebunden“, so Riedel. Durch den massiven Verlust an lebender Biomasse ist der Wald seit 2017 von einer Kohlenstoff-Senke zu einer Kohlenstoff-Quelle geworden.


Veränderungen des Kohlenstoffvorrates in Wald und Holzprodukten.

Deutschlands Wälder werden alle zehn Jahre inventarisiert. 100 Inventurtrupps vermessen mehr als 520.000 Bäume und beschreiben an 80.000 genau definierten Punkten in den Wäldern, was sie vorfinden: Anzahl, Art und Durchmesser der Bäume, den Bewuchs darunter, das Totholz – insgesamt werden knapp 150 Kriterien aufgenommen. Die BWI ist das Kontrollinstrument der nachhaltigen Waldwirtschaft, gemäß Bundeswaldgesetz gemeinsam organisiert von Bund und Ländern. 2021 und 2022 fand sie zum vierten Mal statt. Das Thünen-Institut koordiniert die BWI im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und wertet sie aus. Berechnet werden unter anderem Waldfläche, Holzvorrat, Holzzuwachs und Holznutzung, Baumartenvielfalt, Altersaufbau, Totholz und Naturnähe sowie Biomasse und Kohlenstoffspeicherung. Erstmals wurden bei der aktuellen BWI Proben zur Ermittlung dergenetischen Vielfalt gesammelt. Für regionale Auswertungen werden zusätzlich zu den vor Ort gesammelten Daten auch Fernerkundungsdaten verwendet.

Ausgewählte Ergebnisse

Weniger Kohlenstoffvorrat: Seit 2017 ist der Wald vor allem durch den klimawandelbedingten Verlust an lebender Biomasse zur Kohlenstoff-Quelle geworden. Aktuell sind 1.184 Millionen Tonnen Kohlenstoff oder 108 Tonnen Kohlenstoff je Hektar in den lebenden Bäumen und 46,1 Millionen Tonnen oder 4,2 Tonnen je Hektar im Totholz gebunden. Weitere 936 Millionen Tonnen Kohlenstoff sind nach Ergebnissen der Bodenzustandserhebung in Streu und Mineralboden eingelagert. Insgesamt sind also rund 2.200 Millionen Tonnen Kohlenstoff im Wald gespeichert. Der Kohlenstoffvorrat der lebenden Biomasse im Wald hat im Vergleich zur letzten BWI 2012 zwar um ein Prozent zugenommen. Seit der Kohlenstoffinventur 2017 ging er allerdings um 41,5 Millionen Tonnen oder drei Prozent zurück. Da der Kohlenstoffverlust in der lebenden Biomasse in den Jahren 2017 bis 2022 höher war als die Zunahme beim Totholz und auch der Boden nicht mehr Kohlenstoff gespeichert hat, ist der Wald in diesem Zeitraum zu einer Quelle für Kohlendioxid geworden.

Mehr Waldfläche: Obwohl 66.000 Hektar Wald seit der letzten BWI im Jahr 2012 in Grünland oder für andere Nutzungen umgewidmet wurden, hat die Waldfläche durch Neuaufforstungen insgesamt um 15.000 Hektar zugenommen. Derzeit gibt es 11,5 Millionen Hektar Wald in Deutschland. Das heißt, ein Drittel der Landfläche ist mit Wald bedeckt.

Mehr Vielfalt: Mit 79 Prozent Flächenanteil sind Mischwälder die prägende Form. Seit 2012 ist der Flächenanteil um drei Prozent gewachsen. Nadelwälder kommen immer noch vergleichsweise häufig als Reinkulturen vor: Lediglich 61 Prozent der Kiefern- und 75 Prozent der Fichtenwälder sind durchmischt. Alle anderen Waldflächen sind stärker gemischt.

Mehr Naturverjüngung: Auf rund drei Millionen Hektar Wald wächst bereits eine neue Generation an Bäumen heran. 91 Prozent davon sind auf Naturverjüngung zurückzuführen. Gegenüber der letzten BWI hat diese um weitere sechs Prozentpunkte zugenommen.

Mehr Laubholz, weniger Fichte: Kiefer, Fichte, Buche, Eiche – diese vier Baumarten bestimmen das Antlitz von 71 Prozent der Wälder. Doch das Bild wandelt sich. War die Fichte bisher die dominierende Nadelbaumart, so hat sich dies bedingt durch Stürme, Dürren und die massenhafte Vermehrung des Borkenkäfers deutlich geändert. Sie hat im Vergleich zur BWI 2012 rund 460.000 Hektar an Fläche verloren. Fichte findet sich noch auf 2,3 Millionen Hektar bzw. auf 20,9 Prozent der Waldfläche. Mit 2,4 Millionen Hektar Fläche ist mittlerweile die Kiefer zur Baumart mit der größten Verbreitung geworden. Doch auch sie verliert im Klimawandel – minus 41.000 Hektar seit 2012. Bei den häufigen Laubholzarten Buche und Eiche sind die Flächenanteile um jeweils mehr als ein Prozent gestiegen (Buche: auf 16,6 Prozent, Eiche: auf 11,5 Prozent). Aktuell zeigen sich jedoch bei beiden Arten Trockenstress-Symptome, die während der Erhebungen zur BWI 2022 noch nicht sichtbar waren.

Mehr alte Bäume: Im Vergleich zur BWI 2012 sind die Wälder in Deutschland älter geworden. 2022 waren mehr als 30 Prozent des Waldes älter als 100 Jahre, mehr als 20 Prozent älter als 120 Jahre. Bei der Inventur 2012 waren nur 14 Prozent der Wälder älter als 120 Jahre. Der Wald war im Jahr 2022 durchschnittlich 82 Jahre alt – fünf Jahre älter als noch 2012. Die Zunahme alter Bäume fördert die biologische Vielfalt im Wald. Alte Bäume verfügen häufiger als junge Bäume über besondere Mikrohabitate wie Grobborke, Kronentotholz, Brettwurzeln, Astabbrüche oder Spechthöhlen. Viele, auch seltenere, auf bestimmte Zerfallsphasen spezialisierte Arten sind auf diese Mikrohabitate angewiesen. Das zunehmende Alter der Bäume senkt allerdings die Möglichkeit, zusätzlichen Kohlenstoff im Wald einzubinden. Zum einen nimmt der Zuwachs je Hektar im hohen Alter ab. Zum anderen müssten Arten in die vorhandenen Wälder integriert werden, die im Klimawandel besser an den Standort angepasst sind. Die Konsequenz: Auch alte Bäume sollten genutzt werden, um das Durchschnittsalter im Wald zu senken. Zur Förderung der Biodiversität sollten ökologisch besonders wertvolle Baumindividuen im Wald stehen bleiben.

Weniger Holzzuwachs: Der Holzzuwachs betrug rund 9,4 Kubikmeter je Hektar und Jahr, insgesamt 101,5 Millionen Kubikmeter jährlich – ein Minus von 16 Prozent im Vergleich zur Bundeswaldinventur 2012. Der starke Rückgang ist vor allem auf drei Ursachen zurückzuführen: die Folgen des Klimawandels wie Stürme, Trockenheit und Borkenkäferkalamitäten, der Ausfall der schnellwüchsigen Fichte und die fortschreitende Alterung des Waldes.

Mehr Totholz: Durch Sturm, Dürre und Borkenkäferbefall hat auch die Totholzmenge im Wald zugenommen. Insbesondere in den Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist die Schadholzmenge seit 2018 erheblich angestiegen. Insgesamt wurden allein im Jahr 2020 deutschlandweit 60,1 Millionen Kubikmeter Kalamitätsholz ungeplant geschlagen, der höchste Wert seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1990. Der Anteil des Kalamitätsholzes am gesamten Holzeinschlag lag bei knapp 75 Prozent.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Johann Heinrich von Thünen-Instituts, Bundesforschungsinstituts für Ländliche Räume, Wald und Fischenrei via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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