Primäre Insomnie


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Die primäre Insomnie (Syn. Agrypnie, Schlaflosigkeit)[1] zählt zu den Schlafstörungen und zeichnet sich, im Gegensatz zur sekundären Form, durch das Fehlen einer organischen oder psychiatrischen Erkrankung aus.

Epidemiologie

Folgt man streng den Diagnosekriterien von DSM-IV und ICD-10, hat die primäre Insomnie eine Prävalenz von etwa 3 % in der Gesamtbevölkerung.[2] Frauen sind hierbei häufiger betroffen als Männer. Betrachtet man nicht-organische Schlafstörungen mit oder ohne Tagesmüdigkeit unabhängig der Kriterien liegt die Prävalenz bei bis zu einem Drittel der Gesamtbevölkerung.[3]

Ätiopathogenese

Meist liegt der primären Insomnie ein auslösendes Lebensereignis zugrunde. Dies führt entweder zu schlafbehindernden Gedanken oder zur Aktivierung bzw. Erregung und setzt dann einen entsprechenden Teufelskreis in Gang. Auch können ungünstige Schlafgewohnheiten diesen Circulus vitiosus in Gang setzen.

Der Beginn kann beispielsweise bei schlafbehindernden Gedanken liegen (Grübeln, negative Gedanken, Nachdenken über negative Konsequenzen des schlechten Schlafes). Dies setzt sich dann mit vermehrter Anspannung bzw. Erregung (emotional, motorisch, autonomes Nervensystem) fort. Als Konsequenz davon kommt es zu Müdigkeit, schlechter Stimmung, Abfall der Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, geringerer Lebensaktivität oder Einschränkung der sozialen Kontakte. Hierdurch werden ungünstige Schlafgewohnheiten wie lange Bettzeiten, langes Wachliegen, unregelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus oder Tagschlaf gefördert. Daraus ergeben sich dann wieder schlafbehindernde Gedanken und erhalten folglich diesen Kreislauf der primären Insomnie. Daraus wird auch sehr klar ersichtlich, warum die primäre Insomnie chronisch verläuft und langfristige Konsequenzen nach sich zieht.[4][5]

Klinik

Entsprechend der DSM-IV Diagnosekriterien präsentiert sich die primäre Insomnie wie folgt:[6]

  • Vorherrschende Beschwerden in Bezug auf Einschlaf- oder Durchschlafschwierigkeiten für mindestens einen Monat,
  • die Schlaflosigkeit bzw. die damit verbundene Tagesmüdigkeit führt zu deutlichen Beeinträchtigungen in wichtigen Lebensbereichen,
  • die Schlafstörung ist nicht ausschließlich auf eine andere Schlafstörung zurückzuführen,
  • die Schlafstörung ist nicht im Zuge einer psychiatrischen Erkrankung (z. B. Major Depression, Angststörungen, etc.) aufgetreten,
  • die Schlafstörung ist nicht die Folge von Medikamenteneinnahme, Drogenkonsum oder einer organischen Grunderkrankung.

Das Risiko zur Entwicklung einer Depression ist bei Patienten mit primärer Insomnie erhöht.[7]

Diagnostik

Zur Beurteilung der Schlafqualität bzw. der Tagesmüdigkeit stehen mehrere standardisierte Messinstrumente im Sinne von Fragebögen zur Verfügung, so etwa der Pittsburgh-Sleep quality-Index (PSQI). Wegweisend für Diagnose und Therapieentscheidung ist das Führen eines Schlaftagebuchs durch den Patienten über ein bis zwei Wochen. Hierbei werden unter anderem Bettzeiten, sowie Schlaf- und Wachphasen protokolliert. Mit Hilfe einer Aktigraphie können die Schlafzeiten grob objektiviert werden.[8] Zum Ausschluss anderer Schlafstörungen bzw. bei Nichtansprechen auf eine Therapie kann auch eine Polysomnographie in einem Schlaflabor durchgeführt werden.[9][10] In jedem Fall sollte eine körperliche und psychologische/psychiatrische Anamnese erhoben werden.

Therapie

Nicht-medikamentöse Verfahren

Bewährt haben sich Maßnahmen zur Verbesserung der Schlafhygiene (z. B. Einhalten eines konstanten Schlaf-Wach-Rhythmus, Verzicht auf Alkohol und Coffein), der Stimuluskontrolle (z. B. Verringerung der Bettzeiten) und der Schlafrestriktion.[11] Es können, abhängig von der spezifischen Problematik des Patienten, auch verschiedene Entspannungsverfahren zum Einsatz kommen (z. B. progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, autogenes Training).[12] Neben diesen Maßnahmen der Verhaltenskontrolle werden auch kognitive Techniken eingesetzt, deren Ziel es ist, schlafbehindernde Gedanken abzubauen.[13]

Medikamentöse Verfahren

Es werden Schlafmittel eingesetzt. Benzodiazepine können kurzfristig zur Therapie verabreicht werden.[10] Längerfristig ergeben sich aber durch die lange Halbwertszeit, die Absetzeffekte, sowie durch die Entwicklung von Toleranz und Abhängigkeit Probleme bei dieser Medikation. Als Alternativen stehen die so genannten „Z-Präparate“ (Zopiclon, Zolpidem, Zaleplon) zur Verfügung, die eine kürzere Halbwertszeit haben und ein günstigeres Nebenwirkungsprofil aufweisen sollen.[14] Sichere Belege hierfür stehen allerdings noch aus. Sedierende Antidepressiva (z. B. Mirtazapin, Trimipramin, Trazodon) sind insbesondere für die längerfristige Therapie eine gute Option, allerdings zum Gebrauch als Schlafmittel Off-Label.[15] Anti-Histaminika der ersten Generation können dank ihrer ZNS-Gängigkeit als Hypnotikum verordnet werden.[16]

Literatur

  • Berger, M. (Hrsg.): Psychische Erkrankungen. Klinik und Therapie. 3. Auflage. Urban & Fischer, 2009, ISBN 3-437-22481-6.
  • Hauri, P.J.: Verhaltenstherapie bei Schlafstörungen. In: Meier-Ewert K, Schulz H (Hrsg): Schlaf und Schlafstörungen. Springer, Berlin 1989, ISBN 3-540-52073-2.
  • Kryger, M. et al. (Hrsg.): Principles and Practice of Sleep Medicine. 4. Auflage, Saunders, 2005, ISBN 1-4160-0320-7.
  • Möller H.-J., Laux D, Deister A.: Psychiatrie und Psychotherapie. 4. Auflage, Thieme, 2009, ISBN 3-13-128544-3.

Weblinks

  • S1-Leitlinie Insomnie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. In: AWMF online (Stand 2008)

Einzelnachweise

  1. Roche Lexikon Medizin. 5. Auflage. Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, München 2003, ISBN 3-437-15072-3 (Stichwort: Insomnie, Schlaflosigkeit).
  2. Hildegard Kaulen: Schlafmangel – Krankheit ohne Definition. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Februar 2012, abgerufen am 2. August 2012.
  3. Ohayon MM (2002). Epidemiology of insomnia: what we know and what we still need to learn. Sleep Medicine Reviews, 6, S. 97–111.
  4. Circulus Vitiosus der Schlaflosigkeit (JPEG) Abgerufen am 14. Juni 2010.
  5. Möller H.-J., Laux D, Deister A.: Psychiatrie und Psychotherapie. 4. Auflage. Thieme Verlag, Stuttgart 2009, ISBN 3-13-128544-3 (S. 293–306).
  6. American Psychiatric Association, APA (1994). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (4. Auflage). Washington: APA.
  7. Riemann D & Voderholzer U (2003). Primary insomnia: a risk factor to develop depression? Journal of Affective Disorders, 76, S. 255–259
  8. Diagnose und Therapie von Schlafstörungen. (PDF, 242 KB) Privatklinikgruppe Hirslanden, abgerufen am 9. Oktober 2012.
  9. Nils Heim: Die Rolle der Polysomnographie in der Diagnostik der Insomnie. (PDF, 1243 KB) Universität Freiburg, 15. Oktober 2010, abgerufen am 9. Oktober 2012.
  10. 10,0 10,1 Leitlinien der DGN – Insomnie. (PDF, 143 KB) Deutsche Gesellschaft für Neurologie, abgerufen am 9. Oktober 2012.
  11. Hauri: Verhaltenstherapie bei Schlafstörungen. 1989, S. 147–155.
  12. Nichtmedikamentöse Therapie der Insomnie. Schlafmedizinisches Zentrum München, abgerufen am 9. Oktober 2012.
  13. Riemann D & Perlis ML (2009). The treatments of chronic insomnia: a review of benzodiazepine receptor agonists and psychological & behavioral therapies. Sleep Medicine Reviews
  14. Pharmakologische Behandlung der Insomnie. Schlafmedizinisches Zentrum München, abgerufen am 9. Oktober 2012.
  15. Spürsinn und Sensibilität zeigen. Pharmazeutische Zeitung, 2009, abgerufen am 9. Oktober 2012.
  16. Insomnie. (PDF, 5641 KB) Österreichische Ärztezeitung, 25. Oktober 2010, S. 44–45, abgerufen am 9. Oktober 2012.