Neue Kieselalgen-Gattung Gomphonella entdeckt



Bio-News vom 12.07.2019

Die neue Kieselalgen-Gattung Gomphonella umfasst nach heutigem Wissensstand 30 Arten. Sie leben weltweit überwiegend in Süßwasserseen. Die Artenvielfalt von Gomphonella wurde durch den schlechten wissenschaftlichen Kenntnisstand bisher unterschätzt, weshalb sie für Gewässerqualitätsuntersuchungen im Rahmen der EU Wasserrahmenrichtlinie in Zukunft bedeutend werden könnte.

Die neue Gattung umfasst eine der häufigsten und für Gewässergüteeinschätzungen besonders wichtigen Algenart Gomphonella olivacea. Der Forschungsgruppe Diatomeen am Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin, Freie Universität Berlin gelang es, weitere der Wissenschaft bisher völlig unbekannte Vertreter der Gattung Gomphonella ausfindig zu machen. Die spektakulärste ist die von der Arbeitsgruppe erst 2017 im Berliner Tegeler See entdeckte neue Art und 2019 als Gomphonella tegelensis beschriebene Art. Die Verwandtschaftsbeziehungen dieses Neobionten, d.h. eine neu eingewanderte Art, waren lange unklar und wurden nun geklärt.


Präparierte Schalen der Kieselalge Gomphonella olivacea im Rasterelektronenmikroskop. Links: Außenansicht; Mitte: Innenansicht; Rechts: Seitenansicht. Maßstab: 10µm = 0,01 mm.

Publikation:


Jahn, R., Kusber, W.-H., Skibbe, O., Zimmermann, J., Van, A., Buczkó, K. and Abarca, N.
Gomphonella olivacea (Bacillariophyceae) – a new phylogenetic position for a well-known taxon, its typification, new species and combinations

Plant Ecology and Evolution, 152(2), pp. 219-247

DOI: 10.5091/plecevo.2019.1603



Die Forschungsgruppe Diatomeen am Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin musste sich für die zu einem Verwandtschaftskreis gehörenden Kieselalgen-Arten allerdings keinen gänzlich neuen Gattungsnamen ausdenken. Tatsächlich wurde die Gattung Gomphonella bereits 1859 gültig für eine der zu dieser Kieselalgen-Gruppe zählenden Art beschrieben, war jedoch wissenschaftlich nicht mit Leben gefüllt und fast vergessen. Die aktuellen Untersuchungen mit modernsten licht- und elektronenmikroskopischen und molekularbiologischen Methoden sowie die Recherche in naturhistorischen Sammlungen weltweit bestätigt nun, welche Arten zur Gattung Gomphonella zählen und dass die Gattung weit umfangreicher ist, als bis zuletzt gedacht.

Diese neuen Entdeckungen wurden im Rahmen des durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts „German Barcode of Life – Diatoms“ (GBOL) gemacht. Für dieses werden Kieselalgen aus deutschen Gewässern für die Erstellung einer DNA-Referenzdatenbank für das Gewässermonitoring im Rahmen der EU Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) isoliert und kultiviert. Die weit unter einen Millimeter großen Kieselalgenarten werden morphologisch mit dem Lichtmikroskop untersucht und fotografisch dokumentiert. Ihre Feinstruktur wird mit dem Rasterelektronenmikroskop analysiert.



Auch ihre Erbinformation, die DNA, wird molekulargenetisch untersucht. Nur die Kombination von molekularen und morphologischen Analysen sowie die Untersuchungen von Algenkulturen im Labor hat das Aufklären der Feinheiten der evolutionären Zusammenhänge in dieser Kieselalgengruppe ermöglicht. Dank der systematischen Forschung ist auch in der Zukunft damit zu rechnen, dass das Forscherteam weitere neue Arten entdecken wird und damit zur weiteren Beschreibung der Biodiversität beitragen wird.

Kieselalgen sind Lunge und Nahrung der Erde

Die Zahl der Diatomeenarten wird auf mehrere 100.000 geschätzt, wobei gegenwärtig erst 30.000 Kieselalgenarten beschrieben sind. Trotz ihrer geringen Größe kommt Kieselalgen eine herausragende ökologische Bedeutung zu. Der dank ihrer Photosyntheseaktivität freigesetzte Sauerstoff macht etwa 25 % der weltweiten Sauerstoffproduktion aus. Sie leisten 25 % der globalen Kohlendioxid-Fixierung und puffern damit den Treibhauseffekt und die Klimaerwärmung ab. Sie stehen am Anfang des Nahrungsnetzes und tragen bis zu 25-45 % zur globalen Primärproduktion bei.

Charakteristische Kieselschale

Charakteristisch für den Aufbau der Diatomeen sind ihre transparenten Schalen aus glasartiger Kieselsäure, weswegen sie auch Kieselalgen genannt werden. Die Schalen umgeben die Zelle schützend, sind sehr vielfältig gestaltet und symmetrisch durchbrochen. Die Form der strukturierten Schalen ist artspezifisch und wurde schon früh in der Naturwissenschaft systematisch erfasst.

Kieselalgen: Wichtige Bioindikatoren für die Gewässergüte

Kieselalgen (Diatomeen) sind in nahezu allen Gewässertypen zu finden. Die verschiedenen Kieselalgenarten reagieren empfindlich und spezifisch auf Änderungen der Umwelt wie Verschmutzung, Nährstoffversorgung, Säure und Salzgehalt und sind daher wichtige Anzeiger der Wasserqualität. Kieselalgen werden routinemäßig als Bioindikatoren innerhalb der EU-Wasserrahmenrichtlinie und global zur Bestimmung der Gewässergüte untersucht. Dabei werden vorrangig substratbewohnende Kieselalgen untersucht, da sie im Gegensatz zu freischwimmenden Kieselalgen nicht durch Strömung oder andere Einwirkungen verdriftet werden, was zur Verfälschung der Ergebnisse führen kann. Um die Kieselalgen eines Gewässers für eine Gewässergüteanalyse zu untersuchen, werden sie von Steinen oder anderen Untergründen abgekratzt und anschließend im Labor untersucht. Der glitschige braune Belag auf Steinen am Ufer von Gewässern besteht zum größten Teil aus Kieselalgen.


Diese Newsmeldung wurde via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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