Ammoniumnitrat


Strukturformel
Strukturformel von Ammoniumnitrat
Allgemeines
Name Ammoniumnitrat
Andere Namen
  • Ammonsalpeter
  • Ammoniaksalpeter
  • brennbarer Salpeter
  • salpetersaures Ammonium
  • Ammonnitrat
  • Ammonium nitricum
Summenformel H4N2O3
Kurzbeschreibung

farbloser Feststoff[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 6484-52-2
PubChem 22985
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Eigenschaften
Molare Masse 80,04 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Dichte

1,73 g·cm−3 (20 °C)[1]

Schmelzpunkt

169,6 °C[1]

Siedepunkt

210 °C (15 hPa), bei Normaldruck Zersetzung ab 170 °C[1]

Löslichkeit
  • sehr gut in Wasser: 208,9g/100g bei 25 °C [2]
  • gut löslich in Methanol[3]
  • wenig löslich in Ethanol und Aceton[3]
  • Unlöslich in Diethylether[3]
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [1]
Gefahrensymbol

Achtung

H- und P-Sätze H: 272
P: 210 [1]
Thermodynamische Eigenschaften
ΔHf0

−366 kJ·mol−1[4]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Ammoniumnitrat ist das Salz, das sich aus Ammoniak und Salpetersäure bildet. Es wird insbesondere zur Herstellung von Düngemitteln und Sprengstoffen verwendet.

Herstellung

Ammoniumnitrat (NH4NO3) entsteht durch Neutralisation von Ammoniak mit Salpetersäure.

$ \mathrm {\ NH_{3}+HNO_{3}\to NH_{4}NO_{3}} $

Die Reaktion verläuft mit einer Reaktionswärme von −146 kJ·mol−1 stark exotherm.[3]

Eigenschaften

Physikalische Eigenschaften

Ammoniumnitrat bildet farblose hygroskopische Kristalle, die bei 169,6 °C schmelzen. Der Feststoff kann in fünf verschiedenen polymorphen Kristallformen vorliegen, deren Umwandlungstemperaturen bei −16,9 °C, 32,3 °C, 84,2 °C und 125,2 °C liegen.[3][5] Für die Neigung von Ammoniumnitrat-Kristallen zum Zusammenbacken sind dabei namentlich die ersten beiden Phasenumwandlungen in Nähe zur Raumtemperatur verantwortlich. Die polymorphen Formen treten in verschiedenen Kristallgittern auf:

Kristallgitter der Modifikationen[3]
Polymorph I 169,6 °C – 125,2 °C kubisch
Polymorph II 125,2 °C – 84,2 °C tetragonal
Polymorph III 84,2 °C – 32,2 °C orthorhombisch
Polymorph IV 32,2 °C – -16,9 °C orthorhombisch
Polymorph V < -16,9 °C tetragonal

Der Phasenübergang zwischen den Polymorphen IV und III bei 32,2 °C ist bei der Handhabung aber auch Lagerung der Substanz relevant. In Formulierungen für Düngemittel oder Sprengstoffen kann dieses Verhalten zu unerwünschten Änderungen der Morphologie und damit der Eigenschaften führen. Durch Dotierung mit verschiedenen Salzen kann dieser Phasenübergang unterdrückt werden, um sogenanntes phasenstabilisiertes Ammoniumnitrat zu erhalten. Geeignete Salze können verschiedene Kaliumsalze, wie Kaliumfluorid, Kaliumchlorid, Kaliumnitrat, Kaliumcarbonat, Kaliumsulfat, Kaliumrhodanid und Kaliumdichromat sein, die allerdings mit einem Anteil von 1 bis 2 Ma% zugesetzt werden müssen.[6] Der Effekt kann auch mit einer wesentlich geringeren Menge von 0,1 Ma% Kaliumhexacyanidoferrat(II) K4[Fe(CN)6]·3H2O erreicht werden.[7][8]

Mit der hygroskopischen Eigenschaft des Ammoniumnitrats ist eine starke Schmelzpunkterniedrigung verbunden: Schon eine Wasseraufnahme von nur 1 Ma% senkt den Schmelzpunkt des Salzes auf etwa 156 °C. Umgekehrt zeigt das Phasendiagramm bei einem Ammoniumnitratgehalt von 42 Ma% ein Eutektikum mit einem Schmelzpunkt von −16,9 °C.[3] – das in Wasser sehr leicht lösliche Ammoniumnitrat bewirkt also bis zu einem Gehalt von 42 Ma% eine Schmelzpunkterniedrigung des Wassers, worauf seine Anwendung u. a. in Kältemischungen beruht. Bei höheren Massenanteilen liegt das Ammoniumnitrat in zwei Phasen vor, zum einen der wässrigen Lösung, zum anderen dem Salz selbst als festem Bodensatz (bei 20 °C ab ca. 65 Ma%, bei 100 °C ab ca. 91,5 Ma%):

Ammonium nitrate water phase diagram.svg

Bei hohem Druck sinkt die Wasserlöslichkeit drastisch: Bei Normaldruck und 25 °C enthält das Gemisch noch 67,6 Ma% Ammoniumnitrat, bis zu einem Druck von 12 kbar dagegen sinkt dieser Anteil auf nur noch 25,4 Ma%.[2] Bei einem Druck von 12,1 kbar und einem Gehalt von 25,3 Ma% schneiden sich die Phasengrenzlinien zwischen der einphasigen Lösung und dem zweiphasigen Gemisch aus Lösung und Eis bzw. aus Lösung und Ammoniumnitrat als Polymorph IV.[2] Oberhalb dieses Druckes liegt ein zweiphasiges Gemisch aus Eis und festem Ammoniumnitrat vor und es kann keine Lösung mehr existieren.

Ammonium nitrate water pressure phase diagram.svg

Die Dichte von reinem Ammoniumnitrat beträgt 1,725 g·cm−3.[3] In wäßriger Lösung steigt die Dichte mit steigender Konzentration bzw. sinkt mit steigender Temperatur.[3]

Dichte von wässrigen Ammoniumnitratlösungen bei verschiedenen Temperaturen[3]
Gehalt (Ma%) 20 30 40 50 60 70 80 90 94
20 °C 1,0830 1,1275 1,1750 1,2250 1,2785
40 °C 1,0725 1,1160 1,1630 1,2130 1,2660 1,3220
60 °C 1,0620 1,1045 1,1510 1,2005 1,2525 1,3090 1,3685
80 °C 1,0550 1,0935 1,1390 1,1875 1,2395 1,2960 1,3550
100 °C 1,0410 1,0820 1,1270 1,1745 1,2265 1,2825 1,3420 1,4075
120 °C 1,3285 1,3930 1,4210
140 °C 1,3785 1,4065
160 °C 1,3940

In Methanol ergeben sich bei 30 °C eine 20-%ige bzw. bei 60 °C eine 40-%ige Lösung.[3] Die Löslichkeit in Ethanol ist wesentlich geringer. Hier kann bei 20 °C nur eine 4-%ige Lösung erhalten werden.[3]

Chemische Eigenschaften

Beim Erhitzen (T> 170 °C) zerfällt Ammoniumnitrat gemäß der Gleichung[9]

$ \mathrm {NH_{4}NO_{3}\longrightarrow 2\ H_{2}O+N_{2}O} $

in Wasser und Lachgas. Durch starke Initialzündung zerfällt es folgendermaßen:

$ \mathrm {2\ NH_{4}NO_{3}\longrightarrow 4\ H_{2}O+2\ N_{2}+O_{2}} $

Das Stickstoffatom des Nitrat-Ions NO3 (Oxidationsstufe +V) oxidiert dabei das Stickstoffatom des Ammonium-Ions NH4+ (Oxidationsstufe −III), so dass sich am Ende, im N2-Molekül, beide Stickstoffatome auf gleicher Oxidationsstufe (hier 0) befinden. Reaktionen dieser Art, bei denen Atome andere Atome desselben Elements oxidieren und dabei selbst reduziert werden, so dass sich am Ende alle auf gleicher Oxidationsstufe befinden, heißen Komproportionierungen.

Der explosionsartige Übergang vom Feststoff (NH4NO3) zu ausnahmslos gasförmigen Produkten (H2O, N2 und O2) dieser Reaktion erklärt die hohe Sprengkraft des Ammoniumnitrats: Mit etwa 980 l/kg[5] besitzt es eines der höchsten spezifischen Schwadenvolumen, und kalkuliert man auch noch seine Dichte mit ein, ergibt sich ein sogar noch höheres Verhältnis (Schwadenvolumen/Sprengstoffvolumen). Weitere wichtige Explosionskennzahlen sind:

  • Explosionswärme: 2625 kJ·kg−1.[5]
  • Detonationsgeschwindigkeit: 2500 m·s−1 bei einer Dichte von 1,4 g·cm−3[5]
  • Bleiblockausbauchung: 180 cm3/10 g.[5]
  • Schlagempfindlichkeit: 49 N·m[5]
  • Reibempfindlichkeit: Bis 353 N Stiftbelastung keine Reaktion[5]
  • Stahlhülsentest: Grenzdurchmesser 1,0 cm.[5]

Durch Reaktion mit konzentrierter Schwefelsäure und anschließender Destillation lässt sich die Salpetersäure zurückgewinnen, welche die Ausgangssubstanz zur Herstellung vieler Explosivstoffe ist:

$ \mathrm {\ NH_{4}NO_{3}+\ H_{2}SO_{4}\to (NH_{4})HSO_{4}+\ HNO_{3}} $

Verwendung

Ammoniumnitrat ist der Hauptbestandteil vieler Düngemittel (Ammoniumnitrat-Harnstoff-Lösung, Mehrnährstoffdünger („Blaukorn“), Kalkammonsalpeter, Nitramoncal), gewerblicher Sprengstoffe wie beispielsweise der Sprengmittel ANFO und Donarit, aber auch vieler illegal hergestellter Sprengstoffe wie ANNM oder GRG-1.

Obwohl es als brandfördernd gilt und beim Erhitzen explodieren kann, gehört Ammoniumnitrat nicht zu den eigentlich explosionsgefährlichen Stoffen im Sinne des Sprengstoffgesetzes.[5] Gleichwohl wird der Umgang mit ihm in der Bundesrepublik Deutschland durch das Sprengstoffgesetz geregelt, und so darf Ammoniumnitrat wegen seiner latenten Gefährlichkeit in Düngemitteln inzwischen nur noch gemischt mit harmlosen Stoffen wie Kalk verwendet werden (KAS27).

Katastrophen

Die Explosion großer Mengen Ammoniumnitrat ist die Ursache zahlreicher Explosionskatastrophen:[10]

  • Eine der verheerendsten dieser Katastrophen war die Explosion des Oppauer Ammoniakwerkes bei der BASF in Ludwigshafen am Rhein am 21. September 1921. Festgewordene Dünger-Mischungen aus Ammoniumnitrat und Ammoniumsulfat wurden dort üblicherweise vor ihrem Versand mittels Dynamit aufgelockert, und vermutlich aufgrund eines Fehlers beim Mischungsverhältnis kam es bei einer dieser Sprengungen zu einer Initialzündung, die dann insgesamt 4500 Tonnen des am Unglücksort gelagerten Ammoniumnitrat-Gemisches zur Explosion brachte und so einen der größten Explosionsschäden der Geschichte verursachte: 561 Menschen wurden getötet, 1952 verletzt und ein großer Teil der Fabrik sowie der umliegenden Bebauung wurden zerstört. Die Explosion war bis in das 300 Kilometer entfernte München zu hören.[11]
  • Bei der Texas-City-Explosion am 16. April 1947 explodierten im Hafen von Texas City (Texas, USA) die beiden mit Ammoniumnitrat beladenen Frachter Grandcamp (Frankreich) und Highflyer (USA). Es gab 500 bis 600 Tote,[12] über 100 Vermisste, 8000 Verletzte, Hunderte Obdachlose und 65 Millionen US-Dollar Schaden.
  • Am 28. Juli 1947 explodierte im Hafen von Brest (Frankreich) der mit Ammoniumnitrat beladene Frachter Ocean Liberty (Norwegen). Es gab 26 Tote und über 100 Verletzte.[13][14]
  • Bei dem Bombenanschlag auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City (USA) am 19. April 1995 verwendete der Attentäter Timothy McVeigh eine Autobombe mit einer Mischung aus Ammoniumnitrat und Nitromethan (ANNM). Bei dem Anschlag wurde ein neunstöckiges Bürogebäude zerstört und 168 Menschen kamen ums Leben.
  • Genau 80 Jahre nach der Explosion des Oppauer Ammoniakwerkes (siehe oben) starben am 21. September 2001 bei einer Ammoniumnitrat-Explosion in der Düngemittel-Fabrik AZF im französischen Toulouse 31 Menschen, und auch hier gab es darüber hinaus tausende Verletzte und riesige Sachschäden.
  • Beim Eisenbahnunfall von Ryongchŏn am 22. April 2004 kam es im nordkoreanischen Ryongchŏn zur Explosion eines mit Ammoniumnitrat beladenen Zugwaggons, bei der mindestens 161 Menschen starben, schätzungsweise rund 1300 Menschen verletzt und 8000 Häuser zerstört oder beschädigt wurden.
  • Anschläge in Norwegen 2011 des Attentäters Anders Behring Breivik am 22. Juli 2011

Siehe auch

  • Chemiekatastrophe

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 Eintrag zu Ammoniumnitrat in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA (JavaScript erforderlich)
  2. 2,0 2,1 2,2 L. H. Adams, R. E. Gibson: Equilibrium in binary systems under pressure. III. The influence of pressure on the solubility of ammonium nitrate in water at 25°. In: J. Am. Chem. Soc. 54. Jahrgang, Nr. 12, 1932, ISSN 0002-7863, S. 4520–4537, doi:10.1021/ja01351a008 (doi.org [abgerufen am 21. Oktober 2011]).
  3. 3,00 3,01 3,02 3,03 3,04 3,05 3,06 3,07 3,08 3,09 3,10 3,11 K.-H. Zapp, K.-H. Wostbrock, M. Schäfer, K. Sato, H. Seiter, W. Zwick, R. Creutziger, H. Leiter: Ammonium Compounds in Ullmanns Enzyklopädie der Technischen Chemie, 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim, doi:10.1002/14356007.a02_243
  4. Frank-Michael Becker u. a.: Formelsammlung. 3. Auflage. PAETEC, Berlin 2003, ISBN 3-89818-700-4, S. 116.
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 5,4 5,5 5,6 5,7 5,8 Josef Köhler, Rudolf Meyer, Axel Homburg: Explosivstoffe. 10. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 2008, ISBN 978-3-527-32009-7.
  6. C. Oommen, S.R. Jain: Phase modification of ammoniumnitrate by potassium salts in J. Therm. Anal. Calorim. 55 (1999) 903–918, doi:10.1023/A:1010146203523.
  7. A.A. Vargeese, S.S. Joshi, V.N. Krishnamurthy: Use of potassium ferrocyanide as habit modifier in the size reduction and phase modification of ammonium nitrate crystals in slurries J. Hazard. Mat. 180 (2010) 583–589, doi:10.1016/j.jhazmat.2010.04.073.
  8. A.A. Vargeese, K. Muralidharan, V.N. Krishnamurthy: Thermal stability of habit modified ammonium nitrate: Insights from isoconversional kinetic analysis in Thermochim. Acta 524 (2011) 165–169, doi:10.1016/j.tca.2011.07.009.
  9. A. F. Holleman, Egon Wiberg: Lehrbuch der anorganischen Chemie. 101. Auflage. De Gruyter, Berlin 1995, ISBN 3-11-012641-9, S. 65.
  10. Hans Schuh: Das Rätsel von Toulouse. In: Die Zeit. Nr. 41, 2001, S. 39 (Review über Ammoniumnitratkatastrophen).
  11. Peter Philipp: 21. September 1921: Katastrophe bei BASF. In: Deutsche Welle. 2005.
  12. Aftermath. In: The 1947 Texas City Disaster. Moore Memorial Public Library, 2. April 2007 (englisch).
  13. Emina Mamaca u. a.: Review of Chemical Spills at Sea and Lessons Learnt. 2009, S. 17 (Interspill-Konferenz des Centre of Documentation, Research and Experimentation on Accidental Water Pollution).
  14. Sébastien Panou: 28 juillet 1947, l'Ocean Liberty explose. In: maville.com. Brest et sa région. 28. Juli 2007 (französisch).

Literatur

  • Ausschuss für Gefahrstoffe (Hrsg.): Technische Regel für Gefahrstoffe. TRGS 511 Ammoniumnitrat. November 2008.
  • Richard Escales: Ammonsalpetersprengstoffe. Books on Demand, Norderstedt 2002, ISBN 3-8311-3563-0 (Nachdruck der Ausgabe von 1909).
  • K. Hahnefeld, R. Gill, G. Buske: Einflußgrößen auf Detonationsfähigkeit von Ammoniumnitrat. Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven 1983, ISBN 3-88314-308-1.

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