Maskierte Verführer in der Balzarena



Bio-News vom 11.11.2020

Die Männchen der extrem seltenen Fledermausart Centurio senex tragen nicht nur während der Coronavirus-Pandemie eine Maske. Offenbar spielt der charakteristische Hautlappen, den sie über ihr Gesicht ziehen können, eine bisher unbekannte Rolle bei der Fortpflanzung. Nun haben Biologen aus Ulm und Costa Rica außergewöhnliche Beobachtungen gemacht: Erstmals konnten sie das Paarungsverhalten von Centurio senex verfolgen und die Gesänge der Männchen, die sich zu einer Balzarena zusammengeschlossen hatten, aufzeichnen.

Mit der „Maske“, die einen Teil ihres Gesichts bedeckt, schützen sich die Männchen der Fledermausart Centurio senex wohl weder vor Viren, noch feiern sie Karneval. Über die ungewöhnliche Gesichtsbedeckung der Tiere war bisher ebenso wenig bekannt wie über das Sozialverhalten der extrem seltenen Säuger. Ausgerechnet in einer Hotelanlage machten Forschende der Universidad de Costa Rica (UCR) und der Universität Ulm sensationelle Beobachtungen: Über mehrere Wochen konnten sie das nächtliche Balzverhalten sowie die Gesänge der Greisengesichter, so der deutsche Name der Tiere, aufzeichnen und analysieren.


Männchen von Centurio senex am Balzplatz mit Gesichtsmaske.

Publikation:


B. Rodríguez-Herrera, R. Sánchez-Calderón, V. Madrigal-Elizondo, P. Rodríguez, J. Villalobos, E. Hernández, D. Zamora-Mejías, G. Gessinger & M. Tschapka
The masked seducers: Lek courtship behavior in the Wrinkle-faced bat Centurio senex (Phyllostomidae)

PLOS ONE 2020

DOI: 10.1371/journal.pone.0241063



„Die fruchtfressende Fledermaus Centurio senex ist so selten, dass viele Forschende sie nie zu Gesicht bekommen – obwohl ihr Verbreitungsgebiet von Mexiko bis in den Norden Südamerikas reicht“, erklärt Professor Marco Tschapka vom Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik der Universität Ulm. Dabei fallen vor allem die Männchen auf: Über die untere Hälfte ihres von Runzeln durchzogenen Gesichtes mit den großen, grünlichen Augen können sie eine Hautfalte ziehen, die an die aktuell allgegenwärtigen Schutzmasken erinnert.

Die Entdeckung costa-ricanischer Tourguides im Herbst 2018 war also spektakulär: Im Wald einer Hotelanlage hatten sie mit ihren Smartphones außergewöhnliche Fledertiere fotografiert, die von dem Säugetierspezialisten Professor Bernal Rodríguez-Herrera (UCR) als Centurio senex identifiziert wurden. Daraufhin fuhr Marco Tschapka, der gerade das Tropenökologische Praktikum der Uni Ulm im Regenwald Costa Ricas beendet hatte, sofort zum Sichtungsort in der Provinz Alajuela. Und tatsächlich: An einem Froschteich hatte sich eine Gruppe männlicher Greisengesichter zu einer Balzarena zusammengefunden. Erstaunlicherweise blieben die sechs bis sieben Zentimeter großen Tiere ihrem Hangplatz über sechs Wochen treu und erlaubten den Forschenden so erstmals Einblicke in ihr Liebesleben.

Um die seltenen Fledermäuse so wenig wie möglich zu stören, wurden die Tiere nicht gefangen und ihr Balzverhalten ausschließlich mit Lautaufnahmegeräten und Infrarotvideokameras dokumentiert. Die Aufnahmen zeigen, dass Männchen an ihrem Hangplatz immer wieder von anderen Fledermäusen angeflogen werden und darauf mit heftigem Flügelschlagen sowie mit lauten Rufen reagieren. Darüber hinaus zeichneten die Forschenden für das menschliche Gehör nicht wahrnehmbare Ultraschallgesänge auf. „Dieses Material lässt vermuten, dass die maskierten Sänger vor allem mit musikalischen Einlagen um die Gunst der Weibchen wetteifern“, erklärt der Biologie-Professor Marco Tschapka.

Balzarenen, zu denen sich mehrere singende Männchen zusammenfinden, um sich gemeinsam den Weibchen zu präsentieren, seien bei Fledermäusen äußerst selten und aus der Familie der Neuwelt-Blattnasen, zu der Centurio senex zählt, bisher gar nicht bekannt. Im Bioakustik-Labor der Universität Ulm hat die Doktorandin Gloria Gessinger die Gesänge analysiert. Werden die mit bloßem Ohr nicht wahrnehmbaren Laute elektronisch in den hörbaren Bereich übertragen, vernimmt man leises Getriller, das bei Damenbesuch von Flügelschlagen begleitet wird und schließlich mit einem sehr lauten, schrillen Schrei endet. „Insbesondere der Einsatz von hörbarem Flügelschlägen in der sozialen Kommunikation ist bei Fledermäusen ungewöhnlich“, betont Gessinger.

Zumindest einer der Meistersänger war mit dieser Taktik in der Balzarena erfolgreich: Videoaufnahmen zeigen, wie er von einem Weibchen auserwählt wird. Die Besucherin schwirrt noch kurz vor dem singenden Männchen, bevor sie sich zu ihm gesellt und es ohne weitere Umschweife zur Paarung kommt. „Die Weibchen von Centurio senex haben ebenfalls ein runzeliges Gesicht, nicht aber die charakteristische Hautfaltenmaske unter dem Kinn. Daher muss diese mit den Geschlechterrollen während der Fortpflanzung zusammenhängen – zumal die Männchen während des Balzgesangs ,maskiert‘ sind“, erläutert Tschapka. Um diese Wissenslücke um die Bedeutung der „Maske“ zu schließen und um beispielsweise nach Duftstoffen in dieser Hautfalte zu suchen, sind weitere Untersuchungen nötig – was sich aufgrund der Seltenheit von Centurio senex schwierig gestaltet. Im Herbst 2019 hofften die Forschenden auf ein Wiedersehen mit den Tieren am gleichen Ort in Costa Rica, wurden jedoch enttäuscht. „Immerhin kennen wir nun die Gesänge von Centurio senex und könnten diese Laute mit unserem Bat Detector im Wald aufspüren“, so Bernal Rodríguez-Herrera.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Ulm via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


warte
warte
warte
warte
warte
warte
warte
warte
warte
warte