Kongenitales Megakolon


Klassifikation nach ICD-10
Q43.1 Hirschsprung-Krankheit
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Beim kongenitalen Megakolon (Syn.: Megacolon congenitum, angeborenes Megakolon, aganglionotisches Megakolon, Hirschsprung-Krankheit, Morbus Hirschsprung) handelt es sich um eine Erkrankung des Dickdarms, die zur Gruppe der Aganglionosen gezählt wird.

Name und Häufigkeit

Erstbeschreiber (1886) ist der dänische Pädiater Harald Hirschsprung (1830–1916). Im Durchschnitt tritt diese Fehlbildung bei 1 von 5.000 Kindern auf, wobei Jungen prozentual gesehen deutlich häufiger betroffen sind als Mädchen.

Bei ca. 12 Prozent der Säuglinge mit einem Down-Syndrom (Trisomie 21) kann Morbus Hirschsprung diagnostiziert werden. Kombinationen mit anderen Fehlbildungen (z. B. Mukoviszidose, Brachydaktylie) kommen vor, sind aber selten.

In 80 Prozent der Fälle sind bei der Aganglionose nur das Rektum und/oder Sigma betroffen (Short-Segment-Aganglionose). Etwa 5 Prozent gehören zur Long-Segment-Aganglionose, bei der der krankhaft veränderte Dickdarmabschnitt insgesamt 40 cm und mehr ausgedehnt ist. In weniger als 5 Prozent der Fälle fehlen die Nervenzellen im gesamten Abschnitt des Dickdarmes, man spricht in diesem Fall von einem Jirasek-Zuelzer-Wilson-Syndrom. In einigen Fällen fehlen die Nervenzellen bis in den Dünndarm.

Ursachen

Ein Mangel an Ganglienzellen („Aganglionose“) im Bereich des Plexus submucosus bzw. myentericus (Auerbach-Plexus) führt zu einer Hyperplasie der vorgeschalteten Nervenzellen mit vermehrter Acetylcholin-Ausschüttung. Durch diese permanente Stimulation der Ringmuskulatur kommt es zu einem dauerhaften Zusammenziehen des betroffenen Darmabschnittes. Das übermäßig gebildete Acetylcholin wird durch eine kompensatorisch vermehrt produzierte Acetylcholinesterase abgebaut.

Späte Defekte der Neuroblasteneinwanderung, Reifungsstörungen eingewanderter Neuroblasten, temporäre Ischämien des Darms oder virale Infektionen beim Embryo kommen ursächlich in Frage. Es existieren Untersuchungen, die beim Morbus Hirschsprung Mutationen im sogenannten Ret-Protoonkogen (autosomal dominante Form), im Endothelin-3-Gen (EDN3) und im Endothelinrezeptor-Gen (EDNRB) (autosomal rezessive Form) belegen.

Die Multiple endokrine Neoplasie Typ IIa kann mit der Symptomatik des M. Hirschsprung assoziiert sein. Auch dort liegt eine Mutation des Ret-Protoonkogens vor. [1]

Da die Krankheit bei Heiraten unter Verwandten häufiger vorkommt, ist sie bei den Amischen (USA) überdurchschnittlich verbreitet.

Auswirkung

Die Ringmuskulatur wird übererregt und zieht sich zusammen - das betroffene Darmsegment, meist das Rektum, wird eingeengt. Dadurch entsteht eine Obstruktion des Darmes. Die Darmentleerung kann nicht mehr regelgerecht erfolgen, wodurch eine schwere Verstopfung entsteht. Durch Kotstauung im Dickdarm erweitert sich dann vor dem verengten Segment das Darmlumen und es kommt zum Megacolon. Dies wiederum führt zu Beschwerden wie Meteorismus und Erbrechen. Durch die Ansammlung von Kot kann es zu einer Stuhlinkontinenz im Sinne einer „Überlaufenkopresis“ kommen. Bei etwa 15 % der Patienten weist das Megacolon unterschiedlich schwere und teilweise auch nekrotisierende Entzündungen durch Clostridium difficile auf.

Klinische Zeichen

Erste Hinweise geben die genannten Beschwerden, die in der Regel innerhalb der ersten Tage nach Geburt auffallen. Fehlender Mekoniumabgang („Kindspech“) oder ein Mekonium-Ileus (ansonsten typisch für Mukoviszidose) können auf Morbus Hirschsprung hinweisen.

Bei der rektalen Untersuchung zeigt sich eine leere Ampulle sowie ein enger Analkanal.

Bei Erwachsenen tritt Morbus Hirschsprung selten auf und fällt durch chronische Verstopfung auf. Der Darmabschnitt, in dem Nervenzellen fehlen, ist hier meist sehr kurz, weshalb die Diagnose eines Morbus Hirschsprung erst spät gestellt wird.

Diagnostik

Fehlinnervation oberer Schleimhautschichten (Lamina propria) des Darms in der enzymhistochemischen Untersuchung der Acetylcholinesteraseaktivität (Braunfärbung).

Die Verdachts-Diagnose ergibt sich aus der Klinik, gegebenenfalls unterstützt durch eine anorektale Manometrie. Zur Diagnosesicherung ist eine Serien-Saugbiopsie aus der Mastdarmschleimhaut unter Vollnarkose oder in Sedierung erforderlich. Bei ausreichender Biopsietiefe kann die pathologische Untersuchung in der NADH-Reaktion das Fehlen von Ganglienzellen bestätigen.

Radiologisch mittels eines Kolon-Kontrastmitteleinlaufs kann in aller Regel keine definitive Aussage getroffen werden, lediglich eine Vermutung über die mutmaßliche Ausdehnung der Veränderungen, wichtig für die Planung der Serienbiopsien. Enzymhistochemisch lässt sich anhand der Acetylcholinesterase-Aktivität nach den ersten Lebensmonaten eine cholinerge Fehlinnervation oberer Schleimhautschichten (Lamina propria) nachweisen.[2] Diagnostisch hilfreich kann auch das Fehlen des in Ganglienzellen exprimierten Proteins Calretinin in der Immunhistochemie sein.[3][4]

Behandlung

Bei Neugeborenen wird bis zu einem operativen Eingriff meist vorübergehend ein künstlicher Darmausgang angelegt oder der Darm regelmäßig nach Anleitung gespült bzw. mit sogenannten Darmrohren so gut wie möglich geleert. Dieses wird in den After eingeschoben. Das Darmrohr wird derzeit aber immer seltener verwendet.

Als Therapie wird der betroffene Darmabschnitt operativ entfernt, bei sehr kurzem aganglionären Segment kann auch eine Sphinktermyektomie (Einschnitt des dauerkontrahierten Schließmuskels) durchgeführt werden. Als Operationsmethoden kommen je nach Erfahrung der Klinik offene, laparoskopische und transanale Methoden zum Einsatz.

Komplikationen

Bei unbehandeltem M. Hirschsprung kann als entzündliche Komplikation eine Enterokolitis auftreten, in deren Rahmen es unter anderem zu einer Peritonitis und Sepsis kommen kann.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Wohllk et. al. 2010, 'Multiple endocrine neoplasia type 2', Best Practice & Research Clinical Endocrinology & Metabolism., PMID 20833330
  2. Meier-Ruge et al.: Acetylcholinesterase activity in suction biopsies of the rectum in the diagnosis of Hirschsprung's disease. J Pediatr Surg. 1972;7(1):11-7. PMID 5013118
  3. Barshack et al.: The loss of calretinin expression indicates aganglionosis in Hirschsprung's disease. J Clin Pathol. 2004;57(7):712-6. PMID 15220363 Volltext
  4. Guinard-Samuel et al.: Calretinin immunohistochemistry: a simple and efficient tool to diagnose Hirschsprung disease. Mod Pathol. 2009;22:1379–1384 PMID 19648883

Weblinks