Turbulente Strömung


Beispiel einer turbulenten Strömung

Die turbulente Strömung (lat.: turbare = drehen, beunruhigen, verwirren) ist die Bewegung von Flüssigkeiten und Gasen, bei der Verwirbelungen auf allen Größenskalen auftreten. Diese Strömungsform ist gekennzeichnet durch meist dreidimensionale, scheinbar zufällige, instationäre Bewegungen der Fluidteilchen.

Eigenschaften

Die verstärkte Diffusion aufgrund der Fluktuationsbewegung ist eine der wichtigsten Eigenschaften turbulenter Strömungen. Sie liegt um mehrere Zehnerpotenzen über der molekularen Diffusion. Diese turbulente Querdiffusion führt beispielsweise dazu, dass die Verluste in einer Rohrströmung anwachsen. Während der Druckverlust bei einer laminaren Rohrströmung proportional zur mittleren Geschwindigkeit ist, ist er in einer turbulenten Strömung proportional zum Quadrat der mittleren Strömungsgeschwindigkeit. Weiterhin begünstigt die turbulente Querdiffusion den Wärmetransport in Strömungen mit inhomogener Temperaturverteilung. Turbulente Grenzschichten neigen bei hohen positiven Druckgradienten, beispielsweise auf der Oberseite eines stark angestellten Tragflügels, später zur Ablösung als laminare Grenzschichten.

Turbulente Strömungen sind im Gegensatz zu laminaren Strömungen durch folgende Eigenschaften gekennzeichnet:

  1. ausgeprägte Selbstähnlichkeit („Skalierung“) bei Mittelwertbildung bezüglich Länge und Zeit, mit enorm großer Ausdehnung von zulässigen Längen- und Zeitskalen,
  2. ungeordnete und schwer vorhersagbare raumzeitliche Struktur,
  3. empfindliche Abhängigkeit von Anfangs- und Randbedingungen.

Beispiel zu (1): Ein Wirbelsturm ist mehrere Kilometer groß, während die kleinsten in ihm enthaltenen Wirbel kleiner als einen Millimeter sind.

Beispiel zu (2): Die Windstärke am Ort einer Windkraftanlage schwankt sehr stark und ist schwer vorhersagbar.

Beispiel zu (3): Wenn die Tragfläche eines Flugzeuges vereist, beeinflussen die millimeterkleinen Eiskristalle die turbulente Luftströmung so stark, dass die Maschine abstürzen kann.

Turbulenz (in Luftmassen, Fluiden) kann mit Worten folgendermaßen definiert werden:

  • Zufälligkeit (des Strömungszustandes, der Geschwindigkeiten): nicht vorhersagbar (oder praktisch nicht vorhersagbar, statistisch gesehen aber schon: siehe „deterministisches Chaos“)
  • Diffusivität: starke und schnelle Durchmischung („Konvektion“, „Verwirbelung“), im Gegensatz zum Einfluss der langsameren molekularen Diffusion
  • Dissipation: kinetische Energie wird auf allen Skalen fortgesetzt in Wärme umgewandelt und teilt sich aus den Skalen größerer Ausdehnung (größere „eddies“) in hierarchischer Weise in kleinere Elemente auf („Energiekaskade“). Turbulenter Fluss bleibt also nur erhalten, wenn von außen Energie zugeführt wird.
  • Nichtlinearität: der laminare Fluss wird instabil, wenn die Nichtlinearitäten an Einfluss gewinnen. Mit zunehmender Nichtlinearität kann eine Sequenz verschiedener Instabilitäten auftreten, bevor sich „volle Turbulenz“ ausbildet.

Entstehung von Turbulenz

Zur Darstellung des Unterschiedes zwischen laminarer Strömung und turbulenter Strömung hat der Physiker Osborne Reynolds im Jahr 1883 einen Färbeversuch einer Wasserströmung in einer Rohrleitung vorgenommen und festgestellt, dass sich die Verwirbelung in der Rohrleitung erst ab einer Grenzgeschwindigkeit einstellen kann. Als Beurteilungskriterium wird hierzu die Reynolds-Zahl Re angewandt.

Die Lineare Stabilitätstheorie beschäftigt sich mit dem Umschlag – auch Transition – laminarer Strömungen in turbulente Strömungen. Sie betrachtet dazu das Anwachsen wellenförmiger Störungen mit kleiner Amplitude. Die bekanntesten Instabilitäten sind die Tollmien-Schlichting-Wellen.

Beschreibung turbulenter Strömungen

Um turbulente Strömungen zu beschreiben, unterteilt man die Eigenschaftskomponenten wie die Geschwindigkeit und den Druck in einen gemittelten Term, der von einer statistischen Störbewegung überlagert wird. Man bezeichnet diese Zerlegung auch als Reynoldsche Zerlegung: $ u(x,t)={\overline {u(x)}}+u'(x,t) $

Dabei handelt es sich bei der gemittelten Größe $ {\overline {u(x)}} $ um den Ensemble-Mittelwert. Setzt man diese Zerlegung in die Navier-Stokes-Gleichungen ein, so erhält man zu Beschreibung von turbulenten Strömungen die Reynolds-Gleichungen, die allerdings die Reynoldsspannungen als zusätzliche Unbekannte enthalten. Man hat nun mehr Unbekannte als Gleichungen und benötigt deswegen Schließungsansätze, um das System zu lösen. Unterschiedliche Schließungsansätze haben zu verschiedenen Turbulenzmodellen geführt.

Die wichtigsten Schließungsansätze sind der Ansatz von Boussinesq und die Prandtlsche Mischungsweghypothese. Die wichtigsten Turbulenzmodelle sind die $ k{\text{-}}\epsilon $-Turbulenzmodelle und die Large Eddy Simulation.

Turbulente Strömungen kann man in isotrope Turbulenz, homogene Turbulenz und Scherturbulenz klassifizieren, die jeweils bestimmte charakteristische Merkmale aufweisen. In der Praxis tritt normalerweise die Scherturbulenz auf, da es sich bei isotroper und homogener Turbulenz um idealisierte Strömungsformen handelt. Da turbulente Strömungen mathematisch schwierig zu beschreiben sind, bezieht man sich zu ihrer Charakterisierung häufig auf idealisierte Strömungsformen, da sich in solchen Fällen die Reynoldsgleichungen weiter vereinfachen.

Wie schwierig, vielfältig und wenig verstanden die Turbulenz ist, zeigt folgendes Zitat:

„Wenn ich in den Himmel kommen sollte, erhoffe ich Aufklärung über zwei Dinge: Quantenelektrodynamik und Turbulenz. Was den ersten Wunsch betrifft bin ich ziemlich zuversichtlich.“

Horace Lamb[1]

Energiekaskade

Lewis Fry Richardson legte 1922 die Grundlage für die weitere Turbulenzforschung, indem er die heutige Vorstellung dieses Phänomens begründete. Nach seiner wegweisenden Interpretation wird bei einer turbulenten Strömung die Energie auf großer Skala zugeführt, durch den Zerfall von Wirbeln durch alle Skalen hindurch transportiert (sog. Inertialbereich) und bei kleinsten Skalen in Wärme dissipiert. Dies wird als Energiekaskade bezeichnet.

Die Theorie der Turbulenz wurde von Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow in seinen Arbeiten von 1941 und 1962 wesentlich vorangetrieben, als er das Skalenargument von Richardson durch eine Ähnlichkeitshypothese statistisch auswerten und damit für den Inertialbereich das Kolmogorov-5/3-Gesetz herleiten konnte, nach dem die spektrale Dichte mit einem Exponenten von −53 von der Wellenlänge abhängt $ P(k)\sim k^{-{\frac {5}{3}}} $. Auch der dissipative Bereich ist nach ihm benannt und wird als Mikroskala von Kolmogorow bezeichnet.

Weitere Beispiele für turbulente Strömungen

  • Wirbel und Strudel in Flüssen
  • der Rauch einer Zigarette in einer ruhenden Umgebung zeigt anfänglich eine laminare (Schicht-)Strömung, die nach einer bestimmten Steighöhe dann deutlich sichtbar turbulent wird
  • die Milch im Kaffee mischt sich ebenfalls mit einer turbulenten Strömung, wohingegen die Mischung zweier Farben meist einer laminaren Mischung durch molekulare Diffusion entspricht
  • das Dampf/Wasser-Gemisch in den Bohrungen des Metallblocks einer Siedekühlung

Literatur

  • Andrey Nikolaevich Kolmogorov, The local structure of turbulence in incompressible viscous fluid for very large Reynolds numbers, in: Proceedings of the USSR Academy of Sciences, 1941, Nr. 30, S. 299ff.
    • Englische Übersetzung: Derselbe, The local structure of turbulence in incompressible viscous fluid for very large Reynolds numbers, in: Proceedings of the Royal Society of London, Series A: Mathematical and Physical Sciences, 8. Juli 1991, Nr. 434, S. 9ff.
  • Derselbe, Dissipation of energy in locally isotropic turbulence in: Proceedings of the USSR Academy of Sciences, 1941, Nr. 32, S. 16ff.
    • Englische Übersetzung: Derselbe, July 8, 1991, The local structure of turbulence in incompressible viscous fluid for very large Reynolds numbers, in: Proceedings of the Royal Society of London, Series A: Mathematical and Physical Sciences, 8. Juli 1991, Nr. 434, S. 15 ff.
  • G. K. Batchelor, The theory of homogeneous turbulence. Cambridge University Press, 1953.

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. Horace Lamb, 1932, zitiert in Gerthsen Physik. 22. Auflage, S. 128