Nitroglycerin
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Strukturformel | ||||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Allgemeines | ||||||||||||
Name | Nitroglycerin | |||||||||||
Andere Namen |
| |||||||||||
Summenformel | C3H5N3O9 | |||||||||||
Kurzbeschreibung |
gelbliche Flüssigkeit[1] | |||||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | ||||||||||||
| ||||||||||||
Arzneistoffangaben | ||||||||||||
ATC-Code | ||||||||||||
Wirkstoffklasse |
Vasodilatator | |||||||||||
Eigenschaften | ||||||||||||
Molare Masse | 227,09 g·mol−1[1] | |||||||||||
Aggregatzustand |
flüssig | |||||||||||
Dichte |
1,59 g·cm−3[1] | |||||||||||
Schmelzpunkt | ||||||||||||
Siedepunkt |
160 °C (20 hPa)[1] | |||||||||||
Dampfdruck |
0,25 Pa[1] (20 °C) | |||||||||||
Löslichkeit |
schlecht in Wasser[1] | |||||||||||
Sicherheitshinweise | ||||||||||||
| ||||||||||||
MAK |
keine MAK, da cancerogen[1] | |||||||||||
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. |
Nitroglycerin, Glycerintrinitrat oder Glyceroltrinitrat, auch Trisalpetersäureglycerinester ist ein Sprengstoff mit der Summenformel C3H5N3O9. Neben der Verwendung als Sprengstoff wird es auch in der Medizin wegen seiner gefäßerweiternden Wirkung eingesetzt.
Name
Die geläufige Bezeichnung Nitroglycerin ist gemäß IUPAC-Nomenklatur irreführend, da das Präfix Nitro- auf eine Kohlenstoff-gebundene NO2-Gruppe hinweist. Im Glycerintrinitrat jedoch ist der Alkylrest über je ein überbrückendes Sauerstoffatom an je ein Stickstoffatom gebunden, weswegen es sich um einen Salpetersäuretriester handelt.
Noch exakter als Glycerintrinitrat wäre demnach die Bezeichnung Glycerintris(nitrat), das Präfix tris weist darauf hin, dass es sich beim Säurerest nicht um ein Kondensat aus drei Molekülen HNO3 handelt, sondern dreimal mit je einem Molekül verestert wurde. Da die Bezeichnung Glycerin lediglich der Trivialname des dreiwertigen Alkohols Propan-1,2,3-triol ist, ist für dessen Salpetersäureester (also das so genannte Nitroglyzerin) die Bezeichnung Propantrioltrinitrat ebenfalls korrekt.
„Glycerol“ ist ebenso ein anderer Name für Glycerin, der die korrekte Endung -ol für einen Alkohol trägt, statt -in, das für Alkine reserviert ist. Zudem schließt es anders als „Propantriol“ auch die Position der Hydroxygruppen mit ein, obgleich man ohne Angabe ohnehin von Glycerin ausgeht.
Geschichte
Im Jahre 1847 stellt der Turiner Arzt und Chemiker Ascanio Sobrero erstmals Nitroglycerin her, aus dem Alfred Nobel 1867 Dynamit gewann. 1875 wurde dann von ihm aus Nitroglycerin und Zellulosenitrat (Kollodiumwolle) der bis dahin stärkste gewerbliche Sprengstoff, die Sprenggelatine, hergestellt. Diese Mischung wurde dann kurze Zeit später im härtesten Urgestein beim Bau des Gotthardtunnels in der Schweiz mit ausgezeichnetem Erfolg angewendet. Daraus wurden mit Zuschlagstoffen die schwächeren Gelatine-Dynamite hergestellt. Bei Verwendung des Ammonsalpeters in diesen Mischungen auch schon durch Nobel wurden die Grundlagen für die heute verwendeten Sprengstoffe geschaffen.
Darstellung und Gewinnung
Glycerintrinitrat wird durch die Veresterung der drei Hydroxygruppen von wasserfreiem Glycerin mit einer Mischung aus Salpetersäure und Schwefelsäure, der so genannten Nitriersäure, hergestellt:
Man unterscheidet diskontinuierliche und kontinuierliche Herstellungsverfahren. Bei diskontinuierlichen Verfahren wird eine bestimmte Menge Nitriersäure vorgelegt und bei starker Kühlung kleine Mengen Glycerin zugegeben. Aufgrund der Wärmeentwicklung und einer autokatalytischen Zersetzung bei Temperaturen über 30 °C bergen diese Methoden jedoch häufig unkalkulierbare Risiken. Das Auftreten von Nitroglycerindämpfen kann wegen der blutdrucksenkenden Wirkung (s.o.) zum Bewusstseinsverlust führen, was dadurch die Kontrolle über die Temperaturen bei der Herstellung unmöglich und damit eine unkontrollierte Zersetzung wahrscheinlich werden lässt.
Um die Glycerintrinitratmengen in den einzelnen Verarbeitungsstufen so gering wie möglich zu halten und die Produktivität zu erhöhen, wurden daher kontinuierliche Herstellungsverfahren entwickelt. Im einfachsten Fall werden Nitriersäure und Glyzerin kontinuierlich in ein gekühltes Rohrsystem gegeben und mischen sich dort aufgrund der laminaren Strömungsverhältnisse. Die modernsten Verfahren benutzen Injektorpumpen, bei denen die durchfließende Nitriersäure einen Unterdruck erzeugt, mit dem das Glyzerin angesogen und in dem Säurestrahl verwirbelt wird. Die Reaktionstemperatur liegt bei etwa 70 °C.
Allgemein erfordert die Synthese von Glycerintrinitrat besondere Sorgfalt und Kenntnisse im Umgang mit Gefahrstoffen, es darf daher nur in professionellen Laboratorien oder technischen Produktionsanlagen hergestellt werden.
Eigenschaften
Glycerintrinitrat ist bei Standardbedingungen eine farblose, geruchlose und schlecht wasserlösliche Flüssigkeit. Es hat einen süßlichen Geschmack, und schon die Einnahme einer geringen Menge Glycerintrinitrat (10 mg bzw. 0,15 mg/kg Körpergewicht) führt zu Kopfschmerzen. Der Schmelzpunkt liegt je nach Polymorph bei 2,8 °C oder 13,5 °C. Glycerintrinitrat explodiert bereits bei einem Fallhammerversuch mit einem 2-kg-Fallhammer aus einem Zentimeter Höhe. Die Flüssigkeit wird in extrem kurzer Zeit vollständig in gasförmige Produkte umgewandelt, was zu einer massiven Volumenausdehnung führt.[7]
- Art: Sekundär-Sprengstoff
- Detonationsgeschwindigkeit: 6700–8500 m/s (7600 m/s (Dichte: 1,599 g/cm³)[8])
- Bleiblockausbauchung: 52 cm³/g[8]
- Schlagempfindlichkeit: 0,2 J[8]
- Reibempfindlichkeit: bis 350 N Stiftbelastung keine Reaktion[8]
- Grenzdurchmesser Stahlhülsentest: 24 mm[8]
Zerfallsgleichung (allgemein)
Glycerintrinitrat zerfällt zu Kohlendioxid, Wasser, Stickstoff und Stickstoffmonoxid:
Verwendung
Sprengstoff
Glycerintrinitrat wird als Sprengstoff verwendet. Wegen der starken Stoß- und Erschütterungsempfindlichkeit ist die Handhabung allerdings eher schwierig. Alfred Nobel gelang es 1867, Glycerintrinitrat in Kieselgur einzulagern. Das entstehende Dynamit war einfacher zu benutzen. Da aber dessen Anteil von 25 Prozent inaktiven Kieselgurs die Sprengkraft reduzierte, stellte ebenfalls Nobel 1875 Sprenggelatine her, eine ideal zerfallende Mischung aus Nitroglycerin und Schießbaumwolle (Zellulosenitrat, Ballistit bzw. Cordit). Später wurde Glycerintrinitrat als Sprengstoffbestandteil wegen seines hohen Gefrierpunkts teilweise durch Nitroglykol (Ethylenglykoldinitrat; EGDN) ersetzt, das erst bei −22 °C gefriert. Nitroglykol ist allerdings recht flüchtig und daher in warmen Ländern mit nur wenig prozentualem Anteil an Sprengöl im Gesamtsprengstoff nicht zu empfehlen. Glycerintrinitrat ist dagegen heute noch ein wichtiger Bestandteil vieler Treibladungspulver. In geringen Mengen zugesetzt erhöht es die Sprengkraft von Ammonsalpetersprengstoffen.
Medizin
Wegen seiner gefäßerweiternden Wirkung – durch die Freisetzung von Stickstoffmonoxid – wird es unter dem Namen Glyceroltrinitrat als Mittel bei Angina pectoris, Herzinsuffizienz (Nitrolingual Pumpspray) sowie bei Analfissuren (Creme) verwendet. Siehe auch organische Nitrate. Unter dem Geheimnamen „Glonoine“ wurde die alkoholische Lösung seinerzeit auch Alfred Nobel selbst gegen seine Angina pectoris verschrieben. Herzinfarkte werden auch als „nitroresistent“ bezeichnet, da bei einem Verschluss der Koronararterien die vasodilatative Wirkung des freigesetzten Stickstoffmonoxid keinen therapeutischen Effekt hat.
Neben der Anwendung bei der Angina pectoris kommt es in der Notfallmedizin weiterhin auch bei Linksherzinsuffizienzen und kardial bedingten Lungenödemen zur Anwendung, da es die Herzvorlast herabsetzt. Weitere Anwendungsgebiete sind die Hypertensive Krise und spastische Harnleiter- und Gallenkoliken. Zu beachten ist allerdings, dass es zu lebensgefährlichen Komplikationen kommen kann, wenn das Medikament Sildenafil (Viagra) bis zu 72 Stunden vor der Einnahme des Präparats genommen wurde.[9]
Die Anwendung bei Osteoporose wird zur Zeit erforscht. Die tägliche Anwendung einer nitroglycerinhaltigen Salbe erhöhte in einer Studie kanadischer Wissenschaftler die Knochendichte deutlich. Ob sich dadurch das Risiko von Knochenbrüchen verringert, wird jedoch nicht belegt. Die Wirkung wird mit der direkten Hemmung der Osteoklasten durch das freiwerdende Stickoxid erklärt.[10]
Nebenwirkungen
Zu den Nebenwirkungen des Mittels zählen eine Erhöhung des intrakraniellen Drucks, eine mögliche Reflextachykardie sowie Kopfschmerzen, Flush und ein Hitzegefühl.[9]
Handelsnamen
- Monopräparate
Corangin Nitrospray (D), Deponit (D, A, CH), Glytrin (A), MinitranTM (CH), Minitrans (D), Nitrangin (D), Nitro (D, A), Nitroderm (D, A, CH), Nitro-Dur (A, CH), Nitronal (CH), Nitrolingual (D, A), Perlanganit (D, A, CH), Trinitrin (CH), Trinitrosan (D), Rectogesic (Salbe), diverse Generika (CH).[11][12][13]
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 Eintrag zu CAS-Nr. 55-63-0 in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA (JavaScript erforderlich) .
- ↑ 2,0 2,1 Referenzfehler: Es ist ein ungültiger
<ref>
-Tag vorhanden: Für die Referenz namensESIS
wurde kein Text angegeben. - ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 Eintrag zu Nitroglycerin in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM) .
- ↑ Spravochnik po Toksikologii i Gigienicheskim Normativam. S. 180, 1999.
- ↑ 5,0 5,1 Yakuri to Chiryo. Pharmacology and Therapeutics. Vol. 13, S. 3649, 1985.
- ↑ Annals of Emergency Medicine. Vol. 23, S. 31, 1994.
- ↑ R. Blume: Berechnung der Gasmenge bei der Explosion von 1 Mol Nitroglycerin.
- ↑ 8,0 8,1 8,2 8,3 8,4 Josef Köhler, Rudolf Meyer, Axel Homburg: Explosivstoffe. 10. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 2008, ISBN 978-3-527-32009-7.
- ↑ 9,0 9,1 D. Kühn, J. Luxem, K. Runggaldier: Rettungsdienst. 3. Auflage, Urban & Fischer, München 2004, ISBN 3-437-46191-5.
- ↑ Journal of the American Medical Association (JAMA. 2011;305(8):800-807): Effect of Nitroglycerin Ointment on Bone Density and Strength in Postmenopausal Women: A Randomized Trial.
- ↑ Rote Liste online, Stand: September 2009.
- ↑ AM-Komp. d. Schweiz, Stand: September 2009.
- ↑ AGES-PharmMed, Stand: September 2009.
Literatur
- Richard Escales: Nitroglyzerin & Dynamit. SurvivalPress, 1908 Nachdruck 2002, ISBN 3-8311-4362-5.
- Josef Köhler, Rudolf Meyer: Explosivstoffe. 9. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 1998, ISBN 3-527-28864-3, S. 215 ff.
- Alfred Stettbacher: Die Schieß- und Sprengstoffe. 2. Auflage. Leipzig 1933.