Sicher auf den Beinen: Tastsinn wichtiger als gedacht



Bio-News vom 02.10.2019

Barfuß über Steine oder Schotter zu laufen ist für viele Menschen unangenehm. Gepolstert durch Schuhe und geleitet durch Augen und Gleichgewichtssinn wird das Laufen leichter. Doch auch der Tastsinn hilft beim Koordinieren von Bewegungen, wie eine Studie vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie jetzt an Mäusen zeigt. Im Rückenmark verarbeiten spezielle Nervenzellen Berührungsinformationen und verfeinern die Bewegungen der Beine. Dies geschieht in Abstimmung mit dem Gehirn und ist besonders unter herausfordernden Bedingungen wichtig.

Wir *fühlen* uns lebendig. Bereits diese Aussage deutet auf den Stellenwert des Tastsinns. Er liefert Informationen über die Umwelt und beeinflusst dadurch unzählige Verhaltensweisen. Doch anders als beispielsweise beim Schmerzempfinden ist kaum bekannt, wie Gehirn und Nervensystem Berührungen verarbeiten. Wissenschaftlerinnen aus der Abteilung von Rüdiger Klein konnten nun zeigen, dass sogenannte Zic2-Nervenzellen im Rückenmark von Mäusen Bewegungsabläufe basierend auf Berührungsinformationen beeinflussen können.


In Abstimmung mit dem Gehirn können Nervenzellen im Rückenmark Bewegungen auf Grund von Berührungsinformationen verfeinern.

Publikation:


Sónia Paixão, Laura Loschek, Louise Gaitanos, Pilar Alcalà Morales, Martyn Goulding, Rüdiger Klein
Identification of spinal neurons contributing to the dorsal column projection mediating fine touch and corrective motor movements

Neuron, online am 2. Oktober 2019

DOI: 10.1016/j.neuron.2019.08.029



Sónia Paixão und ihre Kolleginnen fanden heraus, dass die Zic2-Zellen Informationen über leichte Berührungen und die Beschaffenheit von Oberflächen von Tastrezeptoren der Haut erhalten. Falls notwendig, können die Zic2-Zellen dann Bewegungen über Verbindungen zu den motorischen Nervenzellen des Rückenmarks beeinflussen – zum Beispiel einen Fuß zurückziehen, wenn etwas pikst, oder die angenehmste Oberfläche für ein Nickerchen aussuchen. Doch dies ist nur ein Teil der Verschaltung: Die Zic2-Zellen leiten die Berührungsinformationen durch Nervenfortsätze vom Rückenmark direkt, sozusagen "bottom-up", zum Hirnstamm weiter.

„Wir hatten die Verbindungen zum Hirnstamm bereits in einer vorherigen Studie vermutet“, berichtet Paixão. „Doch erst jetzt haben unsere funktionellen Analysen gezeigt, dass die künstliche Aktivierung dieser bottom-up-Verbindungen die Berührungsempfindlichkeit der Tiere stark erhöht.“

Das Team fand zudem heraus, dass die Zic2-Zellen im Rückenmark Informationen direkt aus dem motorischen Teil der Großhirnrinde und anderen Gehirnregionen erhalten. Weitere Untersuchungen zeigten, dass dieser "top-down" Informationsfluss zu den Zic2-Zellen wichtig für die Feinabstimmung der Laufbewegungen von Mäusen ist.

Mäuse sind sehr gute Kletterer und können ohne Schwierigkeiten auf schmalen, glatten Balken balancieren. Ohne die Berührungsinformationen der Zic2-Zellen konnten die Mäuse solch einen Balken zwar immer noch gut überqueren, doch rutschten sie dabei deutlich öfters aus. „Wir vermuten, dass ohne die Rückmeldung der Zic2-Zellen zur Beschaffenheit der Laufoberfläche das Gehirn Schwierigkeiten hat, die Pfoten beim Klettern korrekt zu platzieren“, erklärt Rüdiger Klein, der Leiter der Studie.

„Dank neuer Methoden können wir nun endlich untersuchen, wie Berührungsinformationen verarbeitet werden und das Verhalten beeinflussen“, freut sich Sónia Paixão. „Bereits mit dieser Studie wird klar, dass einige Nervenzellen im Rückenmark Berührungsinformationen mit Signalen aus dem Großhirn integrieren und damit komplexe Laufmuster erzeugen.“ Die aufgedeckte Rolle der Zic2-Nervenzellen und ihrer Verschaltungen sind ein wichtiger Schritt um zu verstehen, wie neuronale Schaltkreise Berührungsinformationen verarbeiten und koordiniertes Laufen ermöglichen.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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