Reinigung, aber sicher! Kokon schützt sensible Ameisenbrut vor giftiger Desinfektion



Bio-News vom 09.10.2018

Ameisen sind reinliche Tiere: Wenn sie eine neue Nestbox beziehen, verbringen sie die ersten Tage damit, sie gründlich zu reinigen. Die Ameisensäure hält dabei zwar das Nest sauber, ihre Verwendung im Nest ist aber gefährlich und kann ungeschützte Brut töten. Allerdings schützt der Seidenkokon die empfindlichen Puppen vor negativen Auswirkungen, wie Sylvia Cremer vom Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) und ihr Team, darunter Erstautor und Doktoratsstudent Christopher Pull – jetzt Postdoc an der Royal Holloway University London (RHUL) – in der heutigen Ausgabe von Current Biology zeigen.

Viele Ameisen erzeugen in speziellen Drüsen äußerst saure Chemikalien. Lange Zeit nahmen Forscher an, dass Ameisen dieses Gift, das hauptsächlich aus Ameisensäure besteht, nur versprühen, um andere Ameisen und mögliche Raubtiere abzuwehren. Doch Sylvia Cremer und ihr Team zeigten in zwei Studien, die 2013 und 2018 erschienen, dass Ameisen die saure Flüssigkeit verwenden, um Nestgenossen zu desinfizieren, die mit Krankheitserregern kontaminiert und infiziert sind. In der jetzt erschienenen Studie von Pull et al. findet das Team um Cremer einen neuen Nutzen für Ameisensäure: Lasius neglectus Ameisen reinigen mittels Ameisensäure ihr Nest prophylaktisch, vermutlich um sicherzugehen, dass das Nest vor Erstbezug sauber ist. Doch da Ameisen ihr Gift auch als chemische Waffe einsetzen, wirft die Verwendung im Nest weitere Fragen auf, wie Sylvia Cremer erklärt: „Wie können Ameisen diese aggressive Säure in ihrem Nest versprühen und ihre sensible Brut damit einnebeln?“ Denn während eine dicke Haut, die Cuticula, die erwachsenen Ameisen und eine harte Hülle, das Chorion, die Eier schützen, ist die Cuticula von Puppen dünn und durchlässig. Allerdings sind die Puppen der Ameisenart Lasius neglectus in einen Seidenkokon gehüllt, von dem Pull et al. annehmen, dass er den Puppen einen gewissen Schutz bieten könnte.

Durch eine Reihe an Experimenten suchte das Forscherteam nach der Antwort. Erst entfernten sie den schützenden Seidenkokon von manchen Puppen und fanden, dass diese nackten Puppen alleine genauso gut überlebten wie in Kokon gehüllte Puppen. Doch wenn sie die nackten Puppen und Arbeiterinnen gemeinsam in ein Nest gaben, starben mehr nackte als eingehüllte Puppen. Ist das erhöhte Sterben eine Folge der Ameisensäure? Um das zu testen, klebten die Forscherinnen und Forscher die Giftdrüsen der Arbeiterinnen mit Sekundenkleber zu. „Wir kreierten ein ‚funktionelles knock-out‘, indem wir Tiere erzeugten, die keine Ameisensäure versprühen können“, erläutert Cremer. In einem Nest mit Arbeiterinnen, die keine Ameisensäure mehr versprühen können, hatten nackte und eingehüllte Puppen dieselbe Überlebenschance. „Es ist also die Ameisensäure, die nackte Puppen umbringt, und vor dem Puppen im Kokon geschützt sind“, folgert Cremer – und wir verhalten uns ähnlich: „Beim Putzen mit aggressiven Mitteln verwenden wir auch Handschuhe, um uns zu schützen. Der Kokon hat also eine ähnliche Funktion wie Schutzhandschuhe.“


Puppen der Ameisenart Lasius neglectus sind normalerweise durch einen Kokon geschützt. Puppen, denen der Kokon entfernt wurde, sind nackt (Mitte) und empfindlich auf Ameisensäure.

Publikation:


Christopher D. Pull, Sina Metzler, Elisabeth Naderlinger, Sylvia Cremer
Protection against the lethal side effects of social immunity in ants
Current Biology Vol 28, Issue 19, PR1139-R1140, Oct 08, 2018

DOI: https://doi.org/10.1016/j.cub.2018.08.063



Die aktuelle Studie liefert das erste Beispiel auf Kolonieebene für sogenannte Immunpathologie, ein Phänomen, das auch vom menschlichen Immunsystem bekannt ist. Das Immunsystem bekämpft Krankheitserreger oft mit toxischen Substanzen, gleichzeitig muss es den Schaden für eigene Körperzellen möglichst gering halten. Das Immunsystem steht also vor der Crux, Pathogene so aggressiv wie möglich zu bekämpfen, und die körpereigenen Zellen und Organe dabei vor Kollateralschäden zu schützen. Ähnliches geschieht bei Ameisen auf der Ebene der Kolonie: Sie schützen die empfindlichsten Teile ihrer Kolonie vor schädlichen Nebeneffekten der Reinigung mit ihrem aggressiven Gift.

Die Studie könnte auch eine Erklärung dafür liefern, weshalb manche Ameisenarten den ursprünglichen Kokon verloren und andere Arten in beibehalten haben, erklärt Christopher Pull: „Einen Kokon zu bauen ist für Ameisen mit Kosten verbunden, es kann etwa zu einer längeren Entwicklungszeit der Puppen führen. Weshalb manche Ameisenarten einen Kokon haben, während andere ihn verloren haben, ist bisher ungeklärt. Hier zeigen wir, dass der Kokon Ameisen in einer sensiblen Phase ihrer Entwicklung schützt. Zu klären bleibt, ob etwa Ameisenarten ohne Kokon ihre Nester mit weniger aggressiven Chemikalien reinigen.“

Über das IST Austria

Das Institute of Science and Technology (IST Austria) in Klosterneuburg ist ein Forschungsinstitut mit eigenem Promotionsrecht. Das 2009 eröffnete Institut widmet sich der Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik. Das Institut beschäftigt Forschenden nach einem Tenure-Track-Modell und Post-DoktorandInnen sowie PhD Studentinnen und Studenten in einer internationalen Graduate School. Neben dem Bekenntnis zum Prinzip der Grundlagenforschung, die rein durch wissenschaftliche Neugier getrieben wird, hält das Institut die Rechte an allen resultierenden Entdeckungen und fördert deren Verwertung. Der erste Präsident ist Thomas Henzinger, ein renommierter Computerwissenschaftler und vormals Professor an der University of California in Berkeley, USA, und der EPFL in Lausanne. http://www.ist.ac.at


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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