Vorsicht Überfischung



Bio-News vom 17.08.2021

Um Überfischung zu vermeiden, werden Zustand und Ertragsfähigkeit vieler Fischbestände mittels bestandskundlicher Analysen eingeschätzt. Die Fruchtbarkeit der Fischweibchen ist dafür eine wichtige Größe. In den meisten Berechnungen steckt jedoch ein systematischer Fehler: Die Eizahl kleinerer Laichfische wird überschätzt, die von größeren wird unterschätzt – und gerade auf die „Superlaicher“ zielt die Fischerei. Eine aktuelle Studie zeigt, dass so das Erholungspotenzial vieler Fischbestände zu hoch geschätzt wird und das Überfischungsrisiko steigen kann.

Falsche biologische Grundannahmen

Fast alle Berechnungen zur Einschätzung des Zustands genutzter Fischbestände basieren auf der Annahme, dass die Eizahl eines Fischweibchens direkt proportional mit ihrem Gewicht ansteigt (Isometrie). Neue Studien zeigen aber, dass bei den meisten Fischarten große, schwerere Weibchen mehr Eier pro Körpermasse ablegen als jüngere, leichtere Weibchen. Die Eizahl steigt also nicht gleichmäßig, sondern überproportional mit dem Gewicht an (Hyperallometrie). Sind unter den Laichfischen eines Bestandes alte, große Weibchen, werden mehr Eier produziert als wenn die gleiche Gesamtbiomasse überwiegend aus jungen, kleinen Fischen besteht.


Auch der Schutz der großen Fische ist im Fischereimanagement wichtig.

Publikation:


Dustin J. Marshall, Michael Bode, Marc Mangel, Robert Arlinghaus, E. J. Dick
Reproductive hyperallometry and managing the world’s fisheries
PNAS Aug 2021, 118 (34) e2100695118

DOI: 10.1073/pnas.2100695118



Die Forschenden aus Australien, den USA und Deutschland haben anhand von Modellrechnungen für 32 marine Fischarten untersucht, was passiert, wenn zwei der wichtigsten Bezugsgrößen für das Fischereimanagement entsprechend der neuen Erkenntnisse zum Zusammenhang von Eizahl und Fischgewicht angepasst werden: das Laichpotenzial eines befischten Bestands im Verhältnis zum Laichpotenzial eines unbefischten Bestands, und der maximale Dauerertrag eines Fischbestands. Der maximale Dauerertrag beziffert die Menge Fisch, die auf lange Sicht einem Bestand entnommen werden kann. Fängt man mehr Fische, spricht man von Überfischung. Sowohl das Laichpotenzial als auch der Dauerertrag werden weltweit genutzt, um Fangquoten festzulegen und Schutzprogramme umzusetzen.

Laichpotenzial wird in Berechnungen für Fangquoten oft überschätzt

Die Ergebnisse der Studie zeigen: Im Durchschnitt wird das Laich- beziehungsweise Reproduktionspotenzial der 32 analysierten Fischarten um 22 Prozent überschätzt. Die Werte schwanken allerdings von Art zu Art zwischen 3 und 78 Prozent. Denn die Hyperallometrie der Fruchtbarkeit ist bei den Arten unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Überschätzung des Laichpotenzials fällt zum Beispiel bei der pazifischen Sardine mit 78 Prozent besonders hoch aus, im Vergleich zum Kabeljau mit 18 Prozent und dem Hering mit 11 Prozent.

Systematische Überfischung der großen Fische

Nimmt man bei der der Berechnung des Reproduktionspotenzials eines genutzten Fischbestands die falschen biologischen Zusammenhänge zu den Eizahlen je Fischgewicht an, sind die erlaubten Fangquoten im Durchschnitt 2,7 fach zu hoch angesetzt. Natürlich überlebt in der Natur nicht jede Fischlarve. Diese Regulationsfähigkeit von Fischbeständen wird bei der Analyse des maximalen Dauerertrags berücksichtigt. Aber auch bei der Berechnung des maximalen Dauerertrags führt die Annahme der falschen biologischen Zusammenhänge zur Ableitung von maximalen Fangquoten, die 1,2 fach höher liegen, als es für die Nachhaltigkeit sinnvoll wäre.

„Das bedeutet, dass der gezielte Fang großer Laichfische – wie in der Fischerei üblich – das Fortpflanzungspotenzial eines Bestands und seine Ertragsfähigkeit verringert. Das kann systematisch die Überfischung schüren oder die Erholung von Beständen verlangsamen oder sogar verhindern“, erläutert Fischereiprofessor Robert Arlinghaus vom IGB und der HU Berlin, Mitautor der Studie.

Bisherige Lehrbuchmeinung zum Fischereimanagement: Fangt die Großen!

Fast alle Fischbestände in den Meeren, Seen und Flüssen werden so bewirtschaftet, dass die größeren Fische selektiv gefangen werden und die kleinen Tiere überleben, damit sie mindestens einmal im Leben ablaichen können. Das ist der Gedanke hinter dem weitverbreiteten Mindestmaß. Diese Fangbestimmung soll verhindern, dass die Fischbestände trotz intensiver Nutzung zusammenbrechen. Dieses Vorgehen beruht auf der Annahme, die älteren und größeren Tiere würden wenig zur Erneuerung des Bestands beitragen, ja sogar Ertragspotenzial kosten, weil sie nicht mehr so schnell wachsen wie kleinere und jüngere Fische. „Diese bisher pauschal angewandte Managementpraxis und die dahinter liegenden biologischen Grundannahmen zur vermeintlich eingeschränkten Produktivität von großen Fischen sind angesichts unserer Ergebnisse überholt. Im Gegenteil: Die biologische Produktivität, die auch die Produktion von Eiern einschließt, steigt mit der Fischgröße an statt abzunehmen, entsprechend kann auch der selektive Fang der ganz großen Fische die Bestände schwächen“, äußert Robert Arlinghaus.

Nachhaltigere Fischerei durch Schutz der Großen

Maßnahmen, die zum Schutz der Großfische beitragen, können den Forschenden zufolge den Fischereiertrag fördern und dem Schutz der Fischbestände helfen – beispielsweise selektivere Fangmethoden, die neben den jungen auch die großen Fische schonen. In der Freizeitfischerei könnten Fangfenster die klassischen Mindestmaße ersetzen. Aber auch Schutzzonen oder Schonzeiten können sinnvoll sein. Im Detail hängen die besten Maßnahmen von der Fischart und von den Fischereimethoden ab und können nicht pauschalisiert werden.

Die Autoren empfehlen, künftige Bestandsabschätzungen neu zu kalibrieren, um der besseren Vermehrungsfähigkeit größerer Fische Rechnung zu tragen. „Sowohl der Naturschutz als auch die Fischerei und die Angelfischerei können von einer exakteren Bestandsanalyse profitieren“, so das Fazit von Robert Arlinghaus.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischenrei (IGB) via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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