Wettbewerb zwischen den Gehirnhälften im Schlaf



Bio-News vom 22.03.2023

Der Mensch ist beidseitig symmetrisch: unser Gehirn besteht aus zwei Hälften, den so genannten Hemisphären. Diese kommunizieren miteinander über spezielle Faserbahnen, die durch die Mittellinie verlaufen. Jede Hemisphäre ist für die Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Tasten) und die motorische Steuerung der gegenüberliegenden Körperhälfte zuständig, aber dank der ständigen Kommunikation zwischen den Hemisphären sind wir uns dieser Aufteilung der Funktionen im Allgemeinen nicht bewusst. Auch beim Menschen sind die beiden Hemisphären auf bestimmte Funktionen spezialisiert: So befinden sich beispielsweise die Sprachbereiche in der Regel in der linken Hemisphäre.

Die meisten Tiere (Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische, Insekten, Weichtiere usw.) sind, wie der Mensch, beidseitig symmetrisch und besitzen beidseitig symmetrische Gehirne. Lorenz Fenk, Luis Riquelme und Gilles Laurent vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt berichten, dass während einer Schlafphase die beiden Hirnhälften des Pogona-Gehirns (ein Reptil) miteinander konkurrieren, so dass eine Seite ihre Aktivität der anderen aufzwingt, bis die dominante Hemisphäre auf die andere Seite umschaltet, und zwar abwechselnd während der ganzen Nacht.


Symbolbild

Publikation:


Lorenz A. Fenk, Juan Luis Riquelme & Gilles Laurent
Interhemispheric competition during sleep

Nature (2023)

DOI: 10.1038/s41586-023-05827-w



Lorenz Fenk erklärt: „Der Schlaf bei Pogona ist in zwei Zustände unterteilt, die denen ähneln, die bei Säugetieren, einschließlich den Menschen, beschrieben wurden: Eine Phase des so genannten Slow-Wave-Schlafs, in der das Elektroenzephalogramm niederfrequente Wellen zeigt - daher der Name - und eine zweite Phase, die REM (für Rapid Eye Movement) oder paradoxer Schlaf genannt wird, in der das EEG dem im Wachzustand aufgezeichneten ähnelt (daher "paradox") und die Augen dazu neigen, ruckartige Bewegungen unter den Augenlidern zu machen (daher REM), während der Körper ansonsten gelähmt ist.“


Die Streifenköpfige Bartagame Pogona vitticeps war Gegenstand der Untersuchungen.

Beim Menschen beginnt der Schlaf mit einer langen Slow-Wave-Phase (etwa 60 Minuten lang), gefolgt von 5-10 Minuten REM, und dieser abwechselnde Zyklus wiederholt sich 5-7 Mal pro Nacht. Im Laufe der Nacht nimmt der Anteil des REM-Schlafs bei jedem Schlafzyklus zu. Bei Pogona ist der Schlafzyklus viel kürzer (weniger als 2 Minuten), und die beiden Schlafzustände sind während der ganzen Nacht gleich lang (jeweils 45-60 Sekunden). Ein Echse durchläuft jede Nacht 250 bis 350 solcher Schlafzyklen, wobei sie regelmäßig zwischen ihren Versionen von Slow-Wave- und REM-Schlaf wechselt.

Durch die gleichzeitige Aufzeichnung der neuronalen Aktivität im gleichen Bereich (dem so genannten Klaustrum) auf beiden Seiten des Pogona-Gehirns entdeckten die Wissenschaftler, dass jede Seite während der Slow-Wave-Phase des Schlafs unabhängig von der anderen arbeitet. Zu ihrer Überraschung wurden die beiden Seiten jedoch während der REM-Phase präzise synchronisiert, allerdings mit einer sehr kurzen Verzögerung von 20 Millisekunden (eine Millisekunde ist ein Tausendstel einer Sekunde) zwischen dem linken und dem rechten Gehirn.

Noch überraschender war die Feststellung, dass die Seite, die der anderen um 20 ms voraus war, im Durchschnitt einmal pro Schlafzyklus zwischen der linken und der rechten Seite wechselte. Beim Vergleich der Intensität der Signale, die während der REM-Phase im linken und rechten Klaustrum aufgezeichnet wurden, stellten sie außerdem fest, dass die Seite mit der stärkeren Aktivität in der Regel die führende war. Dies - zusammen mit anderen Beweisen, die sie in ihrer Arbeit präsentierten - deutet darauf hin, dass die beiden Gehirnhälften während des REM-Schlafs miteinander konkurrieren, nicht aber während des Langsamschlafs, und dass die stärkere Seite ihre Aktivität der anderen aufzwingt, wenn sie konkurriert.

Diese Form des Wettbewerbs wird als winner-takes-all bezeichnet. Interessant ist, dass, obwohl die linke und die rechte Seite etwa gleich oft während der Nacht die Führungsrolle übernehmen (jeweils etwa die Hälfte der Schlafzyklen), der Wechsel zwischen den Seiten nicht exakt mit jedem Schlafzyklus erfolgt. Darüber hinaus wurde der Seitenwechsel in den letzten Stunden der Nacht seltener, wobei eine Seite die andere über viele Schlafzyklen dominierte, bevor sie die Dominanz an die andere Seite abgab, wiederum für viele aufeinanderfolgende Zyklen. "Dies deutet auf das Vorhandensein und das Zusammenspiel mehrerer Schaltkreise zur Schlafkontrolle hin, die jeweils unterschiedliche Zeitskalen aufweisen, sowie auf eine systematische Entwicklung einiger dieser Zeitskalen im Laufe der Nacht; dies deutet darauf hin, dass unabhängig von den Funktionen, die der Schlaf bei diesen Tieren erfüllt, zu Beginn und am Ende der Nacht unterschiedliche Mechanismen im Spiel sein könnten, mit unterschiedlichen Folgen", so Laurent.

Um zu verstehen, wie die beiden Gehirnhälften während des REM-Schlafs miteinander interagieren und konkurrieren, entdeckten die Wissenschaftler, dass diese Konkurrenz nicht auf direkte Interaktionen zwischen linker und rechter Klaustra zurückzuführen ist, sondern auf Schaltkreise, die sich weiter hinten im Gehirn, an der Verbindung zwischen Mittel- und Hinterhirn, befinden. Diese so genannten isthmischen Schaltkreise finden sich bei allen Wirbeltieren, einschließlich Säugetieren und Menschen, und sind bei Vögeln besonders gut untersucht worden. Dort hat sich gezeigt, dass sie für bestimmte Formen der visuellen Aufmerksamkeit bei wachen Vögeln (Eulen und Tauben) wichtig sind. Durch die Läsion einer Komponente dieser isthmischen Schaltkreise auf nur einer Seite des Pogona-Gehirns konnten Fenk und Kollegen den regelmäßigen Wechsel der Seitendominanz aufheben, so dass die intakte Seite die andere während der gesamten Nacht (und den darauf folgenden) dominierte.

Die in dieser Studie untersuchten Schaltkreise (Klaustrum, Mittelhirn und Isthmus) gibt es zwar auch bei Säugetieren, einschließlich des Menschen, aber es ist noch nicht bekannt, ob ähnliche konkurrierende Interaktionen auch beim Menschen während des REM-Schlafs auftreten. Die Mechanismen und Funktionen des Schlafs sind komplex und bei allen Tieren noch wenig erforscht. Diese neuen Ergebnisse bei einem Reptil verleihen den wichtigen Fragen der Schlafdynamik und -funktionen eine neue Komplexität.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

Mehr zu den Themen


warte
warte
warte
warte
warte
warte
warte
warte
warte
warte