Sexuelle Vermehrung ohne Paarung
Bio-News vom 06.07.2021
Samthauben im weiteren Sinne heißen die Pilze, welche ein Forschungsteam auf ihre Strategien der sexuellen Vermehrung hin untersucht hat. Neben der europäischen Samthaube (Cyclocybe aegerita) verfügt auch deren pazifische Verwandte, die Parasitische Samthaube (Cyclocybe parasitica), über die für Hutpilze außergewöhnliche Fähigkeit, im Alleingang komplexe multizelluläre Strukturen zur sexuellen Vermehrung auszubilden. Diese Fruchtkörper werden normalerweise als gemeinschaftliche Leistung zweier Sexualpartner gebildet.
Ein essbarer Wildpilz
Der Pilz Cyclocybe parasitica befällt unter anderem den in Neuseeland holzwirtschaftlich relevanten Tawa-Baum (Beilschmiedia tawa). Er ist im pazifischen Raum weit verbreitet und den Maori, den Ureinwohnern Neuseelands, seit langem als essbarer Wildpilz unter dem Namen „Tawaka“ bekannt.
Biologiestudentin Hannah Elders hat, betreut von Dr. Florian Hennicke am Lehrstuhl Evolution der Pflanzen und Pilze, das Sexualverhalten des Tawaka-Pilzes untersucht. Die beiden Forschenden konnten zeigen, dass der pazifische Tawaka wie sein europäischer Verwandter, die ebenfalls essbare Samthaube (Cyclocybe aegerita), eine der sexuellen Vermehrung zweier Partnerindividuen vorbehaltene komplexe Struktur, den sogenannten Fruchtkörper, im Alleingang eines kompetenten Partners ausbilden kann. Der Fachbegriff dafür ist das monokaryotische Fruchten im engeren Sinne.
Publikation:
Hannah Elders, Florian Hennicke
The Pacific tree-parasitic fungus Cyclocybe parasitica exhibits monokaryotic fruiting, showing phenotypes known from bracket fungi and from Cyclocybe aegerita
Journal of Fungi, 2021
DOI: 10.3390/jof7050394
Schwesterstämme können auch solo Fruchtungsstrukturen bilden
Elders und Hennicke haben nicht nur einen kompetenten Stamm dieses Pilzes identifiziert, der nahezu vollständig entwickelte Fruchtkörper ausbilden kann. Sie charakterisierten zudem Schwesterstämme, die in unterschiedlichem Maße dazu fähig waren, Vorstufen dieser Fruchtkörper auszubilden, von denen eine Vorstufe, der sogenannte stromatische Typ, bisher nur von Konsolenpilzen – auch Baumschwämme genannt – bekannt war. Darüber hinaus gelang es mittels Gewebeschnitttechnik und -mikroskopie, die genauen anatomischen Unterschiede zwischen den komplexen multizellulären Strukturen dieser Schwesterstämme aufzuklären.
„Die Ergebnisse der Arbeit sind auch reproduktionsbiologisch interessant, da sie eine seit Jahrzehnten ungeklärte Frage der Pilzforschung in einem neuen Kontext betrachtet: die Frage, ob in der Natur Samthauben-Populationen vorkommen, deren Hauptvermehrungsstrategie auf dem monokaryotischen Fruchten im engeren Sinne beruht“, so Florian Hennicke. Außerdem diskutieren sie die Frage, inwiefern diese Art der Vermehrung Hutpilzen eine höhere ökologische Fitness gewähren kann, über eine trotz Abwesenheit eines Paarungspartners stattfindende Rekombination der Erbinformation. Eine so vermittelte höhere ökologische Fitness kann zum Beispiel eine Ansiedlung in einem vorher ungeeigneten Lebensraum erlauben, so wie es normalerweise die zweigeschlechtliche Fortpflanzung mit Paarung ermöglicht.
Publikation:
Axel Orban, Annsophie Weber, Robert Herzog, Florian Hennicke, Martin Rühl
Transcriptome of different fruiting stages in the cultivated mushroom Cyclocybe aegerita suggests a complex regulation of fruiting and reveals enzymes putatively involved in fungal oxylipin biosynthesis
BMC Genomics, 2021
Ebenfalls kürzlich erschienen im Fachjournal „BMC Genomics“ ist eine gemeinsame Studie von Forschenden der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Technischen Universität Dresden und der Ruhr-Universität Bochum zur Samthaube Cyclocybe aegerita (syn. Agrocybe aegerita).
Darin geht es um globale Genexpressionsanalyse, also welche Teile der Erbinformation der in vielen Ländern gezüchteten essbaren europäischen Samthaube während der Fruchtkörperproduktion nach Paarung beider Partner abgelesen werden, nicht nur in Bezug auf deren Gestaltausprägung, sondern auch in Bezug auf die Aromastoffe, die der Pilz während dieses Entwicklungsprozesses bildet.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Ruhr-Universität Bochum via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.