Wie Hirnrhythmen unsere visuelle Wahrnehmung organisieren



Bio-News vom 09.09.2019

Ein Team von Neurowissenschaftlern aus Göttingen und Teheran zeigt, dass Nervenzellen visuelle Merkmale mit unterschiedlichen Frequenzen übertragen, um so einen visuellen Gesamteindruck zu ermöglichen.

Ein Drachenfliegerwettbewerb, der Himmel wimmelt nur so von bunten Gleitschirmen. Wir haben den Schirm einer Freundin im Blick. Er ist rot-orange und bewegt sich direkt auf das Ziel zu. Unser Gehirn verwendet für die Verarbeitung der visuellen Merkmale Farbe und Bewegungsrichtung anatomisch getrennte Schaltkreise. Wie diese Informationen schließlich zu einer einheitlichen Wahrnehmung eines fliegenden Gleitschirms oder eines anderen Objektes kombiniert werden, hat ein deutsch-iranisches Forscherteam in einer Studie an Rhesusaffen untersucht.


Ähnlich wie ein Funkempfänger, der Radiosender anhand unterschiedlicher Frequenzen unterscheidet, differenzieren höhere Hirnbereiche die Quelle eines eingehenden Nervensignals anhand der Frequenz.

Publikation:


Khamechian MB, Kozyrev V, Treue S, Esghaei M, Daliri MR
Routing information flow by separate neural synchrony frequencies allows for functionally labeled lines in higher primate cortex
PNAS

DOI: 10.1073/pnas.1819827116



Die Neurowissenschaftler fanden heraus, dass die spezialisierten Nerven-Netzwerke des Gehirns für Farbe und Bewegung unterschiedliche Frequenzen verwenden, um ihre Informationen in höhere Hirnareale zu übertragen, die schließlich die verschiedenen visuellen Merkmale zu einer einheitlichen Wahrnehmung kombinieren (PNAS 2019)

Um zu untersuchen, wie unterschiedliche Informationen im Gehirn verarbeitet werden, haben die Neurowissenschaftler des Deutschen Primatenzentrums (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen, der Iran University of Science and Technology und des Institute for Research in Fundamental Sciences in Teheran, Iran, die Aktivität einzelner Nervenzellen in der Großhirnrinde von Rhesusaffen gemessen.

Die Tiere führten währenddessen eine Wahrnehmungsaufgabe durch. Sie hatten gelernt, das Geschehen auf einem Bildschirm zu beobachten und bei jeder visuellen Veränderung einen Hebel zu betätigen. Mit Hilfe von haarfeinen Mikroelektroden, die für die Tiere schmerzfrei sind, haben die Forscher die elektrische Aktivität von Nervenzellgruppen gemessen. Das sind Signale, die über ein breites Frequenzspektrum kontinuierlich als Schwingungen erfasst werden können.

Die Wissenschaftler nahmen die Nervenzellaktivität in dem Gehirnbereich auf, der auf die Verarbeitung von visuellen Bewegungsinformationen spezialisiert ist. Mit Hilfe neuartiger Signalverarbeitungstechniken fanden sie heraus, dass diese Nervenzellen mit hohen Frequenzen von rund 200 Schwingungen pro Sekunde arbeiten und dass diese Zyklen mit der Wahrnehmung verbunden sind. „Wir konnten beobachten, dass eine schnellere Reaktion der Tiere mit einer stärkeren Aktivität der Nervenzellen bei hohen Frequenzen einherging, was darauf hindeutet, dass diese hochfrequenten Schwingungen die Wahrnehmung und das Handeln beeinflussen“, erklärt Stefan Treue, Leiter der Abteilung Kognitive Neurowissenschaften am Deutschen Primatenzentrum und einer der leitenden Wissenschaftler der Studie.

Frühere Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass verschiedene visuelle Merkmale wie Farbe und Bewegungsrichtung in hochspezialisierten separaten Hirnarealen verarbeitet werden. Diese Hirnbereiche leiten die sensorischen Signale dann an höhere Hirnregionen weiter, in denen einzelne Merkmale zu einer einheitlichen visuellen Wahrnehmung kombiniert werden. In der aktuellen Studie konnten die Forscher nun zeigen, dass die Gehirnregion, die Farbe verarbeitet, die Informationen über eine niedrigere Frequenz von rund 70 Zyklen pro Sekunde überträgt als die Gehirnregion, die Bewegungssignale im hochfrequenten Bereich verarbeitet. „Unsere Berechnungen zeigen, dass höhere Hirnregionen diese verschiedenen Frequenzen nutzen können, um die Quelle der neuronalen Aktivität zu identifizieren, die die Informationen über verschiedenen Merkmale übertragen hat“, erklärt Mohammad Bagher Khamechian, Wissenschaftler an der Iran University of Science and Technology in Teheran und Erstautor der Studie.

Ein detailliertes Wissen darüber, wie das Gehirn von Rhesusaffen die Wahrnehmung sowie andere komplexe kognitive Funktionen ermöglicht, lässt Rückschlüsse auf die Prozesse im menschlichen Gehirn zu. „Die Schwingungsaktivität von Neuronen spielt eine entscheidende Rolle für die visuelle Wahrnehmung bei Menschen und anderen Primaten“, fasst Stefan Treue zusammen. „Zu wissen, wie genau diese Aktivitätsmuster gesteuert und kombiniert werden, hilft nicht nur, die zugrunde liegenden neuronalen Mechanismen der bewussten Wahrnehmung besser zu verstehen, sondern ermöglicht uns auch, den physiologischen Defiziten auf die Spur zu kommen, die beispielsweise Schizophrenie und andere neurologische oder neuropsychiatrischen Erkrankungen bedingen.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

Die News der letzten 7 Tage 5 Meldungen






warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte