Enzymersatztherapie


Die Enzymersatztherapie (EET oder ERT von engl. Enzyme Replacement Therapy) ist ein therapeutisches Verfahren zur Behandlung von Enzymdefekten bei lysosomalen Speicherkrankheiten. Den Patienten werden dabei per Infusion oder Injektion synthetische Enzyme zugeführt.

Der Enzymdefekt beim Patienten kann durch ein fehlendes oder fehlerhaftes Enzym bedingt sein. Die Behandlung erfolgt lebenslang in regelmäßigen Abständen. Bei der ERT wird nicht die Erkrankung selbst therapiert beziehungsweise geheilt, sondern es werden die Symptome der Erkrankung behandelt.

Funktionsprinzip

Durch genetisch bedingte Enzymdefekte können Patienten mit lysosomalen Speicherkrankheiten bestimmte Makromoleküle in einigen Körperzellen nicht mehr ausreichend abbauen. Dadurch reichern sich die nicht abbaubaren Makromoleküle in der Zelle an, wo sie zu Schädigungen in den Zellen und verschiedenen daraus aufgebauten Organen führen können.

Die von dem Enzymdefekt betroffenen Patienten erhalten mittels einer Infusion das fehlende Enzym. Die Zellen verschiedener Organe nehmen über eine rezeptorvermittelte Endozytose das Enzym im Lysosom auf, wo sie die katalytische Funktion der fehlenden körpereigenen Enzyme übernehmen.[1]

Ein Teil der Patienten die eine Enzymersatztherapie erhalten entwickelt Antikörper gegen das infundierte Enzym. Dies beeinflusst allerdings nicht den therapeutischen Effekt der Therapie, da die meisten Antikörper offensichtlich nicht in der Lage sind das infundierte Enzym zu neutralisieren. Der Titer an Antikörpern nimmt im weiteren Verlauf der Therapie wieder ab, was durch die Ausbildung einer immunologischen Toleranz zu erklären ist.[2][3]

Limitierungen der Enzymersatztherapie

Mit der Enzymersatztherapie können nur die lysosomalen Speicherkrankheiten therapiert werden, die keine zentralnervöse Störungen verursachen. Der Grund hierfür ist, dass die intravenös applizierten Enzyme aufgrund ihrer Größe nicht die Blut-Hirn-Schranke überwinden und dadurch nicht in das Gehirn gelangen können. Für lysosomale Speicherkrankheiten, bei denen das Gehirn durch den Enzymdefekt von der Speicherung der nicht abgebauten Stoffwechselprodukte betroffen ist, ist die Therapie – was die zerebralen Aspekte betrifft – wirkungslos. Dies trifft auf die meisten lysosomalen Speicherkrankheiten zu. Hier bietet die Substratreduktionstherapie bessere therapeutische Perspektiven.[1] Die Überwindung der Blut-Hirn-Schranke mittels Transzytose ist ein möglicher zukünftiger Weg, die Enzymersatztherapie auch für zerebrale lysosomale Speicherkrankheiten anwenden zu können.[4][5] Diese Möglichkeiten sind noch am Anfang ihrer Entwicklung und von einem zugelassenen Arzneimittel noch weit entfernt.

Wirkstoffproduktion

Die in der Enzymersatztherapie eingesetzten Enzyme werden mittels rekombinanter DNA-Technologie („Gentechnik“) hergestellt. Dabei können sowohl humane, murine, bovine, als auch CHO-Zelllinien verwendet werden.

Kosten

Die Kosten für eine Enzymersatztherapie sind ausgesprochen hoch. So liegen beispielsweise die Jahresbehandlungskosten für Patienten mit Morbus Fabry bei etwa 200.000 Euro pro Patient. Im Fall der ERT von Morbus Gaucher liegen die Kosten im Bereich von 375.000[6] und 700.000[7] Euro pro Jahr und Patient, alleine für das Medikament. In Deutschland übernehmen die Krankenkassen die Therapiekosten, wenn eine sichere Diagnose gestellt wurde. In Österreich muss die Übernahme der Kosten für jeden Patienten einzeln mit den Kassen verhandelt werden.[8] Die Ursache für die hohen Kosten einer Enzymersatztherapie liegen zum einen in den Herstellkosten, zum anderen aber vor allem in der geringen Patientenzahl für eine zugelassene Enzymersatztherapie. Die hohen Entwicklungs- und Zulassungskosten verteilen sich auf eine recht geringe Patientenzahl.[8] In Österreich beispielsweise liegt die Anzahl der behandelten Patienten im zweistelligen Bereich.[9]

Therapiebeispiele

Morbus Gaucher

Der Morbus Gaucher ist mit einer Prävalenz von etwa 1:200.000 die häufigste lysosomale Speicherkrankheit. Das bei der Krankheit betroffene Enzym Glucocerebrosidase wurde 1973 erstmals isoliert und einem Kind infundiert worden.[10][11][12] Dies war die weltweit erste Enzymersatztherapie. In den folgenden Jahren wurde das Enzym aus humanen Plazenten gewonnen und unter dem Markennamen Ceredase für die Enzymersatztherapie bei Morbus Gaucher verwendet. Seit Ende der 1990er Jahre ist ein rekombinant hergestellter Wirkstoff (Cerezyme) zugelassen.[7]

Hurler-Pfaundler-Syndrom MPS Typ I

Am 30. April 2003 wurde in den USA eine Enzymersatztherapie zur Behandlung der Mukopolysaccharidose Typ I (Hurler-Pfaundler-Syndrom) zugelassen. In Europa erfolgte die Zulassung am 10. Juni 2003. Den Patienten wird dabei das künstlich hergestellte Enzym Iduronidase per Infusion zugeführt.[13] Das Enzym wurde erstmals 1992 biotechnologisch hergestellt. Die Patienten erhalten wöchentliche Infusionen. In verschiedenen Studien kam es zu signifikanten Verbesserungen bei den klinischen Symptomen. Bei den behandelten Patienten konnte nach sechs Wochen eine Reduzierung, teilweise sogar eine Normalisierung der Größe der Leber und Milz beobachtet werden. Die Konzentrationen an Mukopolysacchariden im Urin nahm nach wenigen Wochen stark ab. Bei vielen der behandelten Patienten war eine Zunahme an Körpergewicht, sowie ein Wachstumsschub vor der Pubertät zu beobachten.[14][15]

Morbus Hunter MPS Typ II

Im Januar 2007 hat die Europäische Kommission das Enzym Idursulfase (Iduronat-2-Sulfatase) zur Behandlung von Morbus Hunter (Mukopolysaccharidose Typ II) zugelassen.[16][17]

Maroteaux-Lamy-Syndrom MPS Typ VI

Arylsulfatase B (Arzneistoff Galsulfase, Handelsname Naglazyme) wurde am 31. März 2005 in den USA und am 30. Januar 2006 in Europa zur Behandlung des Maroteaux-Lamy-Syndroms (Mukopolysaccharidose Typ VI) zugelassen.[18][19]

Morbus Pompe

Seit April 2006 ist α-Glucosidase (INN = Alglucosidase alpha, Markenname Myozyme) in Europa für die Therapie von Morbus Pompe zugelassen.[20] 1999 wurde das transgene Enzym erstmals aus Kaninchenmilch gewonnen. Mittlerweile wird es aus CHO-Zelllinien rekombinant hergestellt. Es wird den Patienten alle zwei Wochen intravenös verabreicht.[21]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 J. Blanz und P. Saftig: Enzymersatztherapie bei der lysosomalen Speicherkrankheit alpha-Mannosidose. In: DKFZ 11/12, 2006, S. 42–49
  2. G. M. Pastores: Miglustat: Substrate Reduction Therapy for Lysosomal Storage Disorders Associated with Primary Central Nervous System Involvement. In: Recent Patents on CNS Drug Discovery 1, 2006, S. 77-82.
  3. M. Rosenberg u. a.: Immunosurveillance of alglucerase enzyme therapy for Gaucher patients: induction of humoral tolerance in seroconverted patients after repeat administration. In: Blood 93, 1999, S. 2081-2088.
  4. H. J. Galla und V. Gieselmann: Die Blut-Hirn Schranke und die Therapie lysosomaler Erkrankungen. In: BIOspektrum 5, 2008, S. 460–464.
  5. A. Urayama u. a.: Developmentally regulated mannose 6-phosphate receptormediated transport of a lysosomal enzyme across the bloodbrain barrier. In: PNAS 101, 2004, S. 12658–12663. PMID 15314220
  6. A. Klement: Morbus Gaucher und Zavesca® In: ÖAZ 2, 2004, S. 5.
  7. 7,0 7,1 D. Boerner: Klinischer, laborchemischer und radiologischer Langzeitverlauf der individualisierten Enzymersatztherapie des Morbus Gaucher. Dissertation, Universität Düsseldorf, 2002. urn:nbn:de:hbz:061-20020128-000427-7
  8. 8,0 8,1 F. Breunig und R. M. Schaefer: Morbus Fabry – Neue Perspektiven durch Enzymersatztherapie. S.50–66
  9. ORF.at: Enzymersatztherapie eingesehen am 8. Januar 2008
  10. P. Pentchev und S. Hibbert: Isolation and characterization of glucocerebrosidase from human placental tissue. In: J Biolo Chem 248, 1973, S. 5256–5261. PMID 4768898
  11. P. Pentchev u. a.: Replacement therapy for inherited enzyme deficiency: sustained clearance of accumulated glucocerebroside in Gaucher’s disease following infusion of purified glucocerebrosidase. In: J Mol Med 1, 1975, S. 73–78.
  12. R. O. Brady u. a.: Replacement therapy for inherited enzyme deficiency. Use of purified glucocerebrosidase in Gaucher's disease. In: NEJM 291, 1974, S. 989–993. PMID 4415565
  13. Enzymersatztherapie (EET) bei MPS I eingesehen am 9. Januar 2009
  14. unbekannt: Enzymersatztherapie – eine große Hoffnung für Patienten mit Mukopolysaccharidose Typ I. In: JournalMed Ausgabe 6/2004
  15. C. Becker: Erste Enzymersatztherapie bei Mukopolysaccharidose I In: Pharmazeutische Zeitung 8, 2003
  16. unbekannt: Europäische Kommission genehmigt Enzymersatztherapie für Morbus Hunter. vom 12. Januar 2007
  17. Morbus Hunter - Erste Enzymersatztherapie zugelassen vom 12. Januar 2007
  18. Gesellschaft für Mukopolysaccharidosen e.V.: Typ VI: Kausale Therapien
  19. M. Beck: Galsufase: Enzyme Replacement Therapy for Mucopolysaccharidosis Type VI (Maroteaux Lamy). In: Therapy 3, 2006, S. 9–17.
  20. T. Merk u. a.: Schwere chronische respiratorische Insuffizienz bei adulter Glykogenose Typ II (Morbus Pompe). In: Medizinische Klinik 102, 2007, S. 570-573. doi:10.1007/s00063-007-1070-z
  21. Pompe-Portal: Enzymersatztherapie und Myozyme

Literatur

  • C. Haase: Enzymersatztherapie bei angeborenen Stoffwechselerkrankungen. In: Kinder- und Jugendmedizin 6, 2006, S. 241–248.
  • N. W. Barton u. a.: Replacement therapy for inherited enzyme deficiency--macrophage-targeted glucocerebrosidase for Gaucher's disease. In: NEJM 324, 1991, S. 1464–1470. PMID 2023606
  • P. Daloze u. a.: Replacement therapy for inherited enzyme deficiency: liver orthotopic transplantation in Niemann-Pick disease type A. In: Am J Med Genet 1, 1977, S. 229–239. PMID 345809
  • R. O. Brady u. a.: Replacement therapy for inherited enzyme deficiency. Use of purified ceramidetrihexosidase in Fabry's disease. In: NEJM 289, 1973, S. 9–14. PMID 4196713

Weblinks

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