Globaler Klimawandel und marine Krebse
Bio-News vom 19.11.2021
Senckenberg-Wissenschaftlerinnen aus Frankfurt und Müncheberg haben mit einem US-amerikanischen Kollegen die zukünftigen Verbreitungsmuster von im Meer lebenden Krebstieren für die Jahre 2050 und 2100 modelliert. Sie kommen in ihrer im Fachjournal „Climatic Change“ veröffentlichten Studie zu dem Ergebnis, dass Tiere, die in Wassertiefen von oberhalb 500 Metern leben, sich in Folge des Klimawandels nach Norden bewegen. Krebse, die in Tiefen unterhalb 500 Metern zu finden sind, breiten sich dagegen zukünftig nach Süden aus.
Krebstiere (Crustaceen) sind sowohl im Flachwasser- als auch in Tiefseegemeinschaften weltweit eine der dominantesten Tiergruppen. Verschiedene Studien legen nahe, dass Krebse ihre Verbreitungsgebiete mit der Erwärmung der Ozeane polwärts oder in größere Tiefen verlagern. „Diese Annahme gilt aber hauptsächlich für Flachwasser-Organismen“, erklärt Dr. Marianna Simões vom Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut in Müncheberg und fährt fort: „Wie sich der globale Klimawandel auf die Verbreitung von Tiefsee-Gemeinschaften auswirkt und ob es hier einen Unterschied zur Flachwasserfauna gibt, ist dagegen noch unerforscht – obwohl die Tiefsee das größte Ökosystem der Erde ist!“
Publikation:
Simões, M.V.P., Saeedi, H., Cobos, M.E., Brandt, A.
Environmental matching reveals non-uniform range-shift patterns in benthic marine Crustacea
Climatic Change 168, 31
DOI: 10.1007/s10584-021-03240-8
Simões, ihre Senckenberg-Kolleginnen Angelika Brandt und Hanieh Saeedi sowie Marlon Cobos von der Universität Kansas haben daher 12.885 Datensätze von 94 global verbreiteten, bodenlebenden Krebstierarten aus 12 Ordnungen ausgewertet und zwei Modelle für deren Verbreitung in den Jahren 2050 und 2100 entwickelt. „Wir wollten wissen wie sich die Tiere sich vor dem Hintergrund des voranschreitenden, globalen Klimawandels voraussichtlich verhalten werden. Hierzu haben wir zwei Szenarien des Weltklimarates (IPCC) für die globale Mitteltemperatur der Ozeane zu Grunde gelegt: Die Erhöhung um ein sowie 4,8 Grad Celsius bis zum Jahr 2050 und 2100“, fügt die Müncheberger Wissenschaftlerin hinzu.
Neben den möglichen horizontalen Verbreitungsverschiebungen der benthischen Flachwasser- und Tiefseekrebsen, diskutieren die Forschenden in ihrer Studie auch artspezifische Merkmale, die zu einer Ausbreitung in neue Lebensräume führen können – das sogenannte „Invasionspotential“.
Unter Einbezug aller Faktoren werden sich laut der Modellierungen im Flachwasser lebende Crustaceen bis 2050 bei einer Temperaturerhöhung um ein Grad Celsius um durchschnittlich 431 Kilometer von ihren ursprünglichen Habitaten entfernen, bei einer Erhöhung um 4,8 Grad Celsius sind es 620 Kilometer. Projiziert man die Daten auf das Jahr 2100 sind es 435 bzw. 1300 Kilometer. „Tiefseearten wandern dagegen weniger weit: Bis 2050 geht man von einer Strecke von etwa 90 Kilometern bei ein Grad Erwärmung und von 110 Kilometern bei plus 4,8 Grad aus. 2100 ist es immerhin eine Verlagerung der Lebensräume um 130 bzw. 180 Kilometern“, ergänzt Simões. Ausnahmen gibt es auch hier: Für die Garnelenart Thor paschalis (Heller, 1861) prognostizieren die Forscherinnen und Forscher für 2050 bei einer nur um ein Grad erhöhten Wassertemperatur eine horizontale Verschiebung des Verbreitungsgebietes um 3715 Kilometer!
Projekt „Beneficial“
Die Studie ist Teil des Projektes „Beneficial“ zur Biogeographie der nordwestpazifischen Fauna. Die Grundlagen-Studie soll helfen die Invasionen von Neobiota im Arktischen Ozean zu Zeiten des globalen Klimawandels abzuschätzen.
„Uns hat aber vor allem die Richtung, in welche sich die Krebstiere bewegen überrascht“, so Simões und weiter: „Die von uns untersuchten Arten, die oberhalb von 500 Metern Tiefe leben, wandern nach Norden. Krebse unterhalb dieser Grenze zieht es nach Süden.“ Eine Abnahme des Artenreichtums in den gemäßigten Klimazonen und eine potentielle Artenzunahme in den Polarregionen wäre die Folge. „Allerdings können sich nicht alle Arten an geänderte Umweltbedingungen anpassen“, schränkt Simões ein und warnt: „Mit der Zunahme anthropogener Störungen wie der Fischerei, dem Meeres-Bergbau, Ölbohrungen oder der Erwärmung und Versauerung der marinen Ökosystemen nimmt auch der Druck auf die Tiefsee-Fauna zu. Auch wenn unsere Studie nur etwa 0,3 Prozent der gesamten Crustaceenvielfalt abdeckt, können unsere Ergebnisse dazu beitragen, das zukünftige Ausmaß der Veränderungen für das Tiefseeleben besser zu verstehen, um geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen.“
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseen via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.