Virale Artenvielfalt im Abwasser



Bio-News vom 20.07.2024

Umfassende Metagenom-Sequenzierungen des Berliner Abwassers über 17 Monate zeigen, dass man so die Ausbreitung von Krankheitserregern überwachen und Ausbrüche vorhersagen kann. Außerdem hat das Team vom Max-Delbrück-Center in Berlin Tausende neuer Viren entdeckt.

Die Überwachung städtischen Abwassers durch Gesundheitsbehörden zur Aufspürung bestimmter Mikroorganismen, wie Polioviren oder SARS-CoV-2, ist ein etabliertes Verfahren. Jedoch ist eine umfassende Überwachung, die auch auf bisher unentdeckte und somit unbekannte Viren abzielt, in den meisten Teilen der Welt nicht üblich.


Symbolbild

Publikation:


Emanuel Wyler et al.
Pathogen dynamics and discovery of novel viruses and enzymes by deep nucleic acid sequencing of wastewater

Environment International(2024)

DOI: 10.1016/j.envint.2024.108875



In der Zukunft könnte sich das ändern, denn Abwasser erweist sich als reichhaltige Quelle für Daten über Viren in unserer direkten Umgebung. Dies zeigt eine Studie der Arbeitsgruppe „RNA-Biologie und posttranskriptionale Regulation“ unter der Leitung von Professor Markus Landthaler am Max-Delbrück-Centrum. Die Forschenden analysierten Proben aus einer Berliner Kläranlage mit der Shotgun-Metagenom-Sequenzierungstechnik. Diese Methode ermöglichte es ihnen, alle Viren im Wasser detailliert zu untersuchen – von der Identifizierung verschiedener Virusvarianten bis hin zur Verfolgung von einzelnen Buchstabenänderungen im genetischen Code.


Abwasserprobe vor der Sequenzierung.

Die Verbreitung der Virusvarianten nachvollziehen

Sie identifizierten zuverlässig alltägliche Viren wie RSV und Influenza und konnten die saisonale Verbreitung der Virusvarianten verfolgen. Abhängig von der Jahreszeit entdeckten sie auch typische Viren im Abwasser: Spargelviren im Frühling, Viren, die Weintrauben befallen, im Herbst und solche, die Wassermelonen oder Berliner Mücken infizieren, im Sommer.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten die weit verbreiteten Astroviren, die den menschlichen Magen-Darm-Trakt infizieren, genauer. Sie analysierten Mutationen im viralen Genom, die im Berliner Abwasser und an anderen Orten auftraten, um die globale Verbreitung einzelner Virusstämme zu verfolgen. Zusätzlich detektierten und sequenzierten sie in angereicherten Proben etwa 70 seltene menschliche Pathogene. Ihre Entdeckung von Tausenden neuer Viren erweiterte das Verständnis der viralen Artenvielfalt. Die Analyse enthüllte auch Hunderte von Enzymen, bekannt als TnpB-Endonukleasen, die in der Biotechnologie von potentiellem Nutzen sein könnten.


Die Wissenschaftler*innen filtrierten die bräunliche Brühe, reicherten die Viruspartikel an, die sie dabei fanden, isolierten und sequenzierten das Erbgut der Viren.

„Die Überwachung des Abwassers hat meines Erachtens ungeheures Potenzial. Denn Sequenzierungen werden billiger“, sagt Landthaler. „Und mit den Maschinen werden sich auch die Bioinformatik-Werkzeuge verbessern, die wir für die Analyse dieser Daten brauchen.“

Nach bislang unbekannten Viren suchen

Die Untersuchung der Abwasserproben begann während der Coronapandemie. Durch eine Zusammenarbeit mit den Berliner Wasserbetrieben erhielt die Forschungsgruppe um Markus Landthaler Proben aus einer Kläranlage in Berlin. Dies ermöglichte es dem Team, die Ausbreitung und die verschiedenen Wellen der SARS-CoV-2-Varianten zu verfolgen. Als die Pandemie nachließ, entschieden sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die von März 2021 bis Juli 2022 gesammelten Proben nochmals zu analysieren. „Wir waren neugierig, was da noch zu finden ist“, sagt Dr. Emanuel Wyler, Postdoktorand in der Arbeitsgruppe von Landthaler und Erstautor der Studie. „Wir hatten hier ja ein sehr umfassendes Set an Daten, das in seiner Tiefe und Zeitspanne einzigartig ist.“

Die Forscherinnen und Forscher extrahierten RNA aus den Proben und generierten 116 Bibliotheken komplementärer DNA. Sie speisten die Bibliotheken in einen Sequenzierer ein – und das Ergebnis waren Millionen Messwerte. „Diese Daten zu analysieren, ist eine Herausforderung“, sagt Dr. Chris Lauber, ein auf Bioinformatik spezialisierter Virologe von TWINCORE, dem Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI). „Genomische Daten in die großen Virenfamilien einzusortieren, ist vergleichsweise einfach. Aber eine tiefgehende Analyse, die nach Varianten oder ganz neuen Viren sucht, kann sehr anspruchsvoll sein.“

Dies alles zeige, welches Potenzial die Überwachung des Abwassers hat – um die Evolution pathogener Viren zu untersuchen und im Hinblick auf Public Health und damit für die Gesundheit der Bevölkerung, sagt Landthaler. „Die Analyse des Metagenoms von Abwasser an möglichst vielen Standorten weltweit sollte Priorität haben“, sagt er.


Diese Newsmeldung wurde mit Material Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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