Superinfektionen bei Influenza: Jenaer Lungenbläschen-Chip zeigt, wie Bakterien und Viren Zellbarrieren beschädigen



Bio-News vom 09.04.2020

InfectoGnostics-Forscher aus Jena haben ein neues Lungenbläschen-Modell („Alveolus-on-a-Chip“) auf Basis menschlicher Zellen entwickelt. Das künstliche Lungenbläschen liefert Ergebnisse, die näher an der menschlichen Situation sind, und bietet deshalb Vorteile gegenüber Tierversuchen. Mit Hilfe des Alveolen-Chips zeigten die Forscher, dass bei gleichzeitiger Infektion von Viren und Bakterien – Influenza mit bakterieller Superinfektion durch Staphylokokken – die schützende innere Schicht von Blutgefäßen (Endothel) geschädigt wird. Auf diese Weise verbreiten sich Erreger und ihre giftigen Stoffwechselprodukte schneller in der Lunge und führen zu teilweise schweren Lungenentzündungen.

Tierversuche sind bei der Entwicklung neuer Medikamente und Testverfahren noch immer unverzichtbar, doch neben ethischen Bedenken stellt sich zugleich stets die Frage, ob die Ergebnisse überhaupt auf den Menschen übertragbar sind. Wie bei vielen anderen klinischen Tests werden auch bei Lungenentzündungen oft Mäuse oder Ratten als Versuchstiere genutzt, doch häufig sprechen die Tiere völlig anders auf Erreger an. Das Jenaer Startup-Unternehmen Dynamic42 GmbH hat deshalb in Kooperation mit weiteren InfectoGnostics-Partnern – dem Center for Sepsis Care and Control (CSCC), dem Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (HKI) dem Universitätsklinikum Jena (UKJ) sowie der Universität Jena – ein künstliches Modell eines Lungenbläschens (Alveole) entwickelt, das es ermöglicht, direkt mit menschlichen Zellen zu arbeiten.


Publikation:


S. Deinhardt-Emmer et al.
Co-infection with Staphylococcus aureus after primary influenza virus infection leads to damage of the endothelium in a human alveolus-on-a-chip model
Biofabrication. 2020 Feb 19; 12(2):025012

DOI: 10.1088/1758-5090/ab7073



Zum Einsatz kam das „Alveolus-on-a-Chip“-Modell nun erstmals am UKJ in einer Untersuchung von Influenza-Infektionen, die mit einer zusätzlichen Infektion – eine sogenannte Superinfektion – durch Bakterien einhergehen: „Wir wussten bereits aus vorherigen Forschungscampus-Projekten, dass nicht nur die Influenza selbst, sondern auch eine Ko-Infektion mit Bakterien eine große Rolle bei schweren Lungenentzündungen spielen. Mit dem neuen Modell konnten wir erstmals gezielt eine solche Superinfektion mit menschlichen Zellmaterial untersuchen“, erläutert Dr. Stefanie Deinhardt-Emmer, Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Medizinische Mikrobiologie des UKJ.

Schäden am Endothel: Künstliches Lungenbläschen zeigt, wie die Barrierefunktion verloren geht

In dem In-vitro-Modell betrachteten die Forscher die Auswirkungen des Bakteriums Staphylococcus aureus, da die zusätzliche Infektion mit diesem Erreger eine häufige Ausprägung einer Superinfektion bei Influenza darstellt, wie die Ärztin weiter erklärt: „Staphylokken besiedeln auch bei vielen gesunden Menschen den Nasen-Rachen-Raum – darunter auch die multiresistenten MRSA -Varianten. Erkrankt eine Person an einer Grippe kann das oft unbemerkte, kolonisierende Bakterium eine Lungenentzündung auslösen oder verschlimmern. Selbst für Patienten, die nicht zu Risikogruppen zählen, ist so eine Ko-Infektion dann sehr schnell lebensbedrohlich.“

Um zu verstehen, wie genau die Ko-Infektion mit bakteriellen Erregern während einer Influenza abläuft, wurden zunächst die Alveolen-Modelle mit dem Influenzavirus infiziert, um anschließend die Folgen der Sekundärinfektion zu analysieren. Die InfectoGnostics-Forscher werteten dazu mit bildgebenden Verfahren die Prozesse an den Blutgefäßen im künstlichen Lungenbläschen-Modell aus und stellten fest, dass bei Superinfektionen ein erheblicher Schaden am Endothel, der inneren Zellschicht der Blutgefäße, auftritt. Durch die kombinierten Entzündungsreaktionen auf beide Erreger wird diese Schicht durchlässig und kann seine Barrierefunktion nicht mehr aufrechterhalten. Insbesondere toxische Stoffwechselprodukte der Bakterien als auch die Bakterien selbst können sich so schneller im menschlichen Organismus verbreiten und verursachen schlimme Krankheitsverläufe mit akutem Lungenversagen.

Für das Entschlüsseln einer derart komplexen Wechselwirkung zwischen verschiedenen Krankheitserregern und menschlichem Wirt war es für die Wissenschaftler entscheidend, direkt mit menschlichen Zellen im Alveolen-Modell statt im Tiermodell zu arbeiten. Stefanie Deinhardt-Emmer: „Mäuse können im Verhältnis zu ihrer Körpermasse viel höheren Lasten an Infektionserregern ausgesetzt werden, bevor überhaupt Symptome auftreten. Die Infektionsverläufe sind zudem sehr speziesspezifisch, was die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen weiter erschwert. Für uns war also schnell klar: Wir brauchten Tests mit menschlichen Zellen, um wirklich etwas über für Menschen relevante Infektionsverläufe zu erfahren.“

Potential für Untersuchungen von SARS-CoV-2-Infektionen und für Medikamententestung

Das Lungenbläschen-Modell lieferte dafür eine einfache, aber hochspezialisierte Plattform: Es besteht aus einem Biochip mit zwei Zellkultur-Kammern, die durch eine poröse Membran getrennt sind und über Mikrokanäle mit Nährmedien versorgt werden können. „Wir freuen uns, dass unser humanes Alveolen-Modell bereits so vielversprechende Ergebnisse geliefert hat und für verschiedenste Fragestellungen genutzt werden kann. Untersuchungen zum Infektionsverhalten des SARS-CoV-2-Erregers scheinen damit ebenfalls möglich. Künftig werden wir zudem Wirkstofftestungen in diesem Modell vornehmen“, erläutert Knut Rennert, Geschäftsführer der Dynamic42 GmbH. Das Unternehmen arbeitet auch an weiteren Organmodellen, wie Leber und Darm und strebt zudem eine Automatisierung des derzeit noch arbeitsaufwendigen Aufbaus an.


Diese Newsmeldung wurde mit Material InfectoGnostics - Forschungscampus Jena e.V. via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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