Amphibiensterben: Pestizide gefährden Baby-Frösche



Bio-News vom 13.06.2024

Neonikotinoide wirken nicht nur als Insektengift, sondern stören auch die Embryonalentwicklung von Fröschen. Das hat ein Forschungsteam der Universität Ulm in mehreren Studien dokumentiert. Kaulquappen, die in Laborexperimenten verschiedenen Neonikotinoiden in jeweils unvermischter Form ausgesetzt waren, hatten kleinere Körper und Augen, missgebildete Hirnnerven und veränderte Herzstrukturen. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass auch in der EU zugelassene Insektengifte eine schädliche Wirkung auf Amphibien haben und liefern Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang der Gifte mit dem weltweiten Amphibiensterben.

Neonikotinoide kommen weltweit als Pestizide zum Einsatz. Die Wirkstoffe greifen das Nervensystem von Insekten an und werden in der Landwirtschaft zur Schädlingsbekämpfung versprüht. Auch frei verkäufliche Produkte wie Anti-Insektensprays und Halsbänder gegen Flöhe und Zecken für Haustiere können Neonikotinoide enthalten. In drei aufeinander aufbauenden Studien, deren jüngste nun das Fachmagazin Current Research in Toxicology veröffentlichte, untersuchten die Ulmer Forschenden, inwieweit die Wirkstoffe negative Effekte auf Amphibien haben.


Verbreitete Pestizide gefährden Amphibien.

Publikation:


Flach, H. et al.
Comparing the effects of three neonicotinoids on embryogenesis of the South African clawed frog Xenopus laevis

Current Research in Toxicology (2024)

DOI: https://doi.org/10.1016/j.crtox.2024.100169



In Laborexperimenten setzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Embryonen des südafrikanischen Krallenfroschs in einem frühen Entwicklungsstadium fünf Neonikotinoiden aus: Acetamiprid, Thiacloprid, Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothianidin. Die Neonikotinoide wurden jeweils als Einzelstoff verwendet und unterschiedlich konzentriert. Niedrige Konzentrationen entsprachen denen, die in natürlichen Gewässern bereits gemessen wurden; hohe Konzentrationen simulierten extreme Fälle, wie sie etwa durch eine illegale Einleitung in Flüsse entstehen könnten. Nach mehreren Tagen überprüften die Forschenden die Embryonen auf Schäden an Gewebe und Organen und analysierten Mobilität und Herzschlag sowie bestimmte Gene, um die molekularen Ursachen von Defekten aufzuschlüsseln.



Vielfältige negative Effekte

„Im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigen alle fünf Neonikotinoide negative Effekte, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung“, berichtet eine der Erstautorinnen, Dr. Hannah Flach vom iBMB. Alle Neonikotinoide verursachten kleinere Augen und veränderte Kopfknorpel. In Lösungen mit Acetamiprid und Thiacloprid wiesen die Kaulquappen eine reduzierte Körperlänge sowie Kopfödeme auf. Eine hohe Thiacloprid-Konzentration führte zu kleineren Gehirnen und veränderten Hirnnerven; letztere waren ebenso bei einer hohen Imidaclopdrid- und Clothianidin-Konzentration zu beobachten. Herzödeme und veränderte Herzfrequenzen waren ebenfalls häufig. Zudem kam es zu Veränderungen in der Mobilität, bis hin zu kompletter Immobilität der Kaulquappen. Auch zeigten die Embryonen schon sehr früh in ihrer Entwicklung eine gestörte Genaktivität.


Die mit einem Neonikotinoid behandelte Kaulquappe (rechts) hat einen veränderten Kopf, kleinere Augen und Ödeme im Kopf- und Herzbereich.

Publikation:


Kerner, M. et al.
The impact of the insecticide acetamiprid on the embryogenesis of the aquatic model organism Xenopus laevis
Environmental Toxicology and Pharmacology Vol 103 (2023)

DOI: https://doi.org/10.1016/j.etap.2023.104278



„Wir haben damit nachgewiesen, dass die betrachteten Neonikotinoide nicht nur Insekten, sondern auch Embryonen von Amphibien deutlich schaden können. Vor allem Schäden im Bereich der Augen sind schon bei relativ niedrigen Konzentrationen aufgetreten, wie sie bereits in der Natur gemessen wurden“, so Professorin Susanne Kühl. Die Studienleiterin weist darauf hin, dass für die typischen Tümpel, in denen Amphibien aufwachsen, nur wenige Messwerte existieren. „Um die möglichen Risiken von Neonikotinoiden in der Natur real einschätzen zu können, wären noch viel mehr Messungen in Kleingewässern nahe landwirtschaftlich bewirtschafteter Felder nötig.“


Die Kaulquappen, die in hohen Neonikotinoid-Konzentrationen inkubiert wurden (rechts), sind so gut wie immobil, ganz anders die unbehandelte Kaulquappe (links) mit normaler Mobilität.

Publikation:


Flach, H. et al.
The neonicotinoid thiacloprid leads to multiple defects during early embryogenesis of the South African clawed frog (Xenopus laevis)
Food and Chemical Toxicology, Vol. 176 (2023)

DOI: https://doi.org/10.1016/j.fct.2023.113761



Die Arbeit des Forschungsteams hebt sich in ihrer Detailgenauigkeit von anderen Studien zu Auswirkungen von Pestiziden ab. „Unsere Ergebnisse zeigen auch, dass nicht nur die Pestizide selbst, sondern auch deren Abbauprodukte Schädigungen verursachen können. Wir beobachten sehr komplexe Prozesse, die in den Zulassungsverfahren besser berücksichtigt werden sollten“, so Kühl.

Risiken auch für andere Wirbeltiere möglich

„Durch unseren Fokus auf die Embryonen des Krallenfroschs, einem etablierten Modellorganismus in der Entwicklungsbiologie, können wir die beobachteten Effekte auch in einen Zusammenhang mit dem weltweiten Amphibiensterben stellen“, betont die Studienleiterin. In der EU ist Thiacloprid nicht mehr zugelassen; Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothianidin dürfen in geschlossenen Gewächshäusern zum Einsatz kommen, wobei weiterhin Notfallzulassungen auch im Freigelände innerhalb der EU möglich sind. Acetamprid hingegen hat eine EU-Zulassung bis 2033 und ist als Wirkstoff in Produkten wie Sprays für Zimmerpflanzen und Rosen sowie in Mitteln gegen Fliegen, Ameisen oder Flöhe verbreitet.

Neonikotinoide wurden bereits in Lebensmitteln wie Honig und Obst sowie im menschlichen Körper, beispielsweise in Sperma, nachgewiesen. „Angesichts der nachgewiesenen schädlichen Wirkung können Risiken auch für andere Wirbeltiere nicht ausgeschlossen werden“, unterstreicht Kühl, die dafür plädiert, das Problem global zu betrachten, da außerhalb der EU der Einsatz von Neonikotinoiden nicht beschränkt ist. „Pestizide gefährden durch ihren weltweiten Einsatz die Artenvielfalt. Das Amphibiensterben ist das größte Artensterben im Bereich der Wirbeltiere.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Ulm via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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