PANDAS


Das Akronym PANDAS steht für engl. Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorders Associated with Streptococcal Infections. Es beschreibt die, inzwischen weitgehend anerkannte[1][2][3][4][5] und bereits im Tierversuch erfolgreich nachvollzogene[6][7] Hypothese, dass gewisse pädiatrische Autoimmunerkrankungen mit psychisch-neurologischen Symptomen mit Infektionen mit β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A assoziiert sein könnten. Dabei wird davon ausgegangen, dass Antikörper, die bei Streptokokkeninfektionen des Hals- und Rachenraums bzw. des Mittelohrs (Scharlach, Otitis media) gebildet werden und gegen die Zelloberfläche der Bakterien gerichtet sind mit speziellen Strukturen des Gehirns kreuzreagieren - insbesondere den Basalganglien, die für die Koordination von Bewegungen zuständig sind. In der Folge komme es zu Verhaltensänderungen und Störungen der Motorik sowie zu einer Zwangsstörung mit schlagartigem Beginn[8], die unbehandelt chronifizieren und lebenslang persistieren könne. So sei auch ein Teil der Fälle von Zwangs- und Tictsörungen bei Erwachsenen möglicherweise die Folge eines in der Kindheit erworbenen PANDA-Syndroms.[9][10][11]

Seit 2012 subsumiert das staatliche National Institute of Mental Health der USA PANDAS als Subkategorie von PANS (Pediatric Acute-onset Neuropsychiatric Syndrome), das mit PANDAS das Symptom einer rapide einsetzenden Zwangs- oder Ticstörung im Kindesalter teilt, jedoch nicht zwangsläufig durch eine Streptokokkeninfektion hervorgerufen sein muss.[12] PANS fasst zum Einen unter der Bezeichnung PITANDS infektiöse Trigger zusammen, zum Anderen kämen nichtinfektiöse Gründe, wie z.B. Stoffwechselstörungen in Frage. PANDAS bildet hierbei eine Untergruppe von PITANDS. Eine mögliche Verursachung des PANS Syndroms auch durch Mykoplasmen und andere Erreger wird angenommen und derzeit erforscht.[13][14][15]

Auch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie beschreibt in ihren Behandlungsleitlinien für Zwangsstörungen (Stand 2007) das PANDAS Syndrom und die Notwendigkeit der Bestimmung des Antistreptolysin-Titers bei Kindern mit frisch ausgebrochener Zwangsstörung, die kurz zuvor eine mutmaßlich durch Streptokokken verursachte Infektion durchgemacht haben.[16]

Entdeckung

Ein Zusammenhang zwischen rheumatischen Fieber, Chorea Sydenham und Zwangssymptomen war in der Forschung bereits in den 1970er und 80er Jahren bekannt.[17] Als Symptomenkomplex systematisch erforscht und benannt wurde PANDAS erstmals 1998 von S. E. Swedo und Mitautoren.[18] Die Autoren stellten die Hypothese auf, dass es sich hierbei um eine unvollständige Form der Chorea minor, wie sie beim rheumatischen Fieber vorkommt, handelt. Sie forderten folgende Kriterien für eine PANDAS-Diagnose:

  • Vorhandensein von Tics oder Symptome einer Zwangsstörung
  • Ausbruch der Symptome nach dem dritten Lebensjahr, aber vor Beginn der Pubertät
  • Beginn bzw. Zunahme der Symptome korreliert mit Streptokokken-Infektion innerhalb eines Monats
  • neurologische Besonderheiten (z. B. Hyperaktivität, choreatische Bewegungen)
  • episodischer Verlauf mit abruptem Beginn oder dramatischer Symptomverschlechterung

Stand der Forschung

Das PANDA Syndrom ist bislang noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen. Das National Institute of Mental Health der USA, die International OCD Foundation und die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie nehmen PANDAS jedoch bereits ernst.[19][20][21]

Die letzte größere Kritik am PANDAS Konzept kam 2004 von Kaplan und Kurlan.[22] Sie kritisierten, dass die diagnostischen Kriterien einerseits zu unscharf formuliert und andererseits zu wenig durch prospektive Studien abgesichert sein. Daher stelle sich insbesondere die Frage nach praktischen klinischen diagnostischen und therapeutischen Konsequenzen. Sie lehnen das Konzept von PANDAS nicht völlig ab, kommen aber zu dem Schluss, dass die PANDAS-Hypothese noch fundierter erforscht werden müsse. Weitere Forschungen seien hierfür nötig. Praktische diagnostische oder therapeutische Maßnahmen sollten erst nach Vorliegen weiterer kontrollierter prospektiver Studien abgeleitet werden.[22]. Leonard und Swedo haben diese Kritik zum Anlass einer weiteren Arbeit genommen, welche die Einwände von Kurlan und Kaplan widerlegen soll.[23]

Roger Kurlan veröffentlichte zusammen mit Harvey S. Singer, Donald L. Gilbert, David S. Wolf und Jonathan W. Mink im Dezember 2011 einen weiteren Artikel in der Fachzeitschrift Pediatrics, in der das Konzept von durch Antikörpern induzierte psychiatrische und/oder neurologische Erkrankungen anerkannt wird. Allerdings fordert Kurlan nun zusammen mit den anderen Autoren, das auf Streptokokken-Antikörper beschränkte PANDAS unter ein "Childhood Acute Neuropsychiatric Symptoms" (CANS) genanntes Krankheitsbild zu subsumieren. Hintergrund sei, dass der Stand der Forschung inzwischen ergeben habe, dass auch andere Antikörper und autoimmunes Geschehen PANDAS-artige Symptombilder hervorrufen können.[24]. Diese Diskussion mündete Anfang 2012 in der "Einigung" auf ein Syndrom namens PANS (Pediatric Acute-onset Neuropsychiatric Syndrome). PANS beschreibt dabei, ebenso wie PANDAS, dass es das Phänomen rapide einsetzender Zwangs- und Ticstörungen im Kindesalter gibt, geht aber von mehreren infektiösen und nichtsinfektiösen Triggern als möglicher Ursache aus. PANDAS als durch Streptokokken verursachtes Syndrom wäre damit nur noch eine Subkategorie von PANS.[25] Das National Institute of Mental Health der USA (NIMH) erkennt diese Neudefinition inzwischen an.[26][27]

Das NIMH hat Ende 2011 eine Langzeitstudie veranlasst, die klären soll, ob eine intravenöse Immunglobulintherapie zur Linderung von durch PANDAS verursachten Symptomen führen kann. Diese Studie soll 2016 erste belastbare Ergebnisse liefern und würde im Erfolgsfall eine ursächliche Therapie ermöglichen, die es bisher nicht gibt.[28]

Die International OCD Foundation hat 2011 erstmals öffentlich gefordert, dass bei Kindern mit plötzlich einsetzender Tic- oder Zwangserkrankung generell ein Streptokokkenantikörpertest durchgeführt werden soll.[29]

Zunehmend rückt bei den Forschungen auch die Frage in den Fokus, ob nicht auch Tic- und Zwangsstörungen des Erwachsenenalters durch den zuvor beschrieben Mechanismus ausgelöst werden können. Entsprechende erste Hinweise hierauf geben eine Studie des "Dipartimento di Scienze Psichiatiche e Medicina Psicologica" der Sapienza Universität in Rom.[30], sowie eine immunologische Studie aus dem Jahre 2009.[31]

Einzelnachweise

  1. http://intramural.nimh.nih.gov/pdn/web.htm
  2. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028-007_S1_Zwangsstoerungen__F42__11-2006_11-2011_01.pdf
  3. http://www.nimh.nih.gov/about/director/2012/from-paresis-to-pandas-and-pans.shtml
  4. http://online.wsj.com/article/SB10001424052970203518404577094604010074464.html
  5. http://www.acnp.org/Docs/G5/C111_1593-1608.pdf S. 1595ff.
  6. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22534626
  7. Zhang D.: "Anti-streptococcus IgM antibodies induce repetitive stereotyped movements: cell activation and co-localization with Fcα/μ receptors in the striatum and motor cortex". Brain Behav Immun. 2012 May;26(4):521-33. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22285613
  8. Swedo, Leonard, Rapoport: "The Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorders Associated With Streptococcal Infection (PANDAS) Subgroup: Separating Fact From Fiction", In: Pediatrics, Vol. 113, April 2004
  9. Moretto, Germana, Pasquini Massimo, et.al.: "What every psychiatrist should know about PANDAS: a review". Department of Psychiatric Sciences and Psychological Medicine, "Sapienza" University of Rome. In: Clinical Practice and Epidemiology in Mental Health 2008.
  10. Jenike, Michael; Dailey, Susan: "Sudden and Severe Onset OCD – Practical Advice for Practitioners and Parents". International OCD Foundation, 2012.
  11. N. Konuk, I. O. Tekın, U. Ozturk et.al.: "Plasma Levels of Tumor Necrosis Factor-Alpha and Interleukin-6 in Obsessive Compulsive Disorder". In: Mediators of Inflammation Volume 2007, Article ID 65704. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1847475/
  12. http://intramural.nimh.nih.gov/pdn/web.htm
  13. Swedo, Susan E.; Leckman, James F.; Rose, Noel R.: From Research Subgroup to Clinical Syndrome. Modifying the PANDAS Criteria to define PANS. http://pandasnetwork.org/wp-content/uploads/2012/02/2161-0665-2-113.pdf
  14. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22393303
  15. Hanna Rhee, Daniel J Cameron: "Lyme disease and pediatric autoimmune neuropsychiatric disorders associated with streptococcal infections (PANDAS): an overview". In: International Journal of General Medicine, 2012
  16. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028-007_S1_Zwangsstoerungen__F42__11-2006_11-2011_01.pdf
  17. Michael B. First: DSM 5 - Obsessive Compulsive Spectrum Disorders Conference, 2006. American Psychiatric Association, DSM-5 Development. http://www.dsm5.org/research/pages/obsessivecompulsivespectrumdisordersconference%28june20-22,2006%29.aspx (abgerufen 21. September 2012).
  18. S. E. Swedo et al. (1998): Pediatric autoimmune neuropsychiatric disorders associated with streptococcal infections: clinical description of the first 50 cases. In: Am. J. Psychiatry. Bd. 155, S. 264-271. PMID 9464208 PDF
  19. http://online.wsj.com/article/SB10001424052970203518404577094604010074464.html
  20. http://intramural.nimh.nih.gov/pdn/web.htm
  21. Dt.Ges.f. Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie u.a. (Hrsg.): Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. Deutscher Ärzte Verlag, 3. überarbeitete Auflage 2007 - ISBN: 978-3-7691-0492-9, S. 73 - 86, Kapitel 1.4
  22. 22,0 22,1 R. Kurlan, E. L. Kaplan (2004): The pediatric autoimmune neuropsychiatric disorders associated with streptococcal infection (PANDAS) etiology for tics and obsessive-compulsive symptoms: hypothesis or entity? Practical considerations for the clinician. In: Pediatrics. Bd. 113, S. 883-886. PMID 15060240 PDF
  23. http://pediatrics.aappublications.org/content/113/4/907.full
  24. Harvey S. Singer, Donald L. Gilbert, Roger Kurlan et.al.: "Moving from PANDAS to CANS" - The Journal of Pediatrics, Dec. 2011, PMID 22197466
  25. http://pandasnetwork.org/wp-content/uploads/2012/02/2161-0665-2-113.pdf
  26. http://intramural.nimh.nih.gov/pdn/web.htm
  27. http://www.nimh.nih.gov/about/director/2012/from-paresis-to-pandas-and-pans.shtml
  28. http://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01281969
  29. http://online.wsj.com/article/SB10001424052970203518404577094604010074464.html
  30. http://www.iv-ts.de/translate/Pandas-2010-Zwaenge.htm
  31. Sagnik Bhattacharyya, Sumant Khanna, Rita Christopher et.al.: "Anti-Brain Autoantibodies and Altered Excitatory Neurotransmitters in Obsessive–Compulsive Disorder". In: Neuropsychopharmacology (2009), 2489–2496, http://www.nature.com/npp/journal/v34/n12/full/npp200977a.html

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