Chanel Nº 5


Flakon »Chanel Nº 5«
Eau de Parfum (1924)

Chanel Nº 5 ist das erste Parfüm, das die französische Modeschöpferin Coco Chanel auf den Markt brachte. Es wurde 1921 lanciert und gilt als der erfolgreichste Damenduft aller Zeiten. Auch heute noch ist »Chanel Nº 5« weltweit in den Top 10 der meistverkauften Parfüms auf den vordersten Plätzen vertreten. Parfums Chanel schätzt, dass weltweit alle 30 Sekunden ein Flakon verkauft wird.[1] Kreiert wurde der Duft, der sich durch eine Überdosis eines 1:1:1 Akkords der Aldehyde C-10 (Decanal), C-11 (Undecanal) und C-12 (Dodecanal) auszeichnet, von dem französischen Parfümeur Ernest Beaux.

Legenden um die Entstehung

Um die Entstehung des Duftes ranken sich zahlreiche Legenden, zu denen Coco Chanel und Ernest Beaux maßgeblich selbst beitrugen:[2]

  • Nach einer Legende soll die 0,6 % Überdosis des Aldehyd-Akkords auf einen Mischfehler von Beaux’ Assistentin zurückgehen, welche die Aldehyde pur statt in 10%iger Verdünnung einsetzte. Dies erscheint jedoch unwahrscheinlich, da der Rosen-Jasmin-Akkord perfekt gegen den Aldehyd-Komplex ausbalanciert ist. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Komposition das Resultat systematischer Studien ist.
  • Nach einer anderen Legende hatte Beaux die Idee zu diesem Duft, als er im Russischen Bürgerkrieg 1917–19 auf der Halbinsel Kola in der Oblast Murmansk diente und ihn der extrem frische Duft der Seen und Flüsse im Licht der arktischen Mitternachtssonne an Aldehyde erinnerte. Auch dies ist unwahrscheinlich, da Beaux selbst schon 1913 Aldehyde im »Bouquet de Catherine« eingesetzt hatte, inspiriert durch Robert Bienaimés großen Erfolg »Quelques Fleurs« (Houbigant, 1912).
  • Am wahrscheinlichsten ist, was Beaux’ Parfümeur-Kollegen Jean Carles [Ma Griffe (Carven, 1946)] und Edmond Roudnitska [Femme (Rochas, 1944), Eau Sauvage (Dior, 1966)][3] berichteten, nämlich dass »Chanel Nº 5« ein Remake von Beaux’ »Bouquet de Catherine« (Buket Ekaterina) bzw. »Rallet Nº 1« war.[4]

»Bouquet de Catherine«

Ernest Beaux hatte seinen ersten großen Erfolg 1912 mit dem »Bouquet de Napoleon«, einem blumig ausgestalteten Kölnisch Wasser. Ein weibliches Pendant sollte aus Anlass des dreihundertjährigen Bestehens der Romanow-Zarendynastie folgen: Das »Bouquet de Catherine«, eine Hommage an Katharina die Große. Beaux studierte dazu das gerade erfolgreich lancierte »Quelques Fleurs« (Houbigant, 1912), in dem Robert Bienaimé als erster synthetische Aldehyde eingesetzt hatte. Da es keine Möglichkeit für Beaux gab, etwa mit einer GC-MS-Kopplung, herauszufinden, welche der äußerst potenten Aldehyde Bienaimé eingesetzt hatte und in welcher Dosierung, experimentierte Beaux mit einem 1:1:1 Komplex der Aldehyde C-10/C-11/C-12 und entdeckte dabei, dass dieser die Fettigkeit des natürlichen Rosen- und Jasmin-Öls neutralisiert. So erhöhte er wechselweise den Anteil an Aldehyden und Blumennoten von »Quelques Fleurs«. Das Resultat wurde als »Bouquet de Catherine« 1913 in Moskau von A. Rallet & Co. lanciert.[5] Der Anfangserfolg war mäßig, und da dies der deutschen Abstammung Katharinas der Großen zugeschrieben wurde, wurde der Duft 1914 in »Rallet Nº 1« umbenannt. Durch die Wirren des Ersten Weltkrieges und der Oktoberrevolution hatte es jedoch auch »Rallet Nº 1« in Russland schwer.

Nº 5

Beaux kam Ende 1919 als einer der letzten früheren Angestellten von Rallet nach Frankreich zu Chiris in La Bocca, die Rallet gekauft hatten. Um die Formel den dortigen Parfümrohstoffen anzupassen, nahm er die Arbeit an »Rallet Nº 1« wieder auf. So entstanden Serien von Adaptionsversuchen, aus denen Coco Chanel später die Nº 5 auswählte. Anfangs lehnte Coco Chanel Parfüms strikt ab: „Frauen parfümieren sich nur, wenn sie schlechte Gerüche zu verbergen haben.“ Parfüms mögen für sie ein Inbegriff der Abhängigkeit gewesen sein, wie Spitze und Perlen, und so machte sie ihrem Mode-Rivalen Paul Poiret auch keine Konkurrenz, als dieser mit den Parfums de Rosine 1911 die ersten Designerdüfte auf den Markt brachte. Dies änderte sich erst mit ihrem neuen Liebhaber, dem Großherzog Dimitri, der sie mit Ernest Beaux und vermutlich auch mit dem »Bouquet de Catherine«, das Dimitris Schwester benutzte, bekannt machte. Im Spätsommer 1920 trafen Coco und Dimitri bei einem Ausflug nach Cannes Ernest Beaux in dessen Labor, wo er ihnen seine Werke vorstellte. Eigentlich nur als ein Weihnachtsgeschenk für ihre besten Kundinnen gedacht und zunächst auf 100 Flakons limitiert, entschied sich Chanel für das Fläschchen Nº 5 der zwei Serien, die Beaux präsentierte und die mit 1–5 bzw. 20–24 beziffert waren. Als dieser sie fragte, wie sie das Parfüm nennen wolle, antwortete sie: „Ich lanciere meine Kollektion immer am fünften Tag des fünften Monats, die Fünf scheint mir Glück zu bringen – daher will ich es Nº 5 taufen“. Ihr Parfüm sollte ein „Parfum für eine Frau mit dem Duft einer Frau“ sein. Als die beschenkten Kundinnen nach Nachschub verlangten, wurde »Chanel Nº 5« offiziell 1922 zum Verkauf angeboten. Das Extrait Parfum enthält als eines der letzten Parfüms noch Jasmin und Mairose aus eigener Produktion in Grasse, welche die blumige Herznote bilden. Das Eau de Toilette und das Eau de Parfum (1986 von Jacques Polge kreiert) unterscheiden sich in ihrer Komposition vom Extrait Parfum und werden maschinell produziert und abgefüllt. Seit 2008 gibt es eine neue, leichtere Variation, das Nº 5 Eau Première.

Der Flakon

Der ursprüngliche Flakon war von Brosse nach einem Fläschchen aus dem Reisenecessaire von Cocos verunglücktem Liebhaber Boy Chapel gefertigt worden; der heute bekannte Flakon wurde erst ab 1924 verwendet. Jeder Flakon des Extrait Parfums wird per Hand mit einem Goldschlägerhäutchen luftdicht versiegelt.

Der klassisch schlichte Flakon, der heute das Markenzeichen des Duftes ist, wurde 1924 von Jean Helleau entworfen und 1959 in die Dauerausstellung des Museum of Modern Art (MoMA) in New York City aufgenommen. Er war auch Thema einer Arbeit von Andy Warhol, der eine Serie von neun Blättern in unterschiedlicher Farbkomposition schuf. – Zeitweise wurde auch der Duft „Coco – Eau de Parfum” im originalen Nº 5-Flakon angeboten.

Der Duft

Die Kopfnote wird geruchlich vom strahlend-frischen, leicht metallisch-wachsig-rauchigen Aldehyd-Komplex C-10/C-11/C-12 (1:1:1, 0,6 %) dominiert, mit seinen typischen Anklängen an wachsige Rosenblätter und Orangenschalen. Die hespridisch-zitrusartigen Facetten werden durch Bergamottöl, Linalool und Petitgrainöl aufgenommen und unterstrichen. Die Herznote wird von dem klassischen »Quelques Fleurs« Blumenbouquet gebildet, das von den Dufteckpfeilern Jasmin, Rose, Maiglöckchen (Hydroxycitronellal), Iris-Butter und Ylang-Ylang-Öl aufgespannt wird. Schon in den ersten Adaptationsversuchen des »Bouquet de Catherine«, die Beaux Chanel zeigte, hatte er aus Preisgründen den Anteil an echter Rosenessenz und echtem Jasminabsolut zurücknehmen müssen, da der Duft sonst unerschwinglich geworden wäre. Er tat dies mit der kommerziellen Jasmin-Base Jasmophore und einer eigenen Rosen-Base »Rose E.B.« (E.B. für Ernest Beaux). Nuanciert wird das blütig-blumige Herz durch Jonone (Iralia) mit ihrer pudiert-voluminösen Veilchennote, die das Iris-Thema aufgreifen und verlängern. Würzige Akzente von Cassia und Isoeugenol setzen Spannungspunkte und leiten zum Fonds der Komposition über. Ungewöhnlich ist hier für einen Damenduft die Vetiver-Note (Qualität Java), die einen maskulinen Kontrapunkt am Anfang der Basisnote setzt. Sie ist eine Signatur Beaux’ und fehlt in »Quelques Fleurs«. Nuanciert wird diese Holznote durch Sandelholz- und Patchouliöl. Vanillin, Coumarin und Storax leiten dann zum betont sinnlichen Moschus-Komplex über, der im Schlussakt der Komposition das Thema bestimmt und im Original von 1921 aus echter Moschus- und Zibet-Infusion im Zusammenspiel mit den Nitro-Moschuskörpern Moschus Keton und Moschus Ambrette bestand, die fast unmerklich von Eichenmoos und Zimtrinde umspielt wurden. Da aus Artenschutz-Gründen etwa echter Moschus verboten und die Nitro-Moschusse wegen ihrer Phototoxizität limitiert sind, ist die Formel im Laufe der Zeit immer wieder adaptiert und an neue Sicherheits-Normen angepasst worden. Sie bestand ursprünglich aus genau 31 Parfüm-Rohstoffen (Basen nicht aufgeschlüsselt), auch wenn in Frauenzeitschriften immer wieder von über 80 oder gar 250 Bestandteilen berichtet wird.

Der Ruhm

Da Beaux damals bei Chiris angestellt war, bevor er 1924 zum neugegründeten Parfums Chanel wechselte, war das Mitnehmen der Formel, die eigentlich mit dem »Bouquet de Catherine« sogar auf Rallet zurückging, nicht so gerne gesehen. Nach den ersten Erfolgen von »Chanel Nº 5« beauftragte Chiris daher ihren Parfümeur Vincent Roubert, der Beaux’ Stelle übernahm, 1926 mit einer Kopie auf Basis des ursprünglichen »Bouquet de Catherine«. Das Resultat war »L' Aimant« (Coty, 1926), das tatsächlich anfangs den Erfolg von »Chanel Nº 5« zu gefährden drohte. Auch Coco Chanel bekämpfte zeitweise ihre eigene Duftikone, denn sie fühlte sich von Theophilus Bader und Ernest Wertheimer, denen sie 1924 mit der Gründung von Parfums Chanel alle Rechte an ihren Düften abgetreten hatte, benachteiligt. So lancierte sie mit Beaux’ Hilfe 1946 »Mademoiselle Chanel Nº 1« in ihren eigenen Boutiquen, in dem statt der Aldehyd-Überdosis, der Iris/Veilchenakkord in den Vordergrund trat. Obwohl ihr in Frankreich der Verkauf eigener Chanel-Düfte gerichtlich untersagt wurde, konnte sie über ihre Filialen in den USA, wo Kunden verunsichert reagierten, Wertheimer doch dazu zwingen, ihre Anteile zu erhöhen und letztlich so ihr Comeback als Couturier finanzieren. Nach Marilyn Monroes berühmter Aussage „Zum Schlafen trage ich nur ein paar Tropfen Chanel Nº 5“ (1954) war »Chanel Nº 5« dann nicht mehr zu bremsen und dieser Erfolg ist bis heute ungebrochen.

Schon zwischen 1920 und 1930 lancierte Chanel weitere Düfte, die alle von Ernest Beaux stammten, darunter »Chanel Nº 22« (1922) und »Cuir de Russie« (1924), »Gardenia« (1925), »Bois des Îles« (1926). 1954 trat Ernest Beaux in den Ruhestand und Henri Robert wurde sein Nachfolger, der aber mit seiner Assistentin Mme Béchet im Verborgenen arbeitete, um »Chanel Nº 5« keine Konkurrenz zu machen. Er kreierte für Coco Chanel »Chanel Nº 19«, das erst nach ihrem Tod 1971 lanciert wurde, und »Cristalle« (1974). Nachfolger von Henri Robert wurde Jacques Polge, der unter anderem  »Coco« (1984), »Égoïste« (1990), »Allure« (1996), »Coco Mademoiselle« (2002) und »Chance« (2004) komponierte. Während dieser Jahre bewarb das Haus Chanel seine Parfüms, insbesondere »Chanel Nº 5«, mit bekannten Gesichtern, darunter Vanessa Paradis, Catherine Deneuve, Estella Warren und Carole Bouquet. 1969 entstand der erste Werbefilm für »Chanel Nº 5«, seit Ende 2004 präsentiert die australische Schauspielerin Nicole Kidman den Duft, seit 2009 Audrey Tautou, die auch die Hauptrolle in dem Film Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft (Originaltitel: Coco avant Chanel) spielt.

Trivia

Nach dem Roman „Chanel Nr.5“ von Bobby E. Lüthge[6] entstand 1947 eine Operette „Chanel Nr.5“ (Libretto: Bobby E. Lüthge, Musik Friedrich Schröder, Liedtexte Günther Schwenn)[7] , diese wurde im Berliner Metropol-Theater[8] aufgeführt.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Kidman reprises Moulin Rouge role for Chanel, The Guardian, 15. Oktober 2004
  2. Michael Edwards: Perfume Legends: French Feminine Fragrances, HM Éditions, Levallois, France, 1996, S. 43.
  3. Edmond Roudnitska: The Art of Perfumery in Perfumes: Art, Science and Technology, P. M. Müller, D. Lamparsky; Hrsg., Elsevier Science Publishers, Barking, England, 1991, S. 5–6.
  4. Joachim Laukenmann: Es riecht nach Remake. Chanel Nº 5 ist aus einem gefloppten russischen Parfüm entstanden, SonntagsZeitung vom 30. September 2007, S. 80.
  5. Philip Kraft, Christine Ledard, Philip Goutell: From Rallet Nº 1 to Chanel Nº 5 versus Mademoiselle Chanel Nº 1, Perfumer and Flavorist 2007, Vol. 32 (Oct.), S. 36–48.
  6. Libbe, Erijotik und Zoff, Der Spiegel 16/1952, bei spiegel.de
  7. Chanel Nr.5, Operette (mit Inhaltsangabe) auf der Webpräsenz von Friedrich Schröder
  8. Biografie Sonja Ziemann

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