Waldschäden haben auch ihr Gutes
Bio-News vom 15.07.2020
Der Klimawandel sorgt weltweit für immense Waldschäden. Eine neue Studie von Ökologen der Universität Würzburg zeigt jetzt, dass dies nicht immer mit Nachteilen für die Artenvielfalt einhergehen muss.
Das leuchtet selbst einem Laien sofort ein: Ein bunter, abwechslungsreicher Wald, in dem viele unterschiedliche Pflanzen wachsen, die zudem unterschiedlich hoch werden, bietet mehr Tier- und Pflanzenarten den passenden Lebensraum als eine monotone Kolonie mit nur einer Baumsorte. Dementsprechend mehr Arten finden sich dort.
Die wissenschaftliche Basis dieser sogenannten Habitat-Heterogenitäts-Hypothese stammt aus den 1950er-Jahren. Damals hatte einer der Gründerväter der Ökologie, der US-Amerikaner Robert MacArthur, in mehrschichtigen Wäldern mehr Vogelarten gezählt als in einfach strukturierten und dies mit einer höheren Nischenvielfalt erklärt. Die von ihm so begründete Habitat-Heterogenitäts-Hypothese ist bis heute eine wichtige Theorie zur Frage, was Lebensräume artenreich macht.
Messungen mit modernster Lasertechnik
Aber stimmt diese Hypothese überhaupt? Dieser Frage sind Ökologen mehrerer Universitäten in einem aktuellen Forschungsprojekt im Rahmen der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Biodiversitätsexploratorien nachgegangen. Verantwortlich dafür waren Jörg Müller, Professor für Tierökologie an der Universität Würzburg (JMU) mit einem Schwerpunkt im Bereich der ökologischen Freilandforschung in unseren Breiten, sowie dessen Doktorandin Lea Heidrich. Ihre jetzt in der Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution publizierten Ergebnisse zeigen: Die Realität ist sehr viel komplexer als es die Hypothese vorgibt.
Publikation:
Heidrich, L., Bae, S., Levick, S. et al.
Heterogeneity–diversity relationships differ between and within trophic levels in temperate forests
Nat Ecol Evol (2020)
DOI: 10.1038/s41559-020-1245-z
Dank moderner Technik hatten es die Forscherinnen und Forscher bei ihrer Studie allerdings deutlich leichter als MacArthur: Während jener mühevoll die verschiedenen Etagen eines Waldes per Augenschein erfassen und die dort lebenden Arten zählen musste, konnten die Ökologen auf neueste Fernerkundungsmethoden zurückgreifen. Mit Hilfe von Laserscanning-Technologie war es für sie möglich, die komplexe Waldstruktur sehr vieler Waldbestände genau und effizient zu vermessen. Zusätzlich zu diesen Strukturparametern lieferten Feldaufnahmen Informationen zu Pflanzen- und Totholzvielfalt, so dass verschiedenste Aspekte der Heterogenität in Wäldern beleuchtet werden konnten.
Heterogenität hat viele Gesichter
Auf diese Weise konnte Lea Heidrich erstmals den Zusammenhang zwischen Habitat und Heterogenität für viele Artengruppen aus dem Reich der Tiere, Pflanzen und Pilze bestimmen – darunter Fledermäuse, Vögel, Gliederfüßer, Pilze und Flechten, die insgesamt 2.600 Arten repräsentieren. Ihre Untersuchungen hat sie auf rund 500 ausgewählten Waldstücken in ganz Deutschland vorgenommen.
Das zentrale Ergebnis: „Die Heterogenität eines Waldes hat viele Gesichter“, erklärt Jörg Müller. Soll heißen: Ob und mit welchem Aspekt der Heterogenität Artenvielfalt zunimmt, hängt in hohem Maße von der jeweiligen Artengruppe ab. Während ein intensiver Wechsel von offen und geschlossen für viele Artengruppen förderlich ist, war dies nicht der Fall für Moose und Pilze. Bei den Totholzbewohnern reagierten Käfer vor allem auf die Heterogenität von Holzsubtraten, während für Pilze die Baumartenvielfalt am wichtigsten war.
Störungen können die Biodiversität erhöhen
Besonders interessant ist aus Sicht der Wissenschaftler der Befund, dass ein intensiver Wechsel aus Lücken und dichtem Wald die Biodiversität der meisten Artengruppen erhöht. „Damit erscheinen die aktuell häufig beklagten Waldschäden im Zuge des globalen Klimawandels mit absterbenden Baumgruppen in dichten Wäldern in einem neuen Licht“, sagt Jörg Müller. Denn diese dürften nach den jetzt veröffentlichten Ergebnissen insgesamt zu einer Erhöhung der Biodiversität führen, wenn noch genügend geschlossene Wälder verbleiben, um Moose und Pilze zu halten.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Julius-Maximilians-Universität Würzburg via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.